Tierliebe und Menschenhass

Von Andrea Westhoff · 24.11.2008
Tierversuche, Legebatterien, quälende Züchtungen - Tierschutzthemen werden in Deutschland engagiert diskutiert. Deshalb gehört Deutschland zu den Ländern mit den umfangreichsten staatlichen Regelungen zum Tierschutz weltweit: Bereits am 24. November 1933 wurde das erste deutsche Tierschutzgesetz verabschiedet. Zur damaligen Zeit, im Nationalsozialismus, gingen strenger Tierschutz und menschenverachtendes Handeln allerdings eine fatale Allianz ein.
Tierschutz ist ein populäres Thema hierzulande. Im Mai 2002 hat Deutschland den Tierschutz sogar als erstes EU-Land in die Verfassung aufgenommen. Auch in der damaligen Bundestagsdebatte um die Ergänzung des Grundgesetz-Artikels 20a herrschte große Einigkeit. Der FDP-Politiker Rainer Funke drückte das so aus:

"Heute ist nicht nur ein guter Tag für den Tierschutz, sondern auch für die Menschlichkeit. Denn die Art und Weise, wie wir Menschen mit Tieren umgehen, sagt auch was über die Einstellung der Menschen zum Leben aus."

Das war allerdings nicht immer so. Der Tierschutz hat eine lange Tradition in Deutschland, die aber zugleich eine schwere Hypothek bedeutet. Denn es waren die Nationalsozialisten, die sich gleich nach der Machtübernahme zum Vorreiter in Sachen verbindlicher Tierschutz machten.

Das Thema bewegte die Öffentlichkeit, es gab schon zahlreiche Tierschutzvereine und auch einzelne regionale Erlasse und Verordnungen, aber kein einheitliches Gesetz. Also wurde der Ruf danach rasch erfüllt und am 24. November 1933 das erste deutsche Tierschutzgesetz verabschiedet. In Paragraf 1, Abschnitt 1 heißt es:

Verboten ist, ein Tier unnötig zu quälen oder roh zu misshandeln. Ein Tier quält, wer ihm länger dauernde oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden verursacht; unnötig ist das Quälen, soweit es keinem vernünftigen, berechtigten Zweck dient.

Diesem Grundsatz folgend, werden im weiteren Gesetz "Haltung, Unterbringung und Beförderung" geregelt; detaillierte Bestimmungen gibt es auch zu Züchtung und vor allem zu Tierversuchen.

Der Gesetzestext ist ganz und gar sachlich und "neutral" gehalten. Erst bei näherer Beschäftigung mit dem Thema wird deutlich, wie sehr der Beginn des staatlichen Tierschutzes in Deutschland in unmittelbarem Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Rassenideologie und dem Antisemitismus stand:

Schon in den philosophischen Diskursen im 19. Jahrhundert wurde eine besondere Naturverbundenheit des "germanischen Menschen" behauptet und einem angeblich "barbarischen jüdischen Umgang mit Tieren" gegenüber gestellt. Bei Arthur Schopenhauer zum Beispiel heißt es:

Die vermeinte Rechtlosigkeit der Thiere, ist geradezu eine empörende Roheit und Barbarei des Occidents, deren Quelle im Judenthum liegt.

Der Tierschutz im Nationalsozialismus richtete sich dann konkret vor allem gegen das "Schächten", ein wichtiger Ritus unter anderem für die jüdische Religion, der allerdings schon mit einem eigenen Gesetz im April 1933 verboten worden war. Ein weiteres zentrales Thema waren Tierversuche - "Vivisektionen" genannt - die auch als "jüdisch" diffamiert wurden. So konnte man beispielsweise kurz vor Verabschiedung des Tierschutzgesetzes in der Jugendzeitschrift "Die Weiße Fahne" lesen:

Bruder Nationalsozialist, weißt Du, dass Dein Führer schärfster Gegner jedweder Tierquälerei, vor allem der Vivisektion, der "wissenschaftlichen" Tierfolter ist, dieser entsetzlichen Ausgeburt der jüdisch-materialistischen Schulmedizin, von der er erklärt, dass im nationalsozialistischen Staat diese Zustände sehr bald beendet sein werden?

Insgesamt war mit dem Tierschutz im Nationalsozialismus eine radikale Verschiebung im Mensch-Tier-Verhältnis verbunden. Charakteristisch dafür ist die "Posener Rede" Heinrich Himmlers vom 4. Oktober 1943:

Ob bei dem Bau eines Panzergrabens 10.000 russische Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht, interessiert mich nur insoweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird. Wir Deutsche, die wir als einzige auf der Welt eine anständige Einstellung zum Tier haben, werden ja auch zu diesen Menschentieren eine anständige Einstellung einnehmen, aber es ist ein Verbrechen gegen unser eigenes Blut, uns um sie Sorge zu machen.

Im Text des Tierschutzgesetzes von 1933 kam - wie gesagt - diese menschenverachtende Ideologie nicht zum Ausdruck! Deshalb behielt es auch nach 1945 in der Bundesrepublik seine Gültigkeit; erst 1972 wurde ein neues Gesetz verabschiedet.
Seither gehört Deutschland zu den Ländern mit den umfangreichsten
Regelungen zum Tierschutz weltweit. 2002 wurde er sogar in die Verfassung
aufgenommen - allerdings als "Staatsziel", nicht auf gleicher Stufe mit den
Grundrechten. Vielleicht auch im Hinblick auf die historischen Wurzeln des Tierschutzes, sagte die damalige Landwirtschaftsministerin Renate Künast in
der Bundestagsdebatte:

"Legehennen werden gehalten in riesigen gewerblichen Betrieben mit mehr als 100.000 Tieren auf engstem Raum, und das gilt es zu beenden, und dafür brauchen wir eine entsprechende Regelung im Grundgesetz. Es geht allerdings auch nicht darum, das Wertgefüge im Grundgesetz so zu verändern, dass der Mensch hinten steht!"