Traum von einer Künstlerkarriere

Rezensiert von Edelgard Abenstein · 23.11.2005
Das Buch "Probelauf" von Benny Barbasch ist die Geschichte Mickeys, der als junger Mann von einer Künstlerkarriere träumte, inzwischen aber als Werbetexter arbeitet. Mittels des Tricks einer Identitätsfälschung wittert er einen plötzlichen Aufschwung. Sein Leben scheint eine völlig unerwartete Wendung zu nehmen.
Als 1997 sein Roman "Mein erster Sony" erschien, gelang dem israelischen Autor Benny Barbasch auf Anhieb der Sprung in die Bestsellerlisten. Die Geschichte um einen Zehnjährigen, der heimlich auf vielen Kassettenseiten sämtliche Gespräche seiner Familie aufzeichnet, Streitigkeiten, Liebesgeschichten und politische Dispute, wurde zu einer Chronik israelischer Gegenwart und Vergangenheit. Die Stiftung Lesen hat es seinerzeit als eines der hundert Jahrhundertbücher empfohlen, immerhin neben so unterschiedlichen Romanen wie Hemingways "Wem die Stunde schlägt", Machfus‘ "Kairoer Trilogie", Christa Wolfs "Kindheitsmuster" und Uwe Timms "Entdeckung der Currywurst".

Wie immer nach einem solchen Erfolg, hat es ein nächster Roman im Anschluss ziemlich schwer. Barbasch begibt sich darin auf ganz neues Terrain. Der Mittvierziger Micki, gescheiterter Künstler und mittlerweile als Werbetexter tätig, versucht seinem festgefahrenen Leben eine neue Wendung zu geben. In der Lobby eines Luxushotels beobachtet er eine hübsche Kellnerin, die nach einem gewissen Mr. Sapiro fragt. Von einem Moment auf den anderen beschließt er, die Identität dieses Mannes anzunehmen mit allen Ungewissheiten und Abenteuern, die mit einem solchen Rollenwechsel verbunden sind. Sapiro ist vermutlich bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen und war ein berühmter Kunstfälscher. In einem italienischen Fischerdorf versucht Micky nun in dessen Fußstapfen zu treten und für einen todkranken, mit der Mafia verbandelten Kunstsammler das Selbstporträt des vergessenen Renaissancemalers Johannes Gumpp zu kopieren. Daneben lässt er sich auf eine wilde Affäre mit dessen Frau ein. Was wie eine Räuberpistole beginnt, wächst sich allmählich zu einem Alptraum aus. Denn ein meisterlicher Maler ist Micki nie gewesen, und es ergreift ihn schmerzhaft die Erkenntnis, dass mit der Verkörperung des Meisterfälschers nicht auch dessen Kompetenz auf ihn überginge. Aber vielleicht ist diese als Telenovela angelegte Geschichte auch nur seiner Phantasie entsprungen.
In Wirklichkeit führt er die Existenz eines modernen Oblomow, antriebsschwach und großsprecherisch, ein Hasenfuß, der wenig von sich hält, ein dicker Trauerkloß, der voller Selbstmitleid sich auf Kosten anderer, seiner Frau vor allem, durchs Leben schlägt.

Mit Tempo, Witz und Melancholie, voll von assoziativen Verweisen und Gedankensprüngen, lässt Barbasch seinen Helden die einzelnen Episoden durchqueren - aus dessen wirklicher Erinnerung ebenso wie aus einer erträumten Wirklichkeit. Stationen seines Lebens laufen vor seinem inneren Auge ab, Ereignisse, in denen er schuldig wurde wie bei der seiner Frau aufgenötigten Abtreibung oder einer kalten Teilnahmslosigkeit angesichts von deren Krebserkrankung. Innere Monologe werden zu einer peinlichen Gewissenserforschung, während er sich immer wieder an schwülen Phantasien, den tollkühnen Womanizer mimend, schadlos hält. Dafür verwendet der Autor zahlreicher Drehbücher das filmische Verfahren des Vor-, Rück- und Überblendens, reale Situationen spiegeln sich in den erfundenen, so dass am Ende aus dem zweiten Leben auch nur eine Kopie des ersten herauskommt, und das gesamte Personal schillert wie ein Panoptikum von Doppelgängern. Das Fälschermotiv, der Sprung in eine geborgte Existenz, enthüllt sich als Parabel auf ein missglücktes Leben, aus dem es kein Entrinnen gibt, außer man packt es an.

Der raffinierte Kunstgriff aber - der erzählerische Reichtum des Romans vollzieht sich in genau drei Minuten Echtzeit im Leben des Helden – wird zu seiner Bürde. Was Molly Bloom, die Patin dieser Methode, seinerzeit so traumwandlerisch sicher durch ein halbes Jahrhundert segeln ließ, war das Stakkato eines nur scheinbar wilden, in Wahrheit aber streng gebauten inneren Monologs. Micki Sapiro hingegen, getrieben von der Experimentierfreude seines Erfinders, schlingert in wilden Streifzügen von einer Versuchsstation zur anderen. Mit einem Wort: es passiert einfach zuviel in diesen wenigen Minuten. Die Glaubwürdigkeit des Romans leidet darunter. Außerdem, das übertriebene Spiel mit Realitätsebenen, mit literarischen Stilen und Vorbildern von E.T.A Hoffmann bis Joyce scheint leider aus der Mode gekommen. Obendrein geht es auf Kosten der Leichtigkeit, die diesem Probelauf, einem Leben im Konjunktiv, zumindest partiell innewohnt.

Benny Barbasch:
"Probelauf"

Aus dem Hebräischen von Beate-Esther von Schwarze.
Berlin-Verlag 2005,
238 Seiten,
22 Euro