Krim-Krise

Der Krim-Konflikt und alte Feindbilder

Ernst-Jörg von Studnitz im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 05.03.2014
Die Bundesrepublik sollte sich in der Ukraine-Krise stärker als Vermittler zwischen Russland und dem Westen einbringen, meint Ernst-Jörg von Studnitz, ehemaliger deutscher Botschafter in Moskau und Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums. Denn die EU habe gegenüber den USA einen entscheidenden Vorteil.
Jörg Degenhardt: Glauben wir mal, was Putin sagt. Der sieht derzeit keine konkreten Anlass für eine Militäraktion in der Ukraine. Andererseits hat er ja auf der Krim in den vergangenen Tagen auch schon Fakten geschaffen, als Einheiten russisch sprechender Uniformierter die Halbinsel besetzten. Wir wissen mittlerweile, das alles kann sich ganz schnell ändern, aber wir wissen auch, um die Lage richtig zu beurteilen, braucht es einerseits Informationen und Fakten; was es nicht braucht, sind Vorurteile und Klischees. Über Letztere will ich gleich reden, mit dem ehemaligen Botschafter Deutschlands in Moskau, mit Ernst Jörg von Studnitz. Zunächst aber ist unsere Korrespondentin in der russischen Hauptstadt dran, Gesine Dornblüth.
In Moskau hat viele Jahre Ernst-Jörg von Studnitz als deutscher Botschafter gearbeitet, ganz genau von 1995 bis zum Jahr 2002. Er ist mittlerweile Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums und jetzt am Telefon. Guten Morgen!
Ernst-Jörg von Studnitz: Guten Morgen, Herr Degenhardt!
Degenhardt: Sind die Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen wirklich so schlecht, wie wir das die letzten Tage gehört haben, dass Vergleiche mit dem Kalten Krieg gerechtfertigt sind?
von Studnitz: Man sollte solche Vergleiche nicht gleich in den Raum stellen, weil es immer dann auch zu weiteren Belastungen führt. Denn der Begriff Kalter Krieg ist ja nun verbunden mit einer wirklich sehr komplizierten Situation über viele Jahre hinweg. Und wenn man jetzt diesen Begriff gleich wieder auf diese Situation anwendet, so wird das Denken in eine gewisse Richtung gelenkt, das für eine weitere Entwicklung eventuell und dann letztlich ja doch eine Lösung der Frage Ukraine und Krim nicht förderlich ist. Deshalb würde ich solche Begriffe ungern verwenden.
Degenhardt: Sie sind ja schon viele, viele Jahre im diplomatischen Dienst, aber können Sie sich an ähnliche Krisen erinnern?
von Studnitz: Nein, eigentlich mit dieser Schärfe nicht. Vielleicht der Kosovo-Krieg 1999. Da hat es ja auch scharfe Auseinandersetzungen zwischen den NATO-Ländern, geführt von Amerika, und Russland gegeben. Also da war die Stimmung doch sehr aufgeheizt, vor allen Dingen in Moskau, weil da natürlich das Heft des Handelns weitgehend in der Hand des Westens war und nicht der Russen.
Degenhardt: Putin wird im Westen gerne als machthungrig dargestellt, der auf Menschenrechte pfeift, dem man nicht trauen kann. Wird man ihm mit dieser Beschreibung und allein mit dieser Beschreibung, gerecht?
von Studnitz: Ich würde auch hier den Begriff "machthungrig" nicht verwenden, sondern ich würde sagen, das ist ein Mann, der ganz konsequent die – man kann ja sagen, vermeintlichen – aber auf jeden Fall von ihm so aufgefassten russischen Interessen verfolgt und da durchaus auch ganz andere Wege beschreitet, als wir sie gerne sähen hier im Westen.
Faschisten, Extremisten … – Polarisierungen in der Krise
Degenhardt: Fast täglich, umgekehrt, warnt Moskaus Staatsführung vor Faschisten und Extremisten, die nun in Kiew an die Macht gekommen seien, und zwar mit Hilfe der USA und anderer westlicher Länder. Mit Faschisten waren dereinst die Deutschen gemeint, die die Sowjetunion 1941 überfallen haben. Ist es Zufall, dass dieser Begriff jetzt wieder so häufig und bezogen auf die Putin-Kritiker auftaucht?
von Studnitz: Nein. Das hat einen anderen Grund. Es wird natürlich in so einer Krise immer polarisiert, von beiden Seiten. Und um die Geschlossenheit auch der eigenen Gefolgschaft hier in Russland herbeizuführen, ist natürlich der Begriff "Faschisten" ein sehr probates Mittel. Und natürlich gibt es gewisse Kreise in der Ukraine, die sehr stark rechtsgerichtet sind, die nationalistisch sind, und die, und das ist eigentlich der Grund, weshalb man von Faschisten überhaupt reden kann, in den Auseinandersetzungen, die dem Krieg folgten, über Jahre hinweg der Sowjetmacht widerstanden haben. Und da sie in den Kriegsjahren und in der Nachkriegszeit – in den Kriegsjahren sich mit den Deutschen verbündet hatten gegen die Sowjets, wird ihnen das Etikett "Faschisten" jetzt aufgeklebt. Obwohl natürlich das mit dem Faschismus, so wie wir ihn unter Hitler oder Mussolini in Italien erlebt haben, gar nichts zu tun hat. Aber das sind eben radikale Nationalisten.
"Wir wollen nur ukrainisch sein"
Degenhardt: Herr von Studnitz, haben wir vielleicht zu sehr ausgeblendet, dass diese Nationalisten, die von den Russen als Faschisten bezeichnet werden, dass die in der Ukraine doch vielleicht mehr zu sagen haben, als wir uns manchmal eingestehen, im Zuge jetzt auch dieser Übergangsregierung? Also, wie real ist die Bedrohung für die Russen in der Ukraine. Eine der ersten Maßnahmen war ja zum Beispiel, dass Russisch als zweite Amtssprache abgeschafft werden sollte.
von Studnitz: Also, das war eine ausgesprochen törichte Entscheidung. Wenn es zu einer friedlichen Lösung am Ende in der Ukraine kommen soll, und darauf hoffen wir ja alle, dann kann es nur unter Anerkennung der Tatsache geschehen, dass eben ein großer Teil der Menschen in der Ukraine – ich weiß nicht, sind das 30 Prozent, sind es mehr oder weniger – russischsprachig sind und die gar kein Ukrainisch beherrschen. Also ihnen zu versagen, ihre Sprache zu benutzen, bei Behörden, vor Gericht und so weiter, ist einfach eine ausgesprochen törichte Entscheidung gewesen. Dass es da solche Kräfte gibt, die sagen, wir wollen nur ukrainisch sein, das ist ganz klar – das Gegenbeispiel dazu sind die Menschen, die auf der Krim sagen, wir wollen nur Russen sein. Solche Konflikte bringen immer die radikalen Kräfte nach vorne. Aber ich glaube nicht, dass in der Ukraine die Mehrheit der Bevölkerung diesen sehr starken, zugegebenermaßen starken rechten Richtungen tatsächlich folgen will. Aber das erklärt sich für mich aus der aufgeheizten Stimmung, in der sich die Ukraine gegenwärtig befindet.
Degenhardt: Wir alle wollen natürlich, dass die Entwicklung in der Ukraine friedlich weitergeht. Speziell aus den USA hört man auch, ihr, ihr Deutschen könntet dort in besonderer Weise tätig werden als Vermittler. Sehen Sie auch die Chance, dass die Deutschen hier als Ansprechpartner für Moskau einiges regeln könnten, um diese friedliche Entwicklung zu befördern?
von Studnitz: Das sehe ich sehr wohl. Die Frage ist, wie stark das Gewicht Deutschlands als Vermittler am Ende tatsächlich sein kann. Eines aber ist richtig: Wir Deutschen finden in Russland eher Gehör als die Amerikaner. Denn die Amerikaner werden immer als der weltpolitische Gegner aufgefasst, der auch letztlich darauf abzielt, einen Regimewechsel in Russland herbeizuführen. Und das ist ja nicht unsere Politik. Wir sagen, wir müssen von den Gegebenheiten, so wie sie sind, ausgehen. Wir müssen mit einem Russland, wie immer es sich gestaltet, müssen wir existieren, müssen wir leben, müssen wir einträgliche Beziehungen entwickeln. Die historischen Erfahrungen der Deutschen und der Russen sind viel zu groß und viel zu gewichtig, als dass man sich noch einmal in eine Konfrontation hineinbegeben kann. Und da sind Ansatzpunkte natürlich auch für eine vermittelnde Funktion da.
Degenhardt: Und Sie sehen nicht die Gefahr, dass durch die Vermittlung des Außenministers Steinmeier in Kiew vor wenigen Wochen, dass sozusagen diese Mission gewissermaßen schon beschädigt wurde, weil man Partei ergriffen hat?
von Studnitz: Das sehe ich eigentlich nicht. Schauen Sie, der Besuch der drei Außenminister Steinmeier, Fabius und Sikorski in Kiew war der Versuch, zu vermitteln. Dass dieser Versuch, zu vemitteln, dann gescheitert ist, einfach weil es von den, man kann wohl sagen, revolutionären Kräften des Maidan überrollt worden ist – nun gut, das ist das Schicksal eines Versuchs, der eben nicht gelungen ist. Dadurch aber zu sagen, sein Ansehen oder seine Möglichkeiten, auch weiter zu agieren, seien so stark beschädigt, dass das eigentlich keine Aussicht auf Erfolg habe, dem schließe ich mich nicht an.
Degenhardt: Ernst-Jörg von Studnitz, ehemals deutscher Botschafter in Russland – er ist mittlerweile Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums. Vielen Dank für das Gespräch!
von Studnitz: Bitte schön, Herr Degenhardt!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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