Thomas Dehler

Ein Liberaler mit Ecken und Kanten

Zusammen mit Thomas Dehler studiert Bundeskanzler Konrad Adenauer Glückwunsch-Telegramme, die Adenauer zu seinem 79. Geburtstag am 5.1.1955 aus aller Welt erreichten.
Thomas Dehler (li.) mit Bundeskanzler Konrad Adenauer an dessen Geburtstag 1955. Ein Jahr später provozierte Dehler den Bruch der schwarz-gelben Koalition. © dpa / Frye
Von Otto Langels · 07.03.2014
Thomas Dehler war ein Mitbegründer der Freien Demokratischen Partei Deutschlands und einer der Väter des Grundgesetzes. In seiner politischen Laufbahn ließ er sich von seinen eigenen Überzeugungen leiten. Vor 60 Jahren wurde er zum Vorsitzenden der FDP gewählt.
"Mir fällt ein schweres Glück der Verantwortung zu. Ich bin versucht, etwas bange zu werden in diesem Augenblick." Am 7. März 1954 wählten die Delegierten des fünften Bundesparteitages der FDP in Wiesbaden Thomas Dehler zu ihrem Vorsitzenden. Er erhielt 228 von 243 Stimmen und trat die Nachfolge von Franz Blücher an. "Sie kennen mich. Wenn Sie mich gewählt haben, dann haben Sie mich gewählt trotz manchem, das weiß ich."
Politischer Ziehvater von Hans-Dietrich Genscher
Mit der kryptischen Bemerkung „gewählt trotz manchem“ spielte Thomas Dehler auf seinen Eigensinn und sein kompromissloses Auftreten an. In den 1950er Jahren schärfte der linksliberale Dehler das blasse politische Profil der FDP und schonte mit provokativen Äußerungen weder Freund noch Gegner. Hans Dietrich Genscher, einer seiner Nachfolger als Vorsitzender der Freien Demokraten, erinnerte sich später an seinen politischen Ziehvater: "Thomas Dehler war eine außergewöhnliche Persönlichkeit: klug, gebildet, sehr einfühlsam. Und dann der Feuerkopf, der Mann, der auch mit seinen Bemerkungen tief verletzen konnte. Er war ein liebenswerter Mensch, überzeugungstreu und ehrlich."
Thomas Dehler, 1897 im fränkischen Lichtenfels geboren, von Hause aus Jurist, trat 1920 in die liberale Deutsche Demokratische Partei ein. Während der NS-Zeit nahm er Kontakt zu bürgerlichen Widerstandskreisen auf und war Repressionen ausgesetzt, weil er sich nicht von seiner Ehefrau, einer Jüdin, scheiden ließ.
Mitbegründer der FDP und erster Justizminister
Nach 1945 gründete er mit Theodor Heuß, Franz Blücher und anderen die Freie Demokratische Partei Deutschlands als Sammelbecken verschiedener links- und rechtsliberaler Strömungen. Dehler war im Parlamentarischen Rat an der Formulierung des Grundgesetzes beteiligt und wurde 1949 als Justizminister in das erste Kabinett Konrad Adenauers berufen. Obwohl selber ein Gegner des Nationalsozialismus, zeigte er wenig Interesse an einer strafrechtlichen Verfolgung von NS-Unrecht: "Zu unserem Recht gehört auch, dass jede Schuld verjährt."
In seinen öffentlichen Reden attackierte er mit Vorliebe die Sozialdemokraten, nannte sie Schufte, Verleumder und feige Herren. Er legte sich mit dem Bundesverfassungsgericht an, weil es sich angeblich die Rechte des Gesetzgebers anmaßte, und griff den Bundeskanzler an. Prompt verlor Dehler nach der Wahl 1953 sein Ministeramt, er wurde Fraktionsvorsitzender der FDP.
"Sie haben vielleicht Verständnis für das Gefühl, das mich beschleicht, wenn ich hier dieses Podium nun zum ersten Mal als völlig freier Mann, als wirklicher freier Demokrat betrete. Und es war natürlich so, dass ich hier und anderswo bisher doch immerhin in der Zucht des Kabinetts stand."
Wiedervereinigung Deutschlands als oberstes Ziel
Als Fraktionsvorsitzender und ab März 1954 als Parteichef der Freien Demokraten betrieb Thomas Dehler eine zunehmende Abgrenzung vom Koalitionspartner CDU/CSU. Vor allem wurde er zum erbitterten Gegner Konrad Adenauers. Dehler warf dem Kanzler vor, die deutsche Wiedervereinigung zugunsten der Westintegration zu vernachlässigen. Anfang 1956 provozierte er schließlich den Bruch der Koalition. Zu dem Zerwürfnis mit Adenauer erklärte Dehler später:
"Meine Partei ist aus der Koalition herausgegangen, weil wir nicht mehr geglaubt haben, dass die CDU/CSU und ihre Bundesregierung die deutsche Einheit will."
Der Gang in die Opposition schwächte die FDP. Dehler musste sich vorhalten lassen, dass zahlreiche Mitglieder wegen seines konfrontativen Kurses die eigene Partei verließen. Er resignierte und trat auf dem Bundesparteitag 1957 nicht mehr zur Wahl an.
Hans-Dietrich Genscher, heute Ehrenvorsitzender der FDP, über Thomas Dehler: "Er war das rechtsstaatliche Gewissen dieser Partei. Und er war der, der mit Leidenschaft um die Einheit Deutschlands rang. Und deshalb gehört er für mich zu den ganz Großen in der Parteigeschichte der FDP."
Thomas Dehler starb 1967. Nach ihm hat die Bundes-FDP ihre Parteizentrale in Berlin benannt.