Torsten Albig: Schuldenbremse ist ohne Alternative

Moderation: Gabi Wuttke · 24.08.2012
Acht Milliarden Euro mehr als erwartet hat der Fiskus im ersten Halbjahr eingenommen. Angesichts der Staatsverschuldung sei das aber "nicht viel Geld", meint Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD). Es gebe keinen Grund, weniger zu sparen.
Gabi Wuttke: Über acht Milliarden Euro, was würden Sie damit als Erstes tun? Ihr Häuschen abbezahlen, eine Weltreise machen oder ein neues Sparkonto einrichten? Im übertragenen Sinne hat sich die Politik diese Frage zu stellen, wenn sie es denn tut. Denn durch die gute Konjunktur haben Bund, Länder und Gemeinden im ersten Halbjahr dieses Jahres durch Einzahlungen in die Sozialkassen eben über acht Milliarden Euro mehr eingenommen als gedacht! Torsten Albig, der sozialdemokratische Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Albig!

Torsten Albig: Moin aus Kiel!

Wuttke: Wie die Rechnung am Ende des Jahres aussehen wird, weiß keiner. Im Hier und Jetzt gefragt: Sind acht Milliarden Euro angesichts von zwei Billionen Euro Schulden viel Geld oder Peanuts?

Albig: Es ist nicht viel Geld, die Relation haben Sie selber aufgemacht. Und vor allem ist das Geld an einer ganz bestimmten Stelle. Es wäre ja so, als würden Sie im Lotto gewinnen und ich würde sagen, ich höre auf zu arbeiten, weil ich mich so freue, dass Sie viel Geld haben. Die Sozialversicherungen haben viel Geld, das ist gut, das ist für die Sozialkassen gut. Deswegen haben aber die Kommunen, die Länder oder der Bund da, wo er Leistungen finanzieren will, noch lange nicht viel Geld. Das heißt, die Verpflichtung, dort zu sorgen, dass es mehr wird, die ist deswegen nicht gemindert.

Wuttke: Investieren oder Sparen, welche Optionen haben Sie in Schleswig-Holstein?

Albig: Investieren und Sparen. Wenn Sie aus einer Krise herauskommen wollen, dann müssen Sie beides tun: Sie müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Wachstum möglich ist, dass also Steuereinnahmen stärker ein Fundament bekommen. Das beginnt bei Bildung und hört an der Infrastruktur noch lange nicht auf.

Sie müssen aber gleichzeitig den Abbaupfad der Verschuldung, die wir uns über die letzten Jahrzehnte aufgebaut haben – übrigens nicht nur aus Trotteligkeit, sondern weil viele Notwendigkeiten da waren, bei denen wir nicht immer ehrlich genug waren, uns einzugestehen, dass sie Geld kosten, dass wir sie hätten hinterlegen müssen oder auf anderes verzichten –, diesen Abbaupfad müssen wir weiter gehen. Wir dürfen nicht aufhören, wir dürfen es auch unseren Kindern nicht zumuten, dass sie alleine diese Last tragen.

Beides müssen sie machen, das macht es noch schwerer. Aber gehen Sie nur einen Weg, gehen Sie den Weg, Sie verzichten Jahre auf Investitionen, dann bereiten Sie nur die nächste Kuhle vor, die Sie dann wieder auffüllen müssen.

Wuttke: Sie waren ja noch nie ein Freund der Schuldenbremse und der Rechnungshof von Schleswig-Holstein will auch, dass im Land weiter gespart wird. Wie zerstörerisch kann denn Sparpolitik sein?

Albig: Ist nicht ganz richtig. Also, ich halte die Schuldenbremse in ihrer Grundregel für völlig richtig. Sie ist … ich sage das ungern sonst, also, sie ist wirklich ohne Alternative. Das Problem ist, wir fangen viel zu spät mit ihr an. Hätten wir diese Regel, die ja jeder Haushalt, jeder von uns zu Hause eigentlich permanent einhält oder einhalten muss, da achten schon unsere Girokontenbewacher für, hätten wir die lange eingehalten, dann würden wir jetzt nicht in solche Verwerfungen kommen, die Sie ansprechen.

Wer Schuldenbremse jetzt als Instrument von Bürokraten betreibt und sagt, ja, was soll ich denn jetzt in eine Kita investieren, das kann ich mir jetzt nicht leisten – das ist ein Argument, das man oft hört –, der bereitet die nächste Schuldenbremse vor. Von daher ist mein Petitum, meine Bitte einfach an alle, die es diskutieren: Lasst es uns mit Vernunft machen, mit Augenmaß, und lasst uns nicht vergessen, dass wir auf beiden Seiten der Bilanz – da, wo wir stark sein wollen, und da, wo wir sparsam sein wollen –, dass wir beides tun. Nur dann macht es Sinn. Und dann ist das Einhalten bis 2020 etwas, was uns danach tatsächlich nachhaltig nach oben bringt und nicht, weil wir Bildungsarmut haben, weil wir ganz viele ohne Chancen gelassen haben, die wir dann immer wieder sozial abfedern müssen und damit quasi die nächste große Lücke wieder vorbereiten, an der dann die nächste Politiker- und Menschengeneration arbeiten muss.

Wuttke: Geht es Deutschland gut also, oder geht es Deutschland schlecht? Hat das Gemeinwesen in Deutschland durch das, was Sie auch geschildert haben, durch die Krise, in der wir stecken, durch den Schuldenberg, den wir haben, hat sich das Gemeinwesen in Deutschland bereits verändert?

Albig: Zwei Aspekte: Der erste, ich mag es wirklich nicht, wenn man Deutschland auch mit der Welt vergleicht, dass wir in unserer Debatte immer so maßlos sind. Dieses Land, so wie wir es heute erleben, wenn wir auf die Straße gehen heute Morgen und feststellen, was ist denn da: Das ist das reichste, was wir an diesem Ort in Europa jemals hatten! Wenn wir uns in der Welt umschauen oder wenn wir uns in unserer eigenen Geschichte umschauen und mal 60 Jahre zurückgehen und sich vorstellen, wie sah eigentlich die Welt da aus, dann würden wir mit der Mutlosigkeit, mit der wir heute zum Teil unser Land betrachten, hätten wir keinen einzigen Stein dieser Ruinen, die vor uns lagen, wieder aufgebaut. Wir waren zunächst mal – unsere Eltern und Großeltern … Also, das ist ein starkes Land und ist ein Land, das überhaupt keinen Grund hat, sich zu verstecken, den Kopf in den Sand zu stecken.

Aber es ist ein Land, das Herausforderungen hat. Und diese Herausforderungen, ja, die merkt man an manchen Stellen. Wenn Sie in einige unserer Stadtquartiere gucken und sehen, was verändert sich dort in der jungen Generation, ist Kinderarmut in diesem eben beschriebenen, reichen Land – was eigentlich so sein müsste – kein Thema, oder erleben wir Kinder, die nicht mehr Teil sind von Bildungsgesellschaft, die nicht mehr Teil sind von Bezügen, in denen sie ins Theater können, in denen vorgelesen wird, in denen sie Sport machen, sondern die arm sind? Das wird zunehmend zum Problem, gerade da, wo viele Menschen leben, merken wir das. Und da bricht das auseinander! Eigentlich sind wir ein reiches Land, aber an vielen Stellen funktioniert es nicht mehr.

Und von daher: Ja, es verändert sich was, aber es verändert sich nicht so, dass wir es nicht hinbekommen könnten, wenn wir das miteinander machen, wenn wir unsere Stärken setzen und wenn wir vielleicht ein ganz klein bisschen weniger Neiddebatten in dieser Gesellschaft führen würden und mehr auch Patriotismus erleben und sagen: Wir wollen alle, dass wir das klügste Land sind, wir wollen alle, dass alle unsere Kinder – wir reden über eine älter werdende Gesellschaft und lassen es zu, dass ganz viele Kinder nicht ordentlich ausgebildet sind, das ist doch eine Absurdität! –, wenn wir alle dafür Sorge tragen würden und das als unsere Aufgabe verstehen, dann haben wir vor diesen Schulden, ich jedenfalls, keine Angst.

Wuttke: Sind Sie trotzdem ein Mensch, ein Politiker geblieben, der in diesen Zeiten noch etwas verspricht, wenn Sie es dann am Ende halten wollen?

Albig: Ja, ich mache Politik, weil ich Dinge besser sehen möchte. Ich verspreche, dass ich alles dafür tue, dass Bildung funktioniert. Ich weiß, dass man auch Gefahr läuft, wenn eine Rezession kommt, dass diese Versprechen nicht genau so erfüllt werden, wie ich sie mir vorgestellt und wie ich es mir gewünscht habe. Aber da, wo ich verspreche, weiß ich, dass … Wenn ich alle meine Kraft einsetze, wenn alle den Weg mitmarschieren, dann können wir das erreichen.

Politik, die keine Ziele mehr hat, Politik, die keine Ideale mehr hat, die dieses große Wort Vision nicht mehr hat, die ist nur noch Buchhalterei. Und Buchhalterei, dafür werde ich nicht gewählt, für Buchhalterei, da können Sie Menschen auf der Straße, die es gelernt haben, Zettelchen auszufüllen und kleine Kästchen zu füllen, in die Rathäuser oder in die Staatskanzleien holen. Politik muss den Menschen auch eine Vorstellung des Morgen geben. Und dazu gehört auch, dass sie sich selber und den Menschen eine Versprechung machen. Das heißt nicht, dass Sie ihnen Sand in die Augen streuen, sondern dass Sie dafür kämpfen, dass ihre Ideen sich entwickeln, dass Sie daran glauben, dass dieses Land noch anders sein kann. Und in dieser Art will ich versprechen, ja.

Wuttke: Zum Anspruch und zur Handlungsfähigkeit von Politik in Zeiten von Schulden und Krisen und manchmal eben auch der Überraschung von Mehreinnahmen: Torsten Albig, der sozialdemokratische Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Schönen Dank, Herr Albig!

Albig: Gerne!

Wuttke: Schönen Tag!

Albig: Ihnen auch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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