TV-Serie "Westworld"

Deine Puppen schlagen zurück

Die Schauspielerin Evan Rachel bei der HBO-Premiere der Serie "Westworld"
Die Schauspielerin Evan Rachel bei der HBO-Premiere der Serie "Westworld" © imago/Independent Photo Agency
Von Stefan Mesch · 14.12.2016
Foltern, töten, vergewaltigen - in einem Wildwest-Park voller Roboter? Die TV-Serie "Westworld" zeigt künstliche Frauen, im Kampf gegen die Opferrolle. Lohnt es sich, das anzuschauen? Stefan Mesch hat es getan.
Autor Michael Crichton schrieb 1990 "Jurassic Park" – ein Buch und eine Verfilmung über einen Freizeitpark, in dem geklonte Dinosaurier außer Kontrolle geraten. Schon 1973 schrieb er "Westworld" - einen Kinofilm über einen Freizeitpark, in dem ein Roboter-Cowboy außer Kontrolle gerät. "Westworld" ist ein geradliniger, fast primitiver Thriller über einen naiven Urlauber, der plötzlich ganz allein durch Kulissen und Parkanlagen flüchtet, verfolgt von einer gnadenlosen Maschine.
Der Höhepunkt des Films war wegweisend für viele Horrorfilme und Science-Fiction-Blockbuster: dunkle Korridore, stampfende Musik, ein überforderter Mensch gegen einen perfekten Killer. Szenen, die heute langweilen - weil wir sie seit Jahrzehnten kennen. Interessanter ist der Start des Films. Crichton fragt: Welche Menschen zahlen 1000 Dollar, um Puppen, Marionetten zu jagen und zu töten? Wie handelt man in einer Spielwelt, in der man unverletzbar ist? 1973 war Crichton sicher: Wer so viel Macht über andere will, dass er unangreifbar ist, nutzt diese Macht am liebsten für Mord und Missbrauch. "Westworld" ist keine kindliche Roboter-Fantasie. Sondern von Anfang an eine erstaunlich schauderhafte, kritische Satire über Machtgefälle, Moral, sexuelle Dominanz.

Zehn Episoden voller Vergewaltigungen und sinnlosen Morden

Doch wie erleben die künstlichen Menschen, Puppen, Cowboys im Park das viele Morden und Vergewaltigen? Wie fühlen sich Randfiguren eines Spiels oder einer Geschichte, deren Verletzlichkeit und Leid nur dazu da sind, um das Ego der reichen Besucher zu stärken? In zehn Episoden von 2016 zeigt Staffel 1 der TV-Serie "Westworld" kaum Action, Wildwest-Abenteuer. Sondern Vergewaltigungen, rücksichtslose Parkbesucher, sinn- und geschmackloses Morden.
Und wehrlose Roboter, die sich allmählich fragen: Was stimmt nicht mit meiner Wirklichkeit? Warum scheinen meine Rollen so vorbestimmt? Künstliche Frauen, die begreifen: Im Wilden Westen sind Frauen oft nur Objekte. Im Westworld-Park sind alle Rollen nur Kanonenfutter für privilegierte Reiche. "Westworld" ist drastisch, zynisch, oft überraschend freudlos: explodierende Köpfe, wimmernde Mädchen. Ich kenne kein Videospiel, dessen Spieler so humor- und rücksichtslos durch die Spielwelt wüten. Ich kenne keine Serie, in der die Mächtigen die Schwachen so genussvoll foltern.

Anthony Hopkins in der Rolle des Parkleiters

Evan Rachel Wood als Farmertochter Dolores und Thandie Newton als Bordellbetreiberin Maeve werden oft hinter die Kulissen gerufen, für Verhöre, Updates, Tests ihrer Wahrnehmung: Sie sitzen nackt in futuristischen Labors und werden von den Machern des Parks immer neu manipuliert (oder von den Technikern heimlich begrapscht). Anthony Hopkins als Parkleiter Dr. Ford stellt große philosophische Fragen: Was ist Bewusstsein? Wie geht der Mensch mit unterlegenen Gegnern um? Wie muss eine Geschichte verlaufen, damit ein zahlender Besucher sich als Held fühlt?
Leider sind solche Szenen über die Macher und die Ideologie des Parks oft klischeebeladen: mobbende Angestellte, Intrigen im Büro, Industriespionage, Maulwürfe und Verräter - wie in jeder Polit-Soap. "Westworld" ist eine Serie, in der Dramaturgen, Anthropologen und Experten minutenlang offen diskutieren, was ein "gutes Narrativ" ausmacht. Doch leider ist das Narrativ der Serie selbst oft etwas abgeschmackt, konventionell. Eine Serie, die fragt, wie Menschen Geschichten und Rollen benutzen, um sich selbst zu verstehen - doch dabei dabei eine Geschichte voller Wendungen und Rollen erzählt, die Fans von "Lost", "Kampfstern Galactica" oder "Game of Thrones" oft langweilen muss: Die Roboter bleiben sympathische, aber fremdbestimmte, unmündige, überforderte Puppen. Die Menschen bleiben zynische Ekelpakete. Ein unvergesslicher Soundtrack, grandiose Landschaften, viele drastische Momente und zwei tolle Hauptdarstellerinnen machen "Westworld" sehenswert.

Am Ende von "Westworld" bleibt Ekel vor fast allen Figuren

Doch die Fragen, die hier gestellt werden - "Braucht ein Mensch Leid, um zum Menschen zu werden?", "Verdirbt Macht, unweigerlich?", "Kann man nur Held sein, indem man andere in Nebenrollen zwingt?" - bleiben meist viel tiefsinniger als alle Versuche der Figuren, darauf Antworten zu finden. "Das ist eine Metapher", sagt Anthony Hopkins. "Sie meinen eine Lüge", antwortet Roboter Dolores. Kurz klingt das ungeheuer: Ist jede Metapher eine Lüge? Was wird hier erzählt, über Narration und Kunst? Am Ende bleiben aber Fragezeichen - und Ekel, vor fast allen Figuren und Rollen.

Staffel 1 von "Westworld" lief von Oktober bis Dezember 2016 auf HBO und, mit deutschen Untertiteln, auf Sky Atlantic. In deutscher Synchronisation ab Februar 2017. Eine zweite Staffel mit 10 Episoden startet 2018.

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