Thriller

Atemlose Bonsais

Sichergestellte, gefälschte Euro-Banknoten hält Bundesbank-Vorstand Carl-Ludwig Thiele bei der Bundesbank in Frankfurt am Main in den Händen und spiegelt sich dabei in der Tischplatte.
Sichergestellte, gefälschte Euro-Banknoten hält Bundesbank-Vorstand Carl-Ludwig Thiele bei der Bundesbank in Frankfurt am Main in den Händen und spiegelt sich dabei in der Tischplatte. © dpa picture alliance/ Boris Roessler
Von Irene Binal · 01.08.2014
Die französische Autorin Flore Vasseur blickt hinter die Kulissen der Macht. Sie findet dort krumme Geschäfte, jede Menge Lügen und einen Mord. "Kriminelle Bande" erinnert ein bisschen an "American Psycho".
Sie stehen in der Mitte ihres Lebens, sie residieren in Villen, beschäftigen Chauffeure und Kindermädchen: Die Protagonisten in Flore Vasseurs Roman "Kriminelle Bande", einst Studienkollegen an einer Pariser Eliteuniversität, scheinen den Gipfel ihrer Karrie erreicht zu haben. Sébastien ist Kommunikationschef bei der US-Investmentbank Folman Pachs (unschwer als Goldman Sachs zu identifizieren), Bertrand arbeitet als Büroleiter im französischen Wirtschaftsministerium, seine Frau Clara als Journalistin, Vanessa ist leitende Managerin bei einem großen Beratungskonzern. Nur Antoine fällt aus dem Rahmen, der nach einem mysteriösen Unfall auf dem Campus aus dem Tritt kam und zum Hacker wurde, einem Hacker mit Doppelleben: "Tagsüber arbeitet er für das Establishment und seine Dienstleister, nachts attackiert er sie."
"Brandenburg-Affäre" bringt die Leben ins Wanken
Glücklich hat der Erfolg die einstigen Studienkollegen nicht gemacht: Sie hadern mit dem Alter, mit der Einsamkeit, mit den Lügen und Zwängen ihrer Existenz. Als Sébastien auf die "Brandenburg-Akte" stößt, ein geheimes Dossier, aus dem hervorgeht, dass Folman Pachs die Haushalte europäischer Staaten manipuliert hat, damit diese die Maastricht-Kriterien erfüllen, geraten die Dinge ins Rutschen; plötzlich muss nicht nur Sébastien um sein Leben fürchten. Tatsächlich aber ist der Mord, dem der Roman seine Einordnung als Krimi verdankt, kaum mehr als eine Nebensache.
Die Mörder wissen sich vor Verfolgung sicher in einer Welt, in der sie die Fäden ziehen, und diese Welt durchleuchtet Vasseur in einer dynamischen Prosa und mit zynischem Blick. Da wird betrogen und vertuscht, da kontrollieren Unternehmen ihre Mitarbeiter bis hin zu deren Mahlzeiten, da wird das Leben des einzelnen gnadenlos dem Diktat der Märkte unterworfen. Mit Bret Easton Ellis' Kultroman "American Psycho" wurde Vasseurs Buch verglichen und tatsächlich gibt es Parallelen: Auch die Französin skizziert eine macht- und geldversessene Gesellschaft, in der Moral und Ethik keine Rolle spielen, und stellenweise wirkt der Text in seiner wütenden Rasanz fast wie ein politisches Manifest.
Hinter der Fassade stecken empfindliche Charaktere
QR-Codes am Seitenrand lassen die Handlung noch weiter in die Wirklichkeit schwappen. Sie führen auf Webseiten mit Hintergrundinformationen, zu Videos von YouTube etwa oder zu Berichten über Auswüchse der Finanzkrise. So wird zwar die Aktualität des Romans betont, allerdings auch der Fluss der Lektüre unterbrochen. Dabei lohnt es sich, ganz in die Romanwelt einzutauchen: Denn neben der wuchtigen Gesellschaftskritik finden sich feine Psychogramme der Figuren, in denen sich die Autorin als mitfühlende Beobachterin zeigt. Clara etwa leidet darunter, dass ihr Chefredakteur Skandale verschweigt, um es sich mit den Mächtigen nicht zu verscherzen, und Vanessa verbirgt hinter ihrem eiskalten Auftreten die Tatsache, dass sie seit ihren Studententagen hoffnungslos in Sébastien verliebt ist.
Am Ende ähnelt das Buch beinahe einem Action-Thriller, wenn Clara mit Antoines Hilfe versucht, die "Brandenburg-Affäre" publik zu machen und dadurch ins Fadenkreuz gerät. Es ist ein wilder Ritt durch die Abgründe der finanzkrisengebeutelten Welt und gleichzeitig eine feinfühlige Innenansicht der Menschen hinter der Fassade aus Geld und Luxus. "Wir haben", sagt Claras Freundin Alison, "uns selbst dermaßen beschnitten, dass wir keinen Atem mehr bekommen. Wir sind lustige kleine Bonsais."

Flore Vasseur: "Kriminelle Bande"
Aus dem Französischen von Christian Driesen
Haffmans & Tolkemitt, Berlin 2014
352 Seiten, 19,95 Euro