Trumps Twitter-Terror

Der Troll ist Präsident

Nun twittert er auch unter @potus. Mit der Amtsübernahme am 20. Januar 2017 übernimmt Donald Trump auch den Account des US-Präsidenten.
Nun twittert er auch unter @potus. Mit der Amtsübernahme am 20. Januar 2017 übernimmt Donald Trump auch den Account des US-Präsidenten, twittert aber weiter fleißig über seinen privaten. © (c) dpa
Von Bernhard Pörksen  · 22.01.2017
Der neue US-Präsident sei der "Chefunternehmer einer postmodernen Erregungsindustrie", meint der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Die kalkulierten Tabu-Brüche eines Donald Trump auf Twitter dürften nicht weiter mit einem Übermaß an Beachtung belohnt werden.
Es ist leicht, sich über Donald Trump zu erregen. Dazu genügen schon ein paar Tweets, diese ungefiltert zirkulierenden Signale seiner Seele.
Trump, der den Klimawandel als bloßes Hirngespinst abtut. Trump, der glaubt, dass Impfungen Autismus erzeugen. Trump, der bezweifelt, dass Barack Obama US-Amerikaner ist und sich selbst attestiert, einer der klügsten Menschen, der größte Arbeitsplatzbeschaffer und – natürlich – der beste Twitter-Literat zu sein, den Gott je geschaffen hat.

Medienwelt wird zum Megafon eines Ichlings

Es sind die bizarr schillernden Botschaften eines Ichlings, die die Medienwelt so verlässlich und reflexartig in Aufregung versetzen. Und wer sich ekeln will, der muss nur all die 140-Zeichen-Ausbrüche über China und Mexiko, die Autoindustrie, Meryl Streep, den Islamischen Staat, Putin oder Arnold Schwarzenegger lesen.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem die Medien der Welt nicht die neuesten Tweets über mögliche Strafzölle oder Sexismusvorwürfe analysieren – ganz so, als ließe sich im Akt der Interpretation all der Ad-hoc-Nachrichten doch noch so etwas wie Gewissheit gewinnen, die Klärung des präsidialen Programms durch die Deutung von Twitter-Inhalten.
Was aber, wenn es dem künftigen Präsidenten gar nicht um Inhalte geht, wie die altehrwürdige New York Times dieser Tage einigermaßen aufgebracht mutmaßte? Und was, wenn wir selbst – wir, die Entrüsteten und Erschreckten, wir, die Medienmacher und Medienanalytiker – zu Spielfiguren geworden wären in einem Spiel, das Donald Trump zwar beherrscht, aber nicht erfunden hat?
Fakt ist: Donald Trump, dieses Mischwesen aus Internet-Troll und Reality-TV-Star, ist dabei, eine hoch nervöse, hoch reaktionsbereite Medienwelt in sein Megafon zu verwandeln, in einen gigantischen Lautsprecher des eigenen Selbst. Dies kann ihm nur gelingen, weil er mit jedem einzelnen Tweet vorführt, dass er in einem seltsam elektrischen Wirkungsnetz aus Reiz und Reaktion, Reflex und Gegenreflex stets der Aufmerksamkeitsgewinner bleibt, der große Sieger im Beachtungsbusiness.

Erregende Bricolage aus Bluff und Bosheit

Der Deal, von dem Trump tatsächlich etwas versteht und der es ihm erlaubt, das Mediensystem mit seinen Tweets zu instrumentalisieren, lautet: Aggressivität gegen Publizität, Pöbelei gegen Plattform, Schmutz gegen Sendezeit. Er ist der Chefunternehmer einer postmodernen Erregungsindustrie, in der Effekte zählen, nicht jedoch Inhalte oder gar Wahrheit. Hier kommt es nicht auf Konzepte an, nicht auf Kontexte oder Konsistenz, sondern auf die möglichst dramatische Varianz, die erregende Bricolage aus Bluff und Bosheit.
Donald Trumps Twitter-Erfolg mit seinen fast 20 Millionen-Followern und einer globalen Resonanz ist ein Symptom. Es zeigt die verborgene Komplizenschaft von Spektakel-Medien und Populismus. Beide Seiten wollen mit großer Unbedingtheit den Effekt. Beide Seiten forcieren die dramatische Inszenierung, die plakative Zuspitzung. Und beide Seiten leben von dem Rausch aus Meinung und Attacke.
Was wir in dieser Situation brauchen, ist die reflektierte Weigerung, das Stakkato der Tabubrüche weiterhin durch ein solches Übermaß an Beachtung zu belohnen. Mit anderen Worten: Wir brauchen eine gezielte Aufmerksamkeitsaskese.

Ausstieg aus der Spirale aus Gründen der Psychohygiene

Askese leitet sich aus dem Griechischen ab und meint: Üben, Selbstbeherrschung, Enthaltung, Verzicht: Das sind die Tugenden, die in der Philosophie seit jeher, von Platon über die Stoa bis hin zu Sloterdijk, gelehrt und gefordert werden. Die achtsam eingesetzte, die strategisch dosierte Aufmerksamkeit erscheint mir als ein Mittel der Stunde gegen die kalkulierte Provokation – und sei es aus Selbstschutz.
Es lohnt sich, schon aus Gründen der persönlichen Psychohygiene aus dem Erregungsspiel auszusteigen. Und wenn es viele sind, die ihre Stimme im konstanten Plebiszit der Klickzahl- und Quotenmessungen sichtbar machen und sich abwenden, dann ist dies auch wirksam.
Nur: Wie ließe sich das lernen? Wie trainiert man ein Relevanzgefühl, wie die Aufmerksamkeitsaskese? Womöglich könnte die vom Trumpismus durchgeschüttelte Welt einen neuen Typ von Selbsthilfebüchern ganz gut gebrauchen. Sie handeln von der Kunst der Ignoranz im Zeitalter der populistischen Idiotie.
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