Ultraschall Berlin 2017

Singende Schreibmaschine

Der Tenor Christoph Prégardien
Der Tenor Christoph Prégardien sang Lieder von Wolfgang Rihm © Marco Borggreve/Ultraschall Berlin
01.02.2017
Bei Ultraschall Berlin, dem Festival für Neue Musik, stand die Stimme im Mittelpunkt. Ganz traditionell geriert sich das menschliche Organ in den Klavierliedern Wolfgang Rihms, die Christoph Prégardien beim Festival sang. Dazu spielte Christoph Schnackertz.
Mehr als jedes Instrument ist die Stimme Träger individuellen, unverwechselbaren Ausdrucks, und das nicht nur im rein musikalischen Kontext. Seine Stimme zu erheben oder auch jemandem eine Stimme zu geben, bedeutet, sich als autonomes Subjekt zu äußern. Das Festival Ultraschall Berlin, veranstaltet von Deutschlandradio Kultur und kulturradio vom rbb, stellt in diesem Jahr die Stimme in den Mittelpunkt. Durch das Programm zieht sich - in denkbar unterschiedlicher Weise - die Stimme als roter Faden. Sie knüpft als schön geführte Stimme an die große Tradition des Liedgesangs an, sie wagt sich weit vor in die experimentelle Stimmbehandlung, die die Übereinkunft des Belcanto zur Disposition stellt.
Seit seiner Jugend hat Wolfgang Rihm Lieder komponiert. Bereits sein Opus 1 ist ein Gesangszyklus für Stimme und Klavier. Bis heute ist er diesem Genre in unzähligen Kombinationen treu geblieben, so dass er als einer der wichtigsten Vokalmusikkomponisten der Gegenwart gilt. "Ende der Handschrift" widmet sich den späten Gedichten von Heiner Müller, die von der Desillusionierung des modernen Menschen erzählen, etwa wenn es im Motto des Zyklus heißt: "Nur die Schreibmaschine/Hält mich noch aus dem Abgrund dem Schweigen/Das der Protagonist meiner Zukunft ist." Die vier Rilke-Lieder entnahm Rihm dem Gedichtkreis "Aus dem Nachlass des Grafen C. W." von Rainer Maria Rilke, der unter der Maske der fiktiven Figur C. W. eine Schreibblockade überwindet und Gedichte schreibt, die "aber nie so sich könnte(n) in mir ausgeformt haben". In den Liedern auf Gedichte der früh verstorbenen romantischen Lyrikerin Karoline von Günderode legt Rihm den Abgrund hinter den schwärmerischen Texten frei, sucht die Bruchstellen in dem vermeintlichen Vertrauten und formt das Porträt einer Dichterin, die letztlich nicht mehr zwischen Fantasie und Realität zu unterscheiden vermag.
Ultraschall Berlin - Festival für neue Musik
Radialsystem V
Aufzeichnung vom 21. Januar 2017
Wolfgang Rihm
"Ende der Handschrift", Elf späte Gedichte von Heiner Müller (1999)
"Rilke: Vier Gedichte" (2000)
"Das Rot", Sechs Gedichte der Karoline von Günderrode (1990)

Christoph Prégardien, Tenor
Christoph Schnackertz, Klavier