Trubel um "Dilwale"

Warum Shah Rukh Khan in Deutschland verehrt wird

Der indische Bollywood-Schauspieler Shah Rukh Khan bei einem Promotion-Event am 11.12.2015 in Bangalore, Indien.
Bollywood-Schauspieler Shah Rukh Khan © picture-alliance / dpa / Jagadeesh Nv
Von Christian Berndt · 02.01.2016
Wenn in Indien ein Film mit Superstar Shah Rukh Khan startet, ist das ein nationales Großereignis. Nächste Woche kommt sein neuer Streifen "Dilwale" auch bei uns in die Kinos. Seit einigen Jahren versucht Bollywood verstärkt, die westlichen Film-Märkte zu erobern.
Choreografierte Kampfszenen, Schießereien, Explosionen und Autojagden. Der neue Film mit Shah Rukh Khan "Dilwale" bietet alles auf, was man an Materialschlachten aus Bollywood gewohnt ist. Und wie immer gibt es dazu eine herzzerreißende Liebesgeschichte.
Zwei Superstars gemeinsam vor der Kamera
Es ist der übliche Genre-Mix des Bollywood-Kinos, der auf das indische Publikum ausgerichtet ist, aber auch anderswo funktioniert. Vor dem Start von "Dilwale", für den nach fünf Jahren erstmals wieder die Superstars Shah Rukh Khan und Kajol gemeinsam vor der Kamera standen, wurde der Trailer von Regisseur Rohit Shetty und den Hauptdarstellern in einer Videokonferenz der internationalen Filmpresse präsentiert: Übertragen nach London, New York, Toronto, Dubai und Berlin. Hierzulande gibt es nach England europaweit die größte Bollywood-Fangemeinde.
Shah Rukh Khan wundert der Erfolg in Deutschland nicht:
"Ich denke, die Geschichten, die wir erzählen – ein bisschen zu bunt und länger als normal fürs europäische und amerikanische Kino - haben einen riesigen, emotionalen Gehalt, der jenseits der verschiedenen Sprachen verbindet. Wenn ich Leute in Deutschland traf, sagten sie, dass die Bollywood-Filme einen emotionalen Knopf bei ihnen drücken, und dass sie dann das Glück, die Trauer, das Tanzen richtig fühlen können. Das macht indische Filme aus."
"Dilwale" hat tatsächlich keine Angst vor großen Emotionen. Shah Rukh Khan spielt den Autohändler Raj, der als Kind von einem Gangsterboss adoptiert wurde und jahrelang zu dessen Bande gehörte. Dann wurde sein Adoptivvater von jenem Konkurrenten getötet, in dessen Tochter Meera sich Raj unsterblich verliebt hatte. Seitdem hat er sie nicht gesehen. Nun - 15 Jahre später - verliebt sich sein jüngerer Bruder ausgerechnet in Meeras kleine Schwester. Man merkt, es geht nicht darum, wie wahrscheinlich es ist.
Herzschmerz und Kulturclash
Als sich Raj und Meera wiedersehen gesteht er, dass er jeden Tag seit ihrem Abschied gezählt hat – ewige Liebe eben. Aber Bollywood ist nicht nur Herzschmerz, in "Dilwale" geht es auch um die Zerrissenheit des Landes zwischen westlicher und östlicher Kultur – Raj hat seine Geliebte in Bulgarien kennengelernt. Das Konzept des Inders in der Fremde hatte Shah Rukh Khan mit seiner Rolle in dem wegweisenden Film "Wer zuerst kommt, kriegt die Braut" von 1995 eingeführt.
Ein westlich orientierter Inder studiert in London, verliebt sich aber in eine Inderin, weil sie die Heimat verkörpert. Damals schuf Shah Rukh Khan ein neues, modernes Männerbild, das dem jungen, aufstrebenden Mittelstand in Indien entsprach – lässig, weltoffen und heimatverbunden zugleich. Das machte ihm zum Superstar. Bollywood hat immer schnell auf gesellschaftliche Änderungen reagiert.
Auf die Frage, ob seine Filme auch politisch sind, will sich Shah Rukh Khan nicht einlassen:
"Ich bin nur ein Arbeiter. Ich arbeite, um zu unterhalten. Ich wache morgens auf und möchte Sie glücklich machen. Ich bin kein Zyniker. Jeder Kommentar von mir kommt von Herzen, als Künstler."
Das mag sein, aber trotzdem ist er durchaus ein politischer Kopf. "Mein Name ist Khan" von 2010 etwa handelt von der Diskriminierung von Muslimen angesichts der Angst vor dem Terror. Und zuletzt wurde Khan heftig angegriffen, weil er die wachsende Intoleranz radikaler Hindi gegenüber Muslimen beklagte. Er ist selbst Muslim und verheiratet mit einer aus einer Hindu-Familie stammenden Frau.
Bollywood mit bemerkenswert differenzierter Sicht
Bollywood nimmt in der komplizierten Frage der Religionen im multireligiösen Indien traditionell eine ausgleichende Rolle ein – in "Diwale" etwa wird am Schluss in einer christlichen Kirche geheiratet, obwohl niemand der Helden Christ ist. Und auch das Thema Terror wird in Bollywood oft thematisiert – mit bemerkenswert differenzierter Sicht. Einerseits bedient Bollywood traditionelle Rollen- und Gesellschaftsbilder – in "Diwale" etwa steht der Wert der Familie über allem.
Rajs kleiner Bruder Veer entscheidet sich – als der Ältere seinen Ehewunsch zunächst ablehnt – klar gegen die Ehe. "Nichts geht über meinen Bruder", sagt Veer. Aber er entscheidet aus freien Stücken, nicht aus Zwang. Auch das Frauenbild in Bollywood wandelt sich – in "Dilwale" steht Rajs Angebetete ihm an Kampfeshärte nicht nach. Shah Rukh Khans Filme suchen den Ausgleich zwischen Tradition und Moderne, indischer Filmkultur und Hollywood, wohin Bollywood in den letzten Jahren immer stärker schielt.
Enttäuschung an Indiens Kinokassen
Womöglich kommt Khans Konzept aber jetzt an seine Grenzen. "Dilwale" wurde trotz Starpower an den Kinokassen unerwartet vom Historienepos "Bajirao Mastani" geschlagen. Auch die Kritiken für "Dilwale" waren eher negativ. Tatsächlich kann die technische, an Hollywood geschulte Brillanz nicht über die maue Geschichte, die extrem auf das Bollywood-Traumpaar zugeschnitten ist, hinwegtäuschen. Shah Rukh Khans Traum ist ein Bollywood-Film in Hollywood, sagt er - "Dilwale" scheint in diese Richtung zu zielen, lässt aber mit allzu glatter Ästhetik Charme und Temperament vermissen.
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