Trügerische Ruhe in Syrien

Elias Perabo im Gespräch mit Ute Welty · 12.04.2012
Angesichts des Friedensplans schwanken die Menschen in Syrien zwischen Verzweiflung und "großer Hoffnung", sagt Elias Perabo von der Initiative "Adopt a Revolution". Auch nach einem Ultimatum der Arabischen Liga habe das Regime zunächst Zugeständnisse gemacht, das Blutvergießen aber dennoch nicht gestoppt.
Ute Welty: Mehr als 9000 Menschen sind nach Schätzungen bislang beim Aufstand gegen das Assad-Regime in Syrien getötet worden. Seit heute Morgen fünf Uhr sollen die Waffen schweigen – seit heute Morgen fünf Uhr beobachtet Elias Perabo von der Initiative "Adopt a Revolution" die Lage. Er sammelt Spenden für die syrische Opposition. Guten Morgen, Herr Perabo!

Elias Perabo: Guten Morgen!

Welty: Wie stellt sich die Lage aufgrund Ihrer Kontakte zurzeit dar?

Perabo: Wir hatten heute schon zahlreiche Gespräche mit Aktivisten in Syrien. Die Lage bis jetzt, sozusagen seit den ersten drei Stunden dieser Waffenruhe, ist ruhig. Das heißt, es gibt keine Gefechte, es sind auch eigentlich keine Schüsse zu hören. Allerdings sind in fast allen Städten nach wie vor Panzer und schweres Geschütz sozusagen stationiert.

Welty: Können Sie sagen, an welchen Orten, in welche Städten Syriens es derzeit besonders kritisch oder besonders entspannt ist?

Perabo: Also, besonders kritisch war es vor allem gestern unten im Süden, in der Stadt Daraa, wo es zu ganz schweren Gefechten gekommen ist. Natürlich auch in der Region Homs, die ja sozusagen seit Monaten stark attackiert wird durch die Sicherheitskräfte, aber auch oben im Norden rund um Aleppo sozusagen als neues Krisengebiet, wo sehr viel passiert ist. Selbst in Damaskus Innenstadt ist es relativ ruhig, dort finden viele Demonstrationen statt, auch im restlichen Land finden nach wie vor viele Demonstrationen statt, dort ist es aber verhältnismäßig, wenn man jetzt die Todeszahlen anguckt, deutlich weniger.

Welty: Wie erleben Sie die Menschen, mit denen Sie telefonieren oder mailen?

Perabo: Das ist eine Kombination, glaube ich, von Verzweiflung und immer wieder ganz großer Hoffnung. Also, auf der einen Seite dieses Gefühl zu haben auch im Bezug auf dieses Ultimatum, das bringt nichts, das hatten wir schon mal, wir hatten schon mal ein Ultimatum der Arabischen Liga, es ist schon alles probiert worden, das Regime wird nicht einlenken. Und auf der anderen Seite aber trotzdem den Willen zu zeigen, immer wieder und jeden Tag auf die Straße zu gehen und ihren Protest kundzugeben. Und dieses Durchhaltevermögen zu sagen, ja, wir wollen uns behaupten, wir wollen sozusagen selbst das Land in unsere Hände nehmen.

Welty: Der syrische Präsident hat eine Mediensperre verhängt. Mit welchen Problemen haben oder hatten Sie zu kämpfen, wenn es überhaupt darum geht, Kontakte herzustellen?

Perabo: Wir haben immer wieder mit zwei großen Problemen zu rechnen. Zum einen dem Stromausfall, in Syrien gibt es sehr viel häufiger inzwischen Stromausfälle. Das heißt, wir erreichen Städte ganz und gar nicht für Tage. Aber auch sozusagen die Internetsperre, die das Regime selber auferlegt, stellt ein großes Problem dar. Da probieren wir, Umwege zu gehen, indem wir Aktivisten, Satelliten, Internetreceiver besorgen. Aber auch trotzdem, es bleibt für uns natürlich ein Problem, die Aktivistinnen zu erreichen.

Welty: Und wie war es gerade heute früh?

Perabo: Heute früh ging es erstaunlich gut. Das ist aber auch … Das hatte ich ja vorhin schon etwas angemerkt: Morgens ist sozusagen nicht die Hauptzeit. Also, auch die Waffenruhe wird sich entscheiden an der Frage, ob heute Nachmittag, wenn die großen Demonstrationen – und heute Abend und vor allem morgen –, die großen Demonstrationen in Syrien stattfinden, ob dann wirklich die Waffenruhe eingehalten wird.

Welty: Die Waffenruhe war und ist das Herzstück des Friedensplans von Kofi Annan, dem UN-Sondergesandten für Syrien, dem UN-Sondervermittler. Wann wird für Sie feststehen, ob Annan gescheitert ist oder ob er sich hat durchsetzen können?

Perabo: Ich glaube, wir werden das in ersten, und zwar sehr klaren Zügen nach diesem Wochenende sehen, vor allem, nachdem am Freitag und Samstag die großen Demonstrationen stattgefunden haben, ob das Regime es wirklich zulässt, wie angekündigt eine freie Meinungsäußerung, eine freie Demonstration sozusagen stattfinden zu lassen. Die Aktivisten vor Ort als auch wir sind da leider sehr skeptisch, weil die Erfahrungen im letzten Jahr alles andere, das das irgendwie bestätigt hätte, aber das ist zumindest die Hoffnung. Und spätestens am Montag hoffen wir, dass wir ein relativ klares Bild haben werden.

Welty: Jetzt ist es ja so, dass China – bisher ganz eng an der Seite Syriens – dann doch den Druck erhöht, und auch aus Russland kamen zumindest mal kritische Töne gegenüber Assad. Kann es nicht sein, dass so etwas wie eine Langzeitwirkung einsetzt, dass Assad vor allem in diesem engen Zeitkorsett jetzt ein Zeichen setzen wollte?

Perabo: Ja, das ist natürlich so. Das ist, hat sicherlich eine Wirkung gehabt. Trotzdem muss man sagen, wir hatten das schon mal. Wir hatten das im Winter, als es die Initiative der Arabischen Liga gab. Auch da hat Assad Zugeständnisse gemacht, auch da gab es sozusagen bestimmte Bedingungen. Und unter dem Strich zum Schluss ist doch sozusagen für die Aktivisten und für die Menschen in Syrien sehr, sehr wenig bei rausgekommen. Im Gegenteil, die Gewalt ist eher noch mal stärker geworden.

Welty: In diesem Umfeld der Gewalt rufen Sie dazu auf, die syrische Revolution, die syrische Opposition mit Spenden zu unterstützen. Ist das nicht ein fragwürdiger Aufruf, wenn diese Revolution immer mehr Menschenleben fordert?

Perabo: Nein, es ist sozusagen gegenteilig. Wir unterstützen mit dem Projekt "Adopt a Revolution" den friedlichen, den unbewaffneten Teil des Widerstandes. Und genau darum geht es uns, zu sagen: Es gibt sehr, sehr viele Menschen, tägliche Demonstrationen. Wir haben Freitag über 400 Demonstrationen im ganzen Land, die friedlich und unbewaffnet sind. Diesen Widerstand gilt es zu unterstützen, diesen Widerstand, da wollen wir uns solidarisch zeigen, um den Menschen auch Mut zu machen, an ihrem unbewaffneten Widerstand festzuhalten.

Welty: Wie stellen Sie sicher, dass von den Spenden nicht dann doch Waffen gekauft werden?

Perabo: Wir haben, eigentlich haben wir da drei Mechanismen für: Das Erste ist, wir fördern die sogenannten Komitees. Das sind BürgerInnenkomitees, die sich gebildet haben seit Beginn der Revolution, die ganz viel organisatorische Aufgaben wahrnehmen, die Demos organisieren. Die fördern wir monatlich mit kleinen Summen zwischen 700 und 1000 Euro. Also Summen, die sehr wichtig sind für die Medienarbeit, aber sehr, sehr klein sind, wenn man sozusagen da Waffen für kauft. Außerdem kriegen wir Berichte aus Syrien und haben noch mal ein Netzwerk von unabhängigen Menschen in Syrien, die bei den Komitees erkunden, wo wirklich das Geld hingeht.

Welty: Elias Perabo von der Initiative "Adopt a Revolution". Ich danke für dieses Gespräch!

Perabo: Bitte schön, gern geschehen!


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