Über die Grenze

Von Thilo Guschas · 14.06.2008
Das Misstrauen, das in Deutschland zwischen Christen und Muslimen herrscht, bündelt sich besonders im Thema Konversion, wenn Muslime zum Christentum wechseln. Es geht um weit mehr als nur den verletzten Stolz, Anhänger an eine andere Religionsgemeinschaft zu verlieren. Der theologische Konflikt vermischt sich mit einer zentralen ideologischen Frage - ob sich der Islam in eine demokratische Ordnung fügen kann.
Sabatina James: "Sie haben mir zwei Wochen Zeit gegeben. Innerhalb von diesen zwei Wochen sollte ich mich entscheiden, wieder Muslimin zu werden."

Nassim Ben Iman: "Ich habe sogar die ersten Jahre, nachdem ich konvertiert war, noch nicht einmal öffentlich bekannt gemacht innerhalb der Familie oder der muslimischen Freundeskreise, dass ich konvertiert war, zog mich aus dem Freundeskreis nach und nach zurück, wobei ein Umzug von mehreren hundert Kilometern mir da sehr entgegen kam."

Den Islam verlassen – Christ werden. Das ist im Islam verboten.

Nassim Ben Iman: "Als ich meiner Familie dann erklärt hatte, dass ich konvertiert war, habe ich natürlich auch innerhalb meiner Familie sehr, sehr schwere Repressalien erdulden müssen und Angriffe auf meine Person, auf meine Glaubensrichtung, auf meine Denkweise."

Sabatina James: "Und das ist geschehen im Rat der Familie. Da war mein Cousin da aus Pakistan, ein geistlicher Mann, ein Freund von meinem Vater, und meine Mutter und meine Brüder, und dann wurde mir das von meinem Vater gesagt: innerhalb von zwei Wochen muss ich wieder Muslimin werden. 'Muhammad annehmen', wörtlich. Wenn nicht, dann würden sie mich umbringen."

Konvertieren, eine Grenze übertreten, von einer Religion zu anderen. Schnell sind dabei auch politische und ideologische Barrieren berührt. Muslime, die im Westen leben, stehen unter Verdacht, Menschenrechte und Religionsfreiheit nicht zu respektieren. Ihnen wird vorgeworfen, Muslime, die zu Christen werden, zu bedrohen.

Ramazan Ucar: "Ich als Imam würde meine Religion erklären. Das ist meine Aufgabe, als Muslim, als Imam, als Vorbeter."

Ramazan Ucar, vom Bündnis der Islamischen Gemeinschaften Norddeutschland, zu der Frage, wie er einem Muslim begegnen würde, der offen bekennt: Ich möchte Christ werden.

Ramazan Ucar: "Ich werde ihn fragen: Wieso wechselst du deine Religion? Ich finde es nicht gut, wenn jemand seine Religion von heute auf morgen wechselt, sondern man sollte es genau überlegen. Religion ist kein Spiel. Ich als Mensch empfehle allen, die eigene Religion gut zu studieren."

Zulhajrat Fejzulahi: "1986 habe ich einen Brief bekommen. Ich habe einen besseren Glauben gefunden, er hat mir einen Kühlschrank gegeben, er hat mir einen elektrischen Herd gegeben, er hat mir eine Waschmaschine gegeben, und ich finde dieser Glaube ist für mich besser als der islamische."

Imam Zulhajrat Fejzulahi vom islamisch-albanischen Kulturzentrum Hamburg.

Zulhajrat Fejzulahi: "Da habe ich gesagt, wenn so ein Glaube ist – wenn Sie für so etwas Ihren Glauben geändert haben, dann machen Sie weiter. Ich habe auch kein Kommentar gehabt."

Sabatina James: "Sie erleben Bedrohung, so wie ich, und leben sehr abgeschottet. Sie erleben sehr viel Hass von der islamischen Gemeinde."

Nassim Ben Iman: "Und ich übertreibe nicht einmal, wenn ich sage, die ersten Morddrohungen kamen nicht von irgendwelchen aufgebrachten Moslems, sondern aus den eigenen Reihen meiner Familie. Es gab es sehr viele harte, hässliche Szenen, über die ich nicht gern in der Öffentlichkeit spreche aus Respekt meiner Familie gegenüber."

Wo verläuft beim Islam die Grenze zum Volksglauben? Stammt die familiäre Gewalt, die Konvertiten wie Nassim Ben Iman zu spüren bekommen, wirklich aus islamischen Quellen?

Ramazan Ucar: "Was sagt der Koran dazu? Gibt es da irgendeine Strafe? Das finden wir im Koran nicht. Was wir im Koran sehen: Allah redet über Ungläubige. Diese Ungläubigen finden wir in der Bibel, in der Taura und so weiter. Das heißt, jede Religion ruft ihre Anhänger zu sich. Wenn man nicht glaubt, geht man zur Hölle oder zu einer anderen Seite."

Zulhajrat Fejzulahi: "Zwang im Islam gibt es nicht. Es gibt ganz klare Texte im Koran, 'la ikrah fi d-din' – es gibt keinen Zwang im Glauben und 'lakum dinakum wali ya din' – ihr habt euren Glauben, und ihr behaltet euren Glauben, und ich bin verantwortlich für meinen Glauben."

Nassim Ben Iman: "Das ist richtig so. Der Koran hat Verse, in denen es heißt, Allah führt in die Irre, wen er in die Irre führt, und führt auf den rechten Weg, wen er auf den rechten Weg führt. Es ist gesagt, dass die Ungläubigen und die, die abgefallen sind, dass sie dann in der Hölle sind."

Nassim Ben Iman, der bereits vor Jahren zum Christentum übergetreten ist, ist überzeugt: Wenn Konvertiten, die den Islam verlassen, bedroht und sozial ausgegrenzt werden, ist das kein falsch verstandener Glaube, sondern das ist Teil des Islams. Imam Ucar hält dagegen.

Ramazan Ucar: "Ich glaube, das hat mehr mit Bildung der Menschen zu tun und nicht mit dem Koran. Der Koran redet allgemein über Glaube und Nicht-Glaube. Das heißt, die Leute, die an Gott geglaubt haben, Allah verspricht diesen Leuten ein Paradies und ein gutes Leben, und für diejenigen, die das nicht gemacht haben, da macht der Koran keinen Unterschied zwischen den Religionen. Es geht um Glaube an einen einzigen Gott, nicht um Judentum oder Christentum oder Atheismus oder sonst was. Diese Morddrohungen, was wir aus Afghanistan gehört haben, das hat nicht mir islamischen Quellen, das kommt aus bestimmten Völkerschichten."

Zulhajrat Fejzulahi: "Wenn so etwas passiert, in einem islamischen Land, wo die islamischen Gesetze herrschen, soll man ein Gericht einschalten, und ihn fragen, warum er das macht. Wenn es etwas unklares gibt, soll man das klären. Dann nachher gibt man eine Frist von drei Tagen, dann, wenn nicht, dann ist Todesstrafe."

Nassim Ben Iman: "Der Aufruf zum Mord an sich ist in den Hadithen begründet. Das ist ein Vermächtnis Muhammads, was er selbst nicht nur angeordnet hat, sondern auch gelebt hat."

Ramazan Ucar: "Ich finde im Koran nicht, dass Menschen andere Menschen bestrafen. Das gibt es im Koran nicht, und auch in der Sunna nicht."

Der arabische Begriff "Sunna" steht für die Taten des Propheten Muhammads. "Hadithe", Überlieferungen zum Leben Muhammads, sind neben dem Koran die zweite Hauptquelle des Islams. Hierzu Sabatina James, die im Alter von 17 Jahren zum Christentum konvertiert ist.

Sabatina James: "In den Hadithen in 'Sahih al-Buchari' steht: 'Man badala dinahu faqtalahu', das bedeutet: 'Wer immer seine Religion ändert, den tötet'. Das sind die Worte des Propheten Muhammad und jeder gläubige Muslim muss seinen Worten folgen."

Ramazan Ucar: "So deutliche Stellen gibt es im Koran nicht. Auch in der Sunna nicht. Wenn jemand seine Religion wechselt – diese Aussage des Propheten hat mehr mit Kriegssituationen zu tun, wenn ein Spion von islamischer Seite Informationen zu der anderen Seite liefert, in einem Kriegsfall, da gibt es härtere Strafen, und da müssen die einzelnen Richter entscheiden, was sie für eine Strafe geben."

Imam Zulhajrat Fejzulahi redet offen: Ja, es gibt da diesen Hadith.

Zulhajrat Fejzulahi: "Das ist ein Hadith, der sagt, wenn jemand vom Islam weggeht, und gegen den Islam irgendwelche feindlichen Motive hat, dann ist diese Todesstrafe vorgeschrieben. Das ist ein Hadith, und in der islamischen Geschichte ist das praktiziert worden, einige Male."

Unter den muslimischen Gelehrten herrscht Konsens. Der Hadith "Wer seine Religion wechselt, den tötet" bedeutet, dass man uneinsichtige Konvertiten mit dem Tode bestrafen kann. Für muslimische Reformer, die die Menschenrechte stärken wollen, ist der Hadith eine Last. Der Wortlaut des Prophetens ist unmissverständlich und lässt keinen Spielraum.

Sabatina James: "Ich finde grundsätzlich jede Bestrebung im Islam, die dazu führt, dass Muslime moderater werden, sehr gut, und ich persönlich würde diese Menschen auch persönlich unterstützen. Ich frage mich nur, wie sie sich auf den Koran stützen wollen."

Nassim Ben Iman: "Es ist viel gesagt worden zum Thema 'Euro-Islam', zum Islam, der sich integrieren lässt in die westliche Gesellschaft. Meiner Meinung nach ist ein Islam, der in die westliche Kultur hineinpasst, ein veränderter Islam. Man ändert also den Koran und die Grundverse. Man ändert die mündlichen Überlieferungen, die Aussprachen und Anweisungen Muhammads, und ignoriert die Geschichte des Islams und das Leben Muhammads, woraus sich heute vieles ja herleitet, im heutigen Verhalten gegenüber Konvertiten. Einen Islam zu reformieren, einen Koran zu reformieren, das heißt also abzuändern, und an diese Gesellschaft anzupassen. Welcher gläubige Muslim, für den das heilige Buch, der Koran, von Gott gegeben ist, welcher gläubige Muslim ist bereit, dieses Buch zu verändern?"

Zulhajrat Fejzulahi: "Sehen Sie: ein Hadith sagt, wer jemand anderen tötet, wird selbst getötet. Wird das praktiziert? Und was wollen Sie jetzt noch? Das ist ein Hadith. Wenn jemand fremdgeht, der verheiratet ist, muss er gesteinigt werden. Wird das praktiziert? Und das gleiche ist auch dies. Der Hadith ist da, aber die Praxis ist etwas anderes. Wir können den Hadith nicht ändern, und ich will den Hadith auch nicht ändern, deshalb bestätige ich – aber unter bestimmten Bedingungen."

Ramazan Ucar: "Ich als Mensch empfehle allen, die eigene Religion gut zu studieren. Wenn man Zweifel hat, geht man zum Pastor, zum Imam, zum Rabbiner und sagt "ich habe in meiner Religion Schwierigkeiten, ich möchte informiert werden". Aber man sollte nicht sofort die Religion wechseln. Wenn man gut aufgeklärt ist, dann entscheidet man selber, wo man hingeht. (Guschas: Und wenn diese Aufklärung zu nichts führt, was würden Sie dann machen?) Dann wünsche ich ihm alles Gute in seiner zukünftigen Religion und seinem zukünftigen Leben."

Doch auch wenn ein Imam tolerant auftritt, wenn ein Konvertit bei ihm vorspricht – zunächst ist da die eigene Familie, der er sich stellen muss. Theologie nicht als akademische Erörterung. Theologie als brutale, soziale Realität.

Sabatina James: "Ich habe damals in Linz gewohnt und ich bin geflüchtet aus Linz. Ich hatte Sozialarbeiter, die mir damals empfohlen hatten, einfach Linz zu verlassen. Also ich kenne keinen Konvertiten, der zum Christentum konvertiert und vorher ein Muslim war, der einfach so mit der Familie zusammen weiterleben kann. Das ist ein Wunschdenken, dass es dann so tolerant zugeht und so weiter. Es entspricht nicht der Realität. Da ist garantiert ein Bruch mit der Familie zu 99 Prozent. Ich habe ab und zu E-Mail-Kontakt zu meiner Schwester, das ist alles."

Nassim Ben Iman: "Glücklicherweise geschah das fast unmögliche, obwohl meine Familie sehr konservativ war, war es dann irgendwann so, dass sie zwar nicht glücklich mit meinem Weg waren, sogar nach wie vor enttäuscht, verletzt – aber es hat eine Annäherung wieder stattgefunden, sodass sich dann im Lauf der Jahre die Beziehung sogar normalisiert hat."

Ein Bruch mit der Familie hat besonders in der islamischen Welt verheerende Folgen, wo die Familienbande weitaus enger und wichtiger sind als in Deutschland. Doch Gewalt droht nicht nur in Familienverband, sondern auch von Fundamentalisten. Ramazan Ucar betont jedoch: wenn es in Deutschland geschieht, handele es sich um Einzelfälle.

Ramazan Ucar: "Die islamischen Verbände in Deutschland haben diese Leute nicht bedroht. Es gibt keinen konkreten Fall von Islamwissenschaftlern oder Dachverbänden oder Moscheen. Das heißt, auf der Straße, wenn ein Muslim einen anderen Menschen bedroht, darf man das nicht verallgemeinern. Das umgekehrte passiert auch auf der Straße. Wenn ein Deutscher einen ausländischen Mitbürger angreift, das bedeutet nicht, dass alle Deutschen so sind."

Zulhajrat Fejzulahi: "Niemand soll für etwas anderes Muslim sein oder Christ oder sonst was. Nur aus dem Prinzip. Und wenn jemand nicht aus Prinzip Muslim ist, was soll ich mit dem? Der Islam braucht solche Leute nicht. Und der Islam leidet nicht von so was."

Sabatina James: "Es ist nicht so 'herzlich willkommen', es ist uns egal, ob du weggegangen bist, nein – ein extremer Druck von den radikaleren Muslimen. Solange du den Islam oder das Wort Allahs nicht hinterfragst, bist du akzeptiert, ich sage nicht 'geliebt' – akzeptiert."

Nassim Ben Iman: "Im Moment ist es wirklich so, dass in jüngster Welle auf muslimischen und islamistischen Seiten mein Name groß in der Diskussion ist, und meine islamkritischen Vorträge. Man wünscht sich ganz öffentlich den Tod meiner Person."

Ramazan Ucar: "Von wem denn? Das muss man fragen. Wenn ich eine Bedrohung erhalte, gehe ich zur Polizei und sage 'der und der bedroht mich'. Ich empfehle diesen Leuten, direkt zur Polizei zu gehen und zu sagen 'ich habe eine Bedrohung erhalten'. "

Nassim Ben Iman: "Das Tragische ist, solange es jemand sagt, "den müsste man umbringen", kann ich mich darauf berufen und sagen "Hunde, die bellen, beißen nicht". Aber ich komme selbst aus dem konservativen Islam und ich weiß, dass es leider Menschen gibt, deren Beiträge vielleicht nie in irgendwelchen Foren auftauchen würden, und die sind dann richtig gefährlich."


Zulhajrat Fejzulahi: "Ich habe keine Probleme mit dem Grundgesetz hier in Deutschland. Und ein Muslim sollte keine Probleme haben mit dem Grundgesetz von dem Staat, in dem er lebt, ob nun in Frankreich, oder in Europa oder in Afrika oder Asien, weil die Gesetze für die Menschen gemacht worden sind. Wenn etwas islamisch da fehlt, ausnahmsweise kann man das überleben und Gott weiß das und Gott ist barmherzig. Und er ist so gut und hat so eine große Barmherzigkeit und sagt: Mach weiter, ich weiß, in was für einer Situation du lebst. Was wollen wir noch mehr. Ich mache, was in meiner Möglichkeit liegt als Muslim. Wenn ich Konflikte schaffe, ist Gott nicht zufrieden."

Fejzulahi lässt unbequeme Hadithe und Koranstellen einfach weg. Das ist keine theologische Lösung, sondern eine menschliche. Eine solche Lösung stellt Nassim Ben Iman nicht zufrieden. Er gibt sich zwar optimistisch, doch selbst in seinem Optimismus ist Wut und Verbitterung zu spüren.

Nassim Ben Iman: "Ich sehe leichte Veränderungen in den letzten Jahren, weil es einfach zu viele Leute gibt, die denken können, die lesen können, die recherchieren können. Das ist gut so. Ich sehe einfach, dass Menschen, gerade die, die sich für Menschenrechte einsetzen, für Demokratie und Freiheit – und das sind gerade Menschen, die sich mit dem Islam befassen –, dass sie sehen: das passt einfach nicht ins Konzept. Ich hoffe, dass das stark zunehmen wird, dass die Gesellschaft irgendwann aufwacht und den bedrohlichen Islam einfach verbannt."

Sabatina James schlägt noch einen anderen Ton an. Im Grunde müsse sich der Westen nicht wundern. Dass radikale Muslime die Konvertiten derart anfeinden, sei ein wenig auch ein hausgemachtes Problem.

Sabatina James: "Ich habe das damals erfahren, weil ich zum Beispiel mit Christen diskutiert habe, als Muslimin, dann haben die über Jesus gelästert, und haben gelacht und Witze gemacht darüber und dann habe ich mir gesagt: Na gut, ich glaube, diesen Menschen ist wirklich nichts heilig. Es ist kein Familiensystem da, kein Zusammenhalten, ich glaube an gar nichts, ich glaube an mein Geld, und das ist alles. Und das erleben viele junge Menschen, die aus der Türkei oder islamischen Ländern kommen, und bei denen ist dieser Zusammenhalt in der Familie. Dadurch radikalisieren sie sich. Und das liegt auch am Werteverfall in Deutschland."


Quellen:
Heffening, W. (1993), Murtadd, Encyclopaedia of Islam2, Vol. VII, 635f. (Anmerkung: murtadd ist das arabische Wort für "Abtrünniger".)
Schirrmacher, Christine (2005), Wenn Muslime Christen werden – Verfolgung und Strafe von Konvertiten, Arbeitshilfen der Lausanner Bewegung 10, Die evangelische Allianz in Deutschland.
Tellenbach, Silvia (2006), Die Apostasie im islamischen Recht, Online-Publikation, März 2006. Homepage der Gesellschaft für Arabisches und Islamisches Recht e.V., vgl. www.gair.de/tellenbach_apostasie.pdf