Tourismus verändert

15.02.2007
Vor 55 Jahren nahm das spanische Tourismusministerium seine Arbeit auf. Die Sonnenanbeter aus Deutschland, Großbritannien und Skandinavien brachten allerdings nicht nur Devisen in den Franco-Staat und sorgten für einen beispiellosen Bauboom an der Mittelmeerküste, sie führten auch neue Ansichten und Verhaltensweisen ins bis dahin erzkatholische Land ein und trugen zu einer schleichenden Veränderung der Gesellschaft bei.
Bis "Tourist 1.999.999" aus dem Flugzeug steigen konnte, sollten noch knapp drei Jahre vergehen. Der Grundstein für das jährliche Ritual mit Blumenbouquet und Politikeransprache für den zwei-, und später zehnmillionsten Besucher aber war mit dem 15. Februar 1952 gelegt. Das spanische Tourismus- und Informationsministerium nahm seine Arbeit auf.

"Der Generaldirektion Tourismus obliegen alle Maßnahmen im Zusammenhang mit der Organisation von Reisen, der Herbergsindustrie und des Fremdenverkehrs. Außerdem hat sie das Interesse am Reiseland Spanien im In- und Ausland zu fördern."

Die Generaldirektion Tourismus, eigentlich ein Anhängsel des Informationsministeriums, sollte dem Staat die neue Geldquelle Tourismus erschließen: Durch Erleichterung der Einreisebestimmungen, den Bau staatlicher Landhotels, der Paradores, durch den Aufbau eines Ausbildungssystems im Tourismussektor.

Und: Der neue Wirtschaftszweig sollte die Integration Spaniens in die internationale Staatengemeinschaft vorantreiben. 1950 hatte die UNO die Sanktionen gegen das Land aufgehoben. Den Westmächten erschien Diktator Franco im Klima des Kalten Krieges als das kleinere Übel. Mit der Ankurbelung des Tourismus wollte der Franco-Staat nun eine Charmeoffensive im europäischen Ausland starten. Ein gutes Jahrzehnt später resümierte General Francisco Franco zufrieden:

"Die Millionen Ausländer, die uns jedes Jahr besuchen, sind der beste Beweis für die realen Bedingungen, die in unserem Land herrschen."

Das Spanienbild, das das Tourismus- und Informationsministerium entwarf, war eine folkloristische Mischung aus Flamenco, Stierkampf, Pilgerstätten und weißen Dörfern mit schwarz gekleideten Frauen: ein traditionelles, archaisches Spanien, der Gegenpol zur europäischen Moderne. "Spain is different", "Spanien ist anders", ließ das Ministerium auf seine Prospekte drucken.

Manuel Fraga Iribarne: "Wer uns besucht, hat die Möglichkeit, ein Land kennen zu lernen, das auf ganz ursprüngliche Weise gemeinschaftliche Werte vertritt - und dadurch Beispiel sein kann. Unsere Gesellschaft ist nachweislich gesund: Sie zeigt sich standfest in religiösen Fragen, hat ein tief verwurzeltes Moralempfinden und fühlt sich familiären Werten verpflichtet. Auch das macht Spanien so reizvoll für die Massen aus den unterschiedlichsten europäischen Ländern."

Der wirtschaftsliberale aber sonst erzkonservative Technokrat Manuel Fraga Iribarne leitete das Tourismus- und Informationsministerium von 1962 bis 1969, zur Zeit des größten Booms. Nach seinen Maßgaben sollte das Geschäft mit Sonne, Strand und Meer nicht nur das spanische Selbstbewusstsein stärken, sondern dem Land als eine Art "spanischer Marshallplan" zu Wohlstand verhelfen.

"Indem der Tourismus unseren Volkscharakter bekannt macht, dient er in hohem Maß der Behauptung der spanischen Identität. Er beweist den Erfolg unseres politischen Systems, dass sich nun schon seit 25 Jahren hält, und treibt unser gestern noch unterentwickeltes Land zu neuen wirtschaftlichen Horizonten."

1965 überschritten die Einnahmen erstmals die Milliarden-Dollar-Grenze. Im Jahr davor hatte das billige Spanien das teure Italien als beliebtestes Urlaubsziel abgelöst, mit 14.103.000 Besuchern.

Doch mit den Besuchern kamen nicht nur Dollars, sondern auch andere Moralvorstellungen auf die iberische Halbinsel. Und das wurde zum Dauerkonflikt im Ministerium für Tourismus und Information, das in letzterer Funktion ja auch für die Zensur alles Unsittlichen zuständig war. In Spanien tobte der Bikinistreit. Offiziell war das Tragen des Zweiteilers streng verboten, auf den Kanarischen Inseln galt es sogar als Todsünde. Findigen Bürgermeistern wie dem Alcalde von Benidorm gelang es trotzdem, die Vorschriften qua Sondergenehmigung zu umgehen. Spöttisch schrieb der katalanische Filmemacher Julio Coll:

"Unser Ministerium funktionierte wie zwei Ministerien, die sich gegenseitig widersprechen: eines, das überwachte und eines, das den Tourismus ankurbelte, eines, das Bikinis auf der Leinwand verbot und eines, das den Tourismus, der die Bikinis überhaupt ins Land brachte, unterstützte. So fragte man sich: Welchem von beiden soll ich nun folgen?"

Ausländische Paare, die sich auf der Straße küssten; selbstbewusste Nordeuropäerinnen, die ohne Ehemann ins Café gingen; Facharbeiter, die sich augenscheinlich einen Familienurlaub an der Costa del Sol leisten konnten - all das säte Zweifel am herrschenden System. Der Tourismusboom, so die Forschung heute, hat das Fundament des Franco-Staates nachhaltig erschüttert. Und das war das genaue Gegenteil von dem, was sich die Herren im Ministerium erhofft hatten.