Tiefsitzende Resignation

Hoffnung in Zeiten der Zukunftslosigkeit

Buchen
Buchenwald südlich von Hannover © picture-alliance / dpa / Foto: Julian Stratenschulte
Von Martin Ahrends · 29.04.2016
Eine eigenartige Zukunftslosigkeit liegt über dem Land, findet Martin Ahrends, und fürchtet, der Resignation zu verfallen. Hat die jüngere Generation Zugang zum Konzept Hoffnung?
Meine Mutter hat mir von ihrem beleibten Berliner Nachbarn erzählt, der sich beim Bombenalarm, bevor es in den Keller ging, noch rasch seine besten Vorräte einverleibte, um die es ihm leid gewesen wäre, wenn er sie nicht mehr hätte essen können. So hatte meine Mutter zu leben gelernt, so von der Hand in den Mund, so von Heut auf Morgen. Und so lernte ich es ihr nach, obwohl ich nach dem Krieg aufwuchs, in diesen kalten Nachkrieg hinein.
Mit der Klasse sind wir zu den "Waffenbrüdern" gefahren, die haben uns stolz ihre Arsenale gezeigt, diese Protzkeulen von Interkontinentalraketen. Meinen Schulkameraden leuchteten die Augen, sie haben gewetteifert, wer all die protzigen Zahlen kannte von Reichweite und atomarer Sprengkraft, gemessen in TNT. Trinitrotolulol.
Danach hatten wir diesen explosiven Dreck im Kopf und ich hielt es für möglich, dass so ein Protzding gegnerischer Provenienz in unserem Vorgarten landet. Ich kannte ja die zerbombten Städte noch aus eigener Anschauung.

Aufgewachsen mit einem Gefühl der Zeitbombe

Ich bin aufgewachsen mit dem Gefühl, auf einer Zeitbombe zu sitzen und nichts zu ihrer Entschärfung beitragen zu können. Ein Lebensgefühl, das Ost- und Westdeutsche im Kalten Krieg geprägt hat. Man lebte auf Abruf, auf Vorbehalt. Gewissermaßen unernst. Ich mochte mich in nichts wirklich reinknien, keine Verantwortung für das Kommende übernehmen, wenn morgen sowieso alles vorbei sein kann.
Eine eigenartige Zukunftslosigkeit, scheint mir, liegt noch immer über dem Land, es geht uns gut, wir sind versichert, aber es gibt keine positiven Entwürfe für das, was kommen wird. Ich ducke mich unter den Hagel schlechter Vorhersagen, schlage den Kragen hoch und gehe meiner Wege.
Warum tust du nichts, fragen meine Kinder. Ja, was denn, frage ich zurück. Dabei fällt mir auf, dass ich im Gegensatz zu ihnen daran gewöhnt bin, nichts machen zu können in diesen großen Dingen, die uns alle betreffen. Ich bemerke meine tief sitzende Resignation.

Die Jüngeren engagieren sich

Meine Kinder engagieren sich jetzt für nachhaltige Formen des Wirtschaftens, der Produktion und des Handels, deren globale Wirkungen sich erst entfalten werden, wenn sie eigene Kinder haben. Meine Kinder sind zukunftsbewusst. Sie erproben neue Formen des Berufs- und Zusammenlebens, erfinden eigene Zeremonien, um ihre großen Feste zu feiern. Ich bewundere das, aber mir fehlt die Zuversicht, Gedanken und Taten über das eigene Lebensende hinaus zu projizieren.
Insgeheim belächle ich, wie sie Verantwortung übernehmen für das, was kommen wird. Ein Manko an Zukunftsfähigkeit, das vermutlich nicht nur mich, sondern meine Generation betrifft. In Ost und West steckt uns die Angst vor dem Dritten Weltkrieg in den Knochen, vor dem atomaren Overkill.
Sind wir eine zynische Generation? Zukunft kommt in unserem Bewusstsein meist als Bedrohungsszenarium, kaum als erstrebenswertes Reich menschlicher Freiheit vor. Viele meiner Altersgenossen haben keine Kinder, weil sie Menschen nur als Weltschädlinge denken können.

Imagination ist eine menschliche Urkraft

Unsere Medien befassen sich ausgiebig mit den künftigen Gefahren, kaum mit den Visionen des Menschenmöglichen. Visionen sind nach Helmut Schmidt etwas, womit man zum Arzt gehen sollte; neuere Forschungen zeigen aber, dass die Einzigartigkeit des Menschen gerade in seiner prospektiven Imaginationskraft liegt.
"Was darf ich hoffen?" – für den Aufklärer Immanuel Kant war das eine der vier Grundfragen der Philosophie, und es ist ihm nicht leicht gefallen, seinem rationalistischen Denkgebäude etwas so irrationales wie die Frage nach der Hoffnung beizufügen.
Der Philosoph Ernst Bloch geht deutlich weiter, in seinem Werk "Das Prinzip Hoffnung" schreibt er, dass die Hoffnungslosigkeit das menschlich Unerträglichste, das Unaushaltbarste sei.
Ganz so hoffnungslos bin ich wohl doch nicht, wenn mir der eigene Pessimismus gelegentlich vor die Füße fällt.

Martin Ahrends, Autor und Publizist, geboren 1951 in Berlin. Studium der Musik, Philosophie und Theaterregie. Anfang der 80er Jahre politisch motiviertes Arbeitsverbot in der DDR. 1984 Ausreise aus der DDR. Redakteur bei der Wochenzeitung Die Zeit und seit 1996 freier Autor und Publizist.

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