Tischa be-Aw

Zwischen Trauer, Zorn und Hoffnung

Ein orthodoxer jüdischer Vater betet an Tischa be-Aw, dem 9.8.2008, mit seinen Töchtern in der Altstadt von Jerusalem.
Ein orthodoxer jüdischer Vater betet an Tischa be-Aw mit seinen Töchtern in der Altstadt von Jerusalem. © picture-alliance / dpa / Michal Fattal
Von Heinz-Peter Katlewski · 01.08.2014
Der jüdische Kalender verzeichnet für den kommenden Dienstag einen Trauertag: Es ist der neunte Tag im fünften jüdischen Monat, dem Monat Aw - Tischa be-Aw. Die Überlieferung erzählt, dass in der Geschichte des Volkes Israel wiederholt tragische oder bedrohliche Ereignisse an diesem Datum begonnen haben.
Rabbiner Mendel Schtroks: "Man klagt die Zerstörung des Tempels in Jerusalem. Der Erste Tempel wird gebaut durch König Salomon, und stand 410 Jahre, und an diesem Tag – 9. Aw – wird das zerstört durch die babylonische Macht. Nachdem, zweite Tempel wird gebaut, und das wird zerstört 420 Jahre später durch die Römer."
Auch die Zerstörung des zweiten Tempels im Jahre 70 unserer Zeitrechnung fand am 9. Aw statt, berichtet der Talmud und nennt noch drei weitere Ereignisse: Gott hat die aus Ägypten ausgezogenen Israeliten an diesem Tag wissen lassen, dass nur ihre Kinder ins gelobte Land einziehen werden. Am 9. Aw im Jahre 132 wurde der Bar-Kochba-Aufstand niedergeschlagen, und im Jahr darauf wurde am 9. Aw von den Römern der Acker gepflügt für den Bau der Stadtmauer einer römischen Siedung auf dem Boden Jerusalems.
Mendel Schtroks: "Aber historisch geht es noch weiter. Dieses Tag ist ein Symbol von das Trauer von das jüdische Volk."
Eine Häufung tragischer Ereignisse
Es scheint so, als fänden die tragischen Ereignisse in der Geschichte der Juden vorzugsweise an diesem Tag im elften Monat des jüdischen Kalenders statt: Am 9. Aw 1290 wurden die Juden aus England vertrieben. Am 9. Aw 1492 mussten sie Spanien verlassen, wenn sie nicht zum Christentum übertreten wollten. Am 9. Aw 1942 begannen die Transporte aus dem Warschauer Ghetto ins Konzentrationslager Treblinka, nachdem die SS zuvor den Aufstand im Ghetto niedergeschlagen hatte. Auch daran erinnert man sich an diesem Tag in der Synagoge.
Seinen besonderen Ausdruck findet das in einem langen Klagegesang, den in der Bibel aufgezeichneten fünf Klageliedern Jeremias.
Michael Lawton: "Drei Wochen lang haben zumindest orthodoxe Juden diesen Tag vorbereitet: Sie haben ihre Haare nicht geschnitten, sie haben keine großartige Feier gefeiert, sie haben keine neue Kleidung angezogen. In den neun Tagen von Aw, von dem Anfang des Monats haben sie kein Fleisch mehr gegessen. Und dann, an dem Abend selbst, wo dieses Lied gesungen wird, erreicht die Trauer ihre höchste Stufe. Man sitzt in der Synagoge entweder auf dem Boden oder auf sehr niedrigen Stühlen. Die Synagoge ist teilweise verdunkelt, die Vorhänge vor dem Toraschrein sind in vielen Gemeinden abgehängt."
Verlust des Tempels als Befreiung?
Es herrscht eine bedrückende, traurige Stimmung, weiß Michael Lawton. Er ist in England in einer orthodoxen jüdischen Gemeinde aufgewachsen, gehört hier in Deutschland allerdings zu den führenden Köpfen der liberalen Juden. Er neigt eher zu denen, die den Verlust des Tempels und damit des Opferkultes für eine Befreiung zur Spiritualität halten. Für fromme orthodoxe Juden aber ist Tischa be-Aw ein strenger Fastentag und ein Tag, an dem möglichst nicht gearbeitet werden soll.
Michael Lawton: "Es ist eigentlich kein Feiertag. Es ist ein normaler Arbeitstag, obwohl die Rabbiner sagen, dass die Arbeit, die an Tischa be-Aw gemacht wird, wird nie fruchten. Man soll eigentlich nicht mehr arbeiten, als man unbedingt muss."
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