Transsexueller Syrer in Istanbul

Sexarbeit am liebsten für Saudis

Eine Frau mit einem teilweise transparenten Rock steht mit High-Heels an einer rot beleuchteten Bar und unterhält sich mit einem Mann.
Am Tag kleidet sich Mischa als Mann, in der Nacht wird er zur Frau. © picture-alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Stephanie Rohde · 07.12.2015
Micha ist einer von zwei Millionen Syrern, die in die Türkei geflüchtet sind. Der gelernte Visagist erhält keine Arbeitserlaubnis und schlägt sich deshalb mit Sexarbeit durch. Am liebsten für Kunden aus Saudi Arabien.
"Ich vermisse diese Tage, damals im Divan Hotel, da war ich mit einem saudischen Prinzen, er hatte dort oben die Royal Suite über das ganze Stockwerk gebucht."
Stolz zeigt Mischa mit seinen langen, unlackierten Fingernägeln auf eines der teuersten Hotels im Zentrum von Istanbul. Sex in einem riesigen Bett. Danach duschen mit Blick über die Stadt. 300 Dollar in nur einer Stunde verdient.
"Es war unglaublich."
Tagsüber Mann, nachts Frau
Wir gehen in ein arabisches Café direkt um die Ecke, in dem unrasierte mittelalte Männer an Wasserpfeifen nuckeln. Mischa ist tagsüber als Mann unterwegs, kurzes Haar, darüber eine weiße Kappe, unvorteilhaft enge Jeans – unscheinbar, aber trotzdem auffällig charismatisch. Der kleine Glitzerpunkt über seinem Auge, der wohl das Abschminken überlebt hat, könnte ihn verraten. Nachts wird Mischa zu einer geschminkten Frau mit süßen Grübchen, langem braunen Haar und engem Leopardeneinteiler, er zeigt mir auf dem Handy Fotos von sich.
"Das bin ich, das ist mein wahres Ich."
Doch der 23-Jährige muss aufpassen, wann er es zeigt.
"Man fühlt sich hier immer unsicher, man hat immer das Gefühl, dass alle dich töten wollen."
Nachts fährt er deshalb immer mit dem Taxi. Trotzdem ist er nicht sicher. Vor Kurzem haben ihn zwei Männer vor einem Nachtklub beschimpft und getreten. Die Polizei stand daneben.
"Ich habe geschrien, aber sie haben nur zugeguckt und gelacht und gesagt ‚Arab Travesti Arab Travesti'..."
Deshalb geht er in Cafés, wo er nur bestimmte Kunden kennenlernt.
"Ich gehe in dieses Café hier, dieser Typ da zum Beispiel schaut mich dann an, ich gebe ihm meine Nummer und wenn er mir schreibt und ich eine saudische Nummer sehe, dann vertraue ich ihm, er kommt dann zu mir nach Hause oder ich gehe in sein Hotel."
Saudische Kunden bevorzugt
Mischa bevorzugt saudische Kunden, erzählt er, weil sie am besten zahlen und selten gewalttätig werden gegenüber Shemales wie Mischa, also Männern, die sich als Frauen kleiden. Als syrischer Flüchtling bekommt Mischa in der Türkei keine Arbeitserlaubnis und da niemand einen transsexuellen syrischen Visagisten illegal beschäftigen wollte, verdient Mischa sein Geld mit Sexarbeit. Camsex im Internet von zuhause aus macht er lieber als die gefährlichen Hotelbesuche. Nach einem schwierigen Jahr verdient er inzwischen genügend, um sich ein Zimmer leisten zu können.
"Gott sei Dank geht es mir besser als anderen, sie sterben hier, sie haben nicht mal ein Stück Brot zu essen, sie schlafen in den Parks oder auf der Straße."
Das Geschäft scheint zu laufen, während wir reden, rufen vier Kunden an, die heute Abend eine Camshow bestellen.
Hoffnung auf eine Zukunft in Kanada
Mischa versucht mit libanesischem Akzent Arabisch zu sprechen, um seine syrische Herkunft zu verschleiern, so wie er tagsüber seine Identität als Frau verschleiert. Syrer würden hier sehr schlecht behandelt, fast so schlecht wie Transsexuelle, erzählt er, der Grenzgänger wider Willen. Seine Obdachlosigkeit und der Bürgerkrieg in Syrien haben ihn aus dem Land nach Ägypten getrieben, als die Islamisten dort an die Macht gekommen sind, ist er nach Beirut geflohen, wo er sich als Syrer nur einen Monat aufhalten durfte. Dann ist er nach Saudi Arabien, wo seine Mutter arbeitet. Weil er es dort nicht ausgehalten hat, ist er vor einem Jahr nach Istanbul gezogen. Jetzt wartet er darauf, eine weitere Grenze überschreiten zu dürfen, die von Kanada. Er hat einen Asylantrag gestellt, um endlich so zu leben, wie er es will, statt nur zu überleben.
"Wir leben hier in einem schwarzen Kreis, alles um uns herum ist schwarz, aber wir brauchen zumindest einen weißen Punkt, etwas Gutes, aber wir haben es nicht, alles ist schwarz."
Kanada könnte so ein weißer Punkt sein, fügt er hinzu. Merkwürdigerweise strahlt Mischa - selbst wenn er solche Sätze sagt - eine fast unverschämte positive Energie aus. Und so kann man hoffen, dass er nicht mehr lange ein Grenzgänger wider Willen bleibt.
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