Ukraine-Wahl

Kiew muss zwei Übel bekämpfen

Der Maidan in Kiew
Der einstige Demonstrationsplatz Maidan: Von den Gewinnern der Wahl wird erwartet, dass sie die Forderungen von damals in die Tat umsetzen. © picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka
Von Sabine Adler · 27.10.2014
Das knappe Ergebnis der ukrainischen Parlamentswahl sei für die Machtbalance hilfreich, kommentiert Sabine Adler. Die Ukrainer hätten sich für Europa entschieden. Für einen Neuanfang nehmen sie viel in Kauf, solange ihnen die Politiker nicht in den Rücken fallen.
Die Ukrainer haben sich für Europa entschieden, die demokratischen Kräfte bilden eine überzeugende Mehrheit, die sie nutzen müssen, um ihr Land von zwei Übeln zu befreien. Zuerst muss der Krieg im Osten beendet werden. Für die Verteidigung des Territoriums hat die Regierung in Kiew die Bevölkerung hinter sich. Die Hilfe für die Armee, die Bereitschaft, selbst in einem Freiwilligenbataillon zu kämpfen, zeugen davon. Es ist ein Kampf, bei dem sich ein dritter Gegner mal einschaltet, mal zurückzieht: die russische Armee. Ob dem Land der Frieden vergönnt sein wird, hängt maßgeblich von Moskau ab.
Die Töne von dort klingen nicht versöhnlich, doch Präsident Poroschenko hat bislang mit Putin zumindest eine Sprache gefunden und einen Friedensplan verabredet. Ob er klar genug die ukrainischen Interessen benennt, muss sich noch erweisen, zum Beispiel am kommenden Wochenende, wenn die Separatisten ihre Wahlen in den besetzten Gebieten abhalten wollen. Der Verdacht wurde bereits laut, dass Poroschenko mit Putin nicht wirklich Tacheles redet, um sich seine Süßwaren-Geschäfte, nicht zu verderben. Stichwort Schokoladenkönig.
Unter Beobachtung
Womit die andere Front bereits genannt ist, der Kampf gegen Übel Nummer zwei: die Korruption. Jeder Ukrainer zahlt oder nimmt Bestechungsgelder, beim Arzt, der Polizei, Behörden überall. Die Bürger haben die alltägliche Erniedrigung gründlich satt.
Sie werden die unter genaueste Beobachtung nehmen, die gestern gewählt worden sind. Politik und Korruption werden stets in einem Atemzug genannt, kaum anderswo sind Politik und Kapital so eng verbunden wie in der Ukraine. Geld bestimmt, ob ein Kandidat auf den Wahlzettel, ins Abgeordnetenhaus kommt, ob er seine wirtschaftlichen Interessen politisch allein sichert, oder sich noch ein paar zusätzliche Strohmänner im Parlament hält.
Die alte Rada hat mit Ach und Krach kurz vor Toresschluss noch ein Antikorruptionsgesetz verabschiedet, die neuen Abgeordneten müssen es jetzt umsetzen und beweisen, dass zuerst sie selbst nicht sakrosankt sind.
Sie frieren fürs Vaterland
Im Abgeordnetenhaus werden viele alte Bekannte anzutreffen sein. Sie müssen das vollbringen, was Menschen am schwersten fällt: sich selbst zu ändern, ihre schlechten Gewohnheiten abzulegen. Nach den Erfahrungen vom letzten Jahr sollten die Politiker die Warnung der Bürger sehr ernst nehmen, denn die drohen bereits mit einem dritten Maidan, wenn es diesem Parlament, dieser Regierung nicht gelingt, der Schmiererei ein Ende zu setzen.
Dass die Parteien von Präsident und Premier fast gleichauf liegen, der Block Poroschenko nicht zu stark abschnitt, ist für die Machtbalance hilfreich, die Lehren aus dem Gezänk nach der Orangenen Revolution hoffentlich noch nicht vergessen. Die Ukrainer haben sich für Europa entschieden, was sie vor allem gleichsetzen mit Rechtsstaatlichkeit.
Sie sind für ein neues Parlament auf die Straße gegangen, das haben sie nun. Für den Neuanfang nehmen sie den Gasstreit mit Moskau in Kauf, sie frieren fürs Vaterland, sind zu bereit, das Tal weiter zu durchschreiten, aber nur solange sie sehen, dass ihnen die eigenen Politiker nicht in den Rücken fallen.
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