Touristen in Auschwitz

Von Marcel Roth · 15.08.2007
In seinem zweiten Spielfilm "Am Ende kommen Touristen" verarbeitet Robert Thalheim künstlerisch seine Erlebnisse als Zivildienstleistender in Auschwitz. Eine Million Besucher kamen allein 2006 in die Gedenkstätte, die meisten aus Europa und Nordamerika. Alle sind nach dem Besuch mindestens nachdenklich.
Die Sonne scheint, Pappeln rascheln im Sommerwind, Vögel zwitschern. Reisebusse kommen an, Menschen steigen aus und ein; fahren wieder ab. Kleinkinder werden im Kinderwagen oder an der Hand zwischen den roten Backsteingebäuden entlang geführt. Guides lotsen ihre Gruppen in zügigem Tempo durch das Gelände und die Ausstellung. Das beliebteste Fotomotiv ist das Eingangstor mit der Inschrift "Arbeit macht frei".

Rosa Becker: " Ich fands ein bisschen makaber, dass manche sich zum Beispiel Personenfotos haben machen lassen unter dem Eingangstor eben mit "Arbeit macht frei" oder an den Galgen, haben sie sich dann druntergestellt und fotografiert. Aber auch wirklich diese Cafeteria, wo man dann wahrscheinlich wenn man rauskommt sich hinsetzt und Kaffee und Kuchen isst. Finde ich nicht so passend. Mir ist jetzt nicht gerade nach Essen zumute."

Wenn man wie Rosa Becker aus Hamm das erste Mal die Gedenkstätte Auschwitz besucht, findet man den Ort etwas merkwürdig: Auf dem Parkplatz stehen sieben große Reisebusse mit deutschen, polnischen und niederländischen Kennzeichen. An der nahezu menschenleeren Cafeteria und den zwei Kiosken kann man Getränke, Snacks und Kerzen kaufen. Im Museumsgebäude gibt es Bücher und DVDs zum Thema.

Nur ein paar Schritte weiter wird das Unvorstellbare vorstellbarer: Im größten KZ der Nazis wurden von 1940 bis 1945 mindestens 1,1 Millionen Männer, Frauen und Kinder vergast, erschossen oder erhängt. Auschwitz war das Zentrum der Judenvernichtung: Direkt aus den Zugwaggons in die Gaskammern getrieben, wurden bis zu 1000 Menschen in einer halben Stunde mit Zyklon B vergiftet. Vor allem solche Menschen, die als arbeitsunfähig galten: Babys, Kinder, schwangere Frauen, Alte und Kranke.

Besucher um die 50 (Übersetzung aus dem Englischen): " Ich weiß nicht, wie ich mich an diesem Ort fühlen soll. Ich habe seit meiner frühen Jugend davon gehört und gelesen. Und ich habe es immer als etwas Unfassbares angesehen. Sogar nachdem ich es heute gesehen habe, finde ich es unfassbar. Schwer sich vorzustellen, anderthalb Millionen Menschen zu schlachten. Ich sehe das nicht als Touristenbesuch, sondern als eine Art Gedenken an den Tod all dieser Menschen. "

Eine Million Besucher kamen allein im vergangenen Jahr in die Gedenkstätte Auschwitz, die meisten aus Europa und Nordamerika. Alle sind nach dem Besuch mindestens nachdenklich, sitzen auf den Bänken um den Parkplatz oder laufen langsam zu ihren Bussen oder Autos zurück. Das Unfassbare bekommt in der Gedenkstätte Auschwitz Gesichter und Geschichten.

Mann um die 30 (Übersetzung aus dem Englischen): " Der wahrscheinlich bewegendste Teil für mich waren die entfernten menschlichen Haare. Anstelle der Objekte wie Schuhe haben es die Haare einem nahegebracht, dass es tatsächlich Menschen waren, die durch diese Gräuel gehen mussten. Wenn man es jetzt sieht, an diesem schönen sonnigen Tag, wunderbare Bäume, Kinder die mit Eis herumlaufen und wenn man dann reingeht haut einen das Ausmaß des Geschehenen um. "

Einer der deutschen Zivildienstleistenden, der zurzeit seinen Dienst in der Jugendbegegnungsstätte Oswiecim leistet, ist der 21-jährige Johannes Döscher aus der Nähe von Stuttgart. Auch er hat ein zwiegespaltenes Verhältnis zu all den Touristen:

" Die sind in Krakau oder besuchen Europa und dann nehmen sie Auschwitz mit. Je mehr Leute es sehen, desto höher ist vielleicht der Prozentsatz, der daraus was lernt. Wobei natürlich ne ganze Menge Menschen dabei ist, die dahin geht, in die Geschichtsblase, rausgeht, nichts gelernt hat und nicht mal was mitnimmt. Dann ist es natürlich eine reine Touristenattraktion. "

Der Zivildienst von Johannes ist Ende des Monats vorbei. Marta muss nicht nur ein Jahr lang in der Nähe des ehemaligen Lagers leben. Die 24-Jährige ist in Oswiecim geboren. Für sie ist es eine ganz normale Stadt wie jede andere auch, wenn nicht dieses große Aber wäre.

" Es gibt diese Aber sozusagen. Dieses Lager, dieses Museum hat einen großen Einfluss auf das Leben in der Stadt. Aber wir müssen normal leben und nicht nur darauf konzentrieren das, was passiert ist. Nichts kann dazu führen, dass es sich wiederholt. "
Touristen, sagt Marta, würden kaum etwas von ihrer Heimatstadt sehen.
" Letzens habe ich einen Artikel gelesen in einer Zeitung. Es wurde sogar gesagt, dass die Touristen hier überhaupt gar kein Geld ausgeben. Es gibt hier sozusagen keine Geschäfte mit den Geschenken oder so etwas. Wenn es um Geld geht, geben sie fast kein Geld aus. "

Nur eindeutig als Guides ausgewiesene Männer und Frauen dürfen Führungen durch das Stammlager und die Hauptausstellung machen. Die Führungen können drei Stunden dauern. An einem heißen Tag wie diesem bilden sich dann kurze Schlangen vor den Kiosken. Dort sind sich dann alle einig: Die Gedenkstätte muss man gesehen haben, um das Unfassbare überhaupt irgendwie begreifen zu können

Frau um die 30 (Übersetzung aus dem Englischen): " Das wird auf jeden Fall immer Leute anziehen. Obwohl es meiner Meinung nach hier zu viele Touristen sind und es nach einer Touristenattraktion aussieht. Aber es ist noch sehr respektvoll. "