Thriller

Rettungsmission "Schattensohn"

Von Knut Cordsen · 17.02.2014
Der US-Amerikaner Noah Hawley ist bekannt als Drehbuchautor und Film- und Fernsehproduzent und liefert mit seinem jüngsten Roman sein deutschsprachiges Debüt. Der Thriller um den Mord eines Präsidentschaftskandidaten wird aus der Sicht des Vaters des Hauptverdächtigen erzählt.
"Ich habe meinem Sohn während seines gesamten Lebens in die Augen geblickt und nicht ein einziges Mal einen Sonderling, einen Soziopathen oder Mörder darin gesehen" - so sagt es der Arzt Paul Allen in diesem packenden Roman. Der erzählt von einem Mann, der eines Abends im Fernsehen mitansehen muss, wie sein Sohn aus erster Ehe vor laufenden Kameras verhaftet wird - Daniel Allen steht unter dringendem Verdacht, den demokratischen Präsidentschaftskandidaten der USA bei einem öffentlichen Auftritt erschossen zu haben.
Paul Allen, der Titel gebende "Vater des Attentäters", will an diese Möglichkeit nicht glauben und geht der Sache nach - bis zur Selbstaufgabe kämpft er um das Leben seines zwanzigjährigen Kindes, das bald aufgrund der erdrückenden Beweislast in der Todeszelle sitzt und stoisch auf seine Hinrichtung wartet. Noah Hawley hat einen fulminanten, psychologisch feinen Thriller geschrieben, bei dem bis kurz vor Schluss offen bleibt, wer den mitgefilmten Anschlag auf den Präsidentschaftskandidaten Jay Seagram tatsächlich verübt hat. Paul Allen geht systematisch Spuren nach, die in andere Richtungen weisen: Hatte der größte private Militärdienstleister der Vereinigten Staaten, Kellogg, Brown & Root, seine Finger im Spiel, wurde sein Sohn Allen zu etwas angestiftet, das er niemals von sich aus verübt hätte?
Medienmeute umlagert sein Haus
Wieso hatte sein Sohn noch Monate vor dem Anschlag auf Jay Seagram dessen Kampagne freiwillig unterstützt und beim Verteilen von Wahlbroschüren geholfen? Was eigentlich hat seinen Sohn bewogen, monatelang wie ein Nomade durch die Lande zu ziehen, mal hier und mal dort zu wohnen und sich schließlich den neuen Namen "Carter Allen Cash" zuzulegen? Litt sein Sohn, dessen Eltern sich scheiden ließen, als er sieben Jahre alt war, unter Depressionen? Wieso bezeichnete er sich in seinem Tagebuch als "Schattensohn"?
Der Rheumatologe Allen - "pedantischer Kliniker", der er ist - versucht sich, wie bei jedem seiner Patienten auch, an einer Diagnose - listet Erinnerungen auf und kommt doch nicht weiter. Er wird, aus einem Gefühl der Schuld heraus - nämlich dem, sein Kind vernachlässigt zu haben, zum besessenen Chronisten dieses Falls, der für alle außer ihn eindeutig ist: "Ganz sicher gab es in dem Meer von Material irgendwo eine Einzelheit, die bewies, dass mein Sohn unschuldig war."
Paul Allens Leben wird von seiner verzweifelten "Rettungsmission" nachgerade "verschlungen". Die Medienmeute umlagert das Haus seiner Familie, er entfremdet sich immer mehr von ihr. Noah Hawley verwebt seine Geschichte geschickt mit der traurigen, langen Historie von Politiker-Attentaten in den USA: auf die Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords, auf John F. sowie Robert Kennedy, auf die Präsidenten William McKinley und Abraham Lincoln. Wer noch John Malkovich im Ohr und vor Augen hat, wie er sich in Wolfgang Petersens Film "In The Line Of Fire" beim Secret-Service Mann Clint Eastwood mit "Booth" meldet, nach dem gleichnamigen Lincoln-Attentäter John Wilkes Booth, der wird begeistert sein von diesem am Ende ergreifenden Roman.

Noah Hawley: Der Vater des Attentäters
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence
Nagel & Kimche, München 2014
400 Seiten, 21.90 Euro