Ukraine

Swoboda-Partei ist "keine entscheidende politische Kraft"

Oleg Tjagnibok, Chef der Swoboda Partei in der Ukraine
Swoboda-Chef Oleg Tjagnibok bei einer Kundgebung in Kiew © dpa / pictrue alliance / Jan A. Nicolas
Wilfried Jilge im Gespräch mit Katrin Heise · 21.03.2014
Die ukrainische "Partei der Freiheit" Swoboda sei rechtspopulistisch und nationalistisch, meint der Leipziger Slawist Wilfried Jilge. Allerdings habe sie ihre Haltung zur EU geändert und sich "von gewissen Dingen distanziert".
Katrin Heise: Der Vorfall um den von Abgeordneten der rechten Swoboda-Partei mit körperlicher Gewalt zum Rücktritt gezwungenen ukrainischen Fernsehchef, dieser Vorfall ist Wasser auf die Mühlen der russischen Kritik am ukrainischen Übergangsparlament – natürlich. Die "Partei der Freiheit", also Swoboda, kann uns vielleicht aber Wilfried Jilge einordnen helfen. Er ist Osteuropa-Historiker und Slawist an der Universität Leipzig und lebt in Moskau und in Deutschland. Schönen guten Tag, Herr Jilge.
Wilfried Jilge: Guten Tag.
Heise: Die Gewaltanwendung der Swoboda-Abgeordneten gegen den Fernsehchef wegen angeblich russischer Propaganda, die wird auch vom Swoboda-Parteiführer Oleg Tjagnibok verurteilt. Er bittet aber um Verständnis. Sie, also die Abgeordneten, müssten erst lernen, nicht mehr in der Opposition zu sein und nun andere Mittel gegen Feinde der Ukraine anzuwenden. Ich finde, das klingt ziemlich entlarvend, Herr Jilge. Was ist das für eine rechte Partei, die da auf dem Maidan war und heute Regierungspolitik in Kiew mitbestimmt?
Jilge: Die allukrainische Vereinigung Swoboda ist bereits eine Gründung von 1991, die sich aber dann später erst diesen Namen zugelegt hat. Sie ist eine populistisch, eine rechtspopulistisch, integral-nationalistische Partei, die zweifelsohne von extremistischen Positionen kommt. Aus früheren Jahren hat man auch von dieser Partei, vor allem auch aus der Parteiführung, eindeutig antisemitische und xenophobe Aussagen gehört, und natürlich ist die Basis ein ethnonationaler ukrainischer Nationalismus, der übrigens auch einher ging mit einer sehr kritischen Einstellung zur Europäischen Union, zum Teil einer radikalen Ablehnung, was sich aber mittlerweile geändert hat.
Heise: Tatsächlich geändert hat, oder ist das eher, um jetzt dann sich nach oben bewegen zu können?
Jilge: Das sind ja immer bei Parteientwicklungen Dinge, die sich gegenseitig bedingen. Man muss sehen, wie sich Swoboda vor allem seit 2012/2013 entwickelt hat, als sie mit den anderen beiden Oppositionsparteien, der Batkiwschtschyna, der Vaterlandspartei von Timoschenko, und der Partei Udar von Klitschko, eine Opposition gebildet haben. Während der Zeit zum Beispiel auf dem Maidan, wo Swoboda eine wichtige Rolle spielte, wenn auch nicht die alleinige und entscheidende, hat zum Beispiel der Führer Tjahnybok gänzlich auf antirussische und fremdenfeindliche und schon gar antisemitische Äußerungen verzichtet. Das ist auch durchaus eine Entwicklung, die wir schon vor dem Maidan hatten. Und es ist keineswegs sicher, in welche Richtung diese Partei sich entwickelt. Es könnte sein, dass sie versucht, auf der Basis eines demokratischen Minimalkonsenses den rechten Posten in einem nationaldemokratischen Spektrum abzubilden, aber da muss man abwarten, wie nach dem Vorübergehen der Krise in der Ukraine, die natürlich auch disziplinierende Wirkung auf Parteien wie Swoboda hatte, die Entwicklung weitergeht.
Führerglaube und ethnischer Nationalismus
Heise: Gucken wir mal ein bisschen in die Vergangenheit, um Swoboda einordnen zu können. Die Partei beruft sich auf den 1909 geborenen Politiker Stepan Bandera, um den es in der Ukraine sehr viel Hin und Her gab. Für die einen ist er Nationalheld, für die anderen Nazi-Kollaborateur. Was waren seine Ziele? Er wird unter anderem auch verantwortlich gemacht für ein Massaker in Lemberg an 7.000 Menschen.
Jilge: Der 1909 in der Westukraine, dem heutigen Gebiet Iwano-Frankiwsk geborene Stepan Bandera, das heißt der im Staate Polens in der Zwischenkriegszeit geborene Bandera, ist vor dem Hintergrund der Entwicklung aus der ukrainischen Minderheit in Polen zu sehen. Bandera machte einen schnellen Aufstieg in der Organisation der ukrainischen Nationalisten, die sich 1929 gründete und auf den Positionen eines integralen Nationalismus mit Führerglaube, ethnischem Nationalismus stand und letzten Endes einen ukrainischen Staat anstrebte. Diese Organisation hat sich dann 40/41 geteilt in die sogenannten Melnik-Anhänger und eben die Bandera-Anhänger.
Ab da ist Bandera dann der Führer der OUN-B, der OUN-Bandera geworden, die so wie die Konkurrenten im eigenen Lager zeitweise mit den Deutschen kollaboriert haben, zeitweise aber auch nicht und einen unabhängigen ukrainischen Staat angestrebt haben, was wiederum den Deutschen völlig zuwider lief. Das heißt, das ist ein sehr komplexes Feld. An welchen Massakern, an welchen Verbrechen dann während des Zweiten Weltkrieges die OUN oder einzelne Vertreter beteiligt waren, ist höchst umstritten. Ziemlich sicher ist aber, dass die OUN-B beim deutschen Einmarsch in Lemberg und den dann folgenden Pogromen an Juden, auch die OUN-B, zumindest einzelne ihrer Vertreter aktiv beteiligt waren und das auch unterstützt wurde, was aber dann wieder nicht ausschloss, dass ihre Führer, nachdem die Deutschen in der OUN-B eine zu gefährliche Kraft sahen, die auch gegen ihre eigenen Ziele agierte, ins Gefängnis wanderten, einschließlich Bandera. Der hat dann von 1941 bis 44 im Gefängnis gesessen, unter anderem im Konzentrationslager Sachsenhausen.
Heise: Wie wir sehen, in dieser Gegend sehr verstrickt, hin und her, und dieses Hin und Her, der Umgang mit dieser Person Bandera, ist auch weitergegangen. Es ist ja noch gar nicht lange her, da bekam Bandera posthum den Ehrentitel "Held der Ukraine" von dem damaligen Präsidenten Juschtschenko, unterstützt von der damaligen Premierministerin Timoschenko. Inzwischen ist er wieder aberkannt worden, es gab nämlich große Proteste. Überzeugte Ablehnung sieht aber durchaus anders aus, oder?
Jilge: Man muss Folgendes sehen: Der Streit um Bandera und der Streit um das Erbe der ukrainischen Nationalisten wie auch der sogenannten ukrainischen Untergrundarmee, der UPA, die im Zweiten Weltkrieg gegen die Sowjets kämpfte, ist ein Streit zwischen politischen Apologeten, also diejenigen, die OUN und Bandera glorifizieren und ihre dunklen Seiten ausklammern, und zwischen Anti-Apologeten, die sie pauschal – und das ist ebenso fragwürdig – mit dem Nationalsozialismus oder als nationalsozialistische Kollaborateure gleichsetzen.
Dieser Streit hat vor allem eine politische Funktion, indem Politiker weniger daran interessiert sind, die Vergangenheit aufzuarbeiten, sondern diese unterschiedlichen gegensätzlichen Sichtweisen zur Mobilisierung ihrer Anhängerschaft einzusetzen. Auch diese Aberkennung des Ordens für Bandera, den Juschtschenko vergeben hat, geht einher übrigens mit ziemlich rechtlich fragwürdigen Prozessen. Das ist schon nach dem Machtantritt von Janukowitsch gewesen. Janukowitsch selbst hatte, als dieser Orden mal aberkannt war, dann auch überhaupt kein großes Interesse mehr gezeigt, diese schwierige Diskussion über die ukrainische Vergangenheit oder über diesen Aspekt der ukrainischen Vergangenheit weiterzuführen.
Janukowitsch gab Swoboda "einen guten Platz in den Medien"
Heise: Ich würde gerne noch auf das Heute kommen, Herr Jilge. Gestern Abend in einer Fernseh-Talkrunde sagte die deutsch-ukrainische Schriftstellerin Katja Petrowskaja über das Vorgehen von Swoboda, erst Janukowitsch und sein Vorgehen gegen die Maidan-Proteste hätten diese Partei eigentlich so mächtig gemacht. Das kann man doch so aber auch nicht sagen?
Jilge: Da ist aber was dran, denn Swoboda war ja lange Zeit nur eine marginale Kraft, und es ist richtig, dass Janukowitsch und die Oligarchen, die ihm nahe standen und auch die ukrainischen Medien beherrscht haben, bereits schon im Kommunalwahlkampf 2010 und dann auch im anschließenden Parlamentswahlkampf dafür gesorgt haben, dass häufig die Swoboda-Führer einen guten Platz in den Medien bekamen und auch Möglichkeit und Raum bekommen haben, ihre Thesen zu verbreiten, was man wiederum von der anderen Opposition, die eigentlich die Mehrheit der ukrainischen Protestwähler vertrat, nicht sagen kann. Das heißt, es war ein gezieltes Vorgehen von Janukowitsch, die Opposition zu diskreditieren, indem man Swoboda in den Vordergrund spielt. Das ist unter Beobachtern weitestgehend unumstritten.
Man muss auch Swoboda und auch den Vorfall vor drei Tagen richtig einordnen, denn im Unterschied zum Umgang mit dem Faschismus in Russland hat sich auch unter Journalisten eine Solidarität mit dem angegriffenen Redakteur sofort breit gemacht. Es gab ja eine Empörung in der Ukraine. Und denken Sie auch daran, dass Swoboda eine Partei ist, die bei den Parlamentswahlen 10,4 Prozent hatte, viele Protestwähler auch aus der nationaldemokratischen Mitte aufsaugte. Das war auch eine Antwort auf die Sozial- und Sprachpolitik Janukowitschs. Und heute liegen sie bei vier, fünf Prozent und wissen gar nicht, ob sie bei den nächsten Wahlen ins Parlament kommen.
Heise: Das heißt, müssen wir vor einem Erstarken der Rechtsradikalen in der Ukraine keine Angst haben?
Jilge: Man kann auf jeden Fall nicht sagen, dass das eine Kraft oder dass das Strömungen sind, die in irgendeiner Weise die Möglichkeit zur strategischen Mehrheitsbildung haben. Das kann überhaupt nicht sein. Auch ihre jetzigen Posten in der Regierung sind eher weniger bedeutend. Wichtig scheint mir vor allem – und das gilt auch für die jüngere Generation in der Ukraine –, dass über Swoboda selbst und über solche Aktionen, wie sie von diesen Swoboda-Leuten begangen wurden vor drei Tagen, eine Debatte entsteht und dass auch öffentlich diskutiert wird und die Debatte ja über diesen Vorgang selbst in der Ukraine auch öffentlich gemacht wurde und jetzt auch nachgeprüft wird, übrigens auch strafrechtlich, von den ukrainischen Behörden verfolgt wird. Das ist entscheidend.
Man muss das beobachten, aber wie gesagt: man sollte auch beobachten, dass Swoboda sich heute von gewissen Dingen distanziert. Und es wird jetzt die Frage sein, wo man in Swoboda auch hin will. Will man eher so was wie eine demokratische Rechtspartei sein, oder versucht man, später wieder Radikale einzufangen. Das ist eine offene Sache, die muss man beobachten. Aber insgesamt ist Swoboda keine entscheidende politische Kraft zurzeit in der Ukraine.
Heise: Und es wird tatsächlich über sie diskutiert. Der Osteuropa-Historiker und Slawist von der Universität Leipzig, in Berlin und Moskau zuhause, Wilfried Jilge. Ich danke Ihnen, Herr Jilge, für diese Einordnung.
Jilge: Danke schön! Wiedersehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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