The Vegetable Orchestra Wien

Karottenflöte, Lauchgeige und Gurkophon

Ein Musiker des Vegetable Orchestra Wien mit einer Querflöte aus Gemüse bei einer Konzertprobe in Moskau (aufgenommen 2011)
Ein Musiker des Vegetable Orchestra Wien mit einer Querflöte aus Gemüse bei einer Konzertprobe in Moskau (aufgenommen 2011) © picture alliance / dpa / Mudrats Alexandra
Von Claudia Dasche · 07.07.2015
Paprika, Sellerie, Zucchini – das ist nicht nur leckeres Gemüse, sondern auch Klangkörper des Vegetable Orchestra Wien. Das international gefeierte Gemüse-Orchester ist gerade in Deutschland zu Gast - und baut eifrig Instrumente für den Konzertabend.
Paprika, Karotte, Sellerie, Gurke, Porree, Rettich, Knoblauch, Kürbis, Zucchini, Zwiebel, Kohl, Aubergine, Fenchel …
Wie sagte meine Großmutter immer zu uns Kindern: "Esst Gemüse, das ist gesund und macht stark." Und mit erhobenem Zeigefinger: "Aber spielen darf man nicht damit!"
Was gemüsereiche Ernährung betrifft, hatte sie garantiert Recht. Aber in puncto Spielen sind zumindest die zehn Wiener Klangkünstler des Vegetable Orchestra entschieden anderer Meinung und überzeugen ihr verblüfftes Publikum jedes Mal bei Konzerten in den USA, Europa oder Asien vom glatten Gegenteil.
Aus einem breiten Gemüsesortiment von A wie Aubergine bis Z wie Zucchini bauen sie ihre Instrumente. Was bedeutet: Vor jeder Performance muss wieder bei Null angefangen werden. Aufwendig aber einleuchtend wegen der begrenzten Halt- und Spielbarkeit; darum ist für sie Gemüse auch nicht gleich Gemüse. Martina Winckler:
"Wir bevorzugen eigentlich regionales, biologisches Gemüse, aber das ist natürlich nicht immer möglich und es ist halt immer wichtig, das es frisch is', genau die Norm hat, das Länge und 'nen gewissen Durchmesser hat, dass wir eben zum Beispiel Karottenflöten bauen können."
Und frisch kommt das Gemüse auf den Tisch der Musiker. Dazu Messer, Bohrmaschinen, Mixer und andere Gerätschaften, die gebraucht werden, um fantasievolle, durchschlagskräftige Exemplare daraus herzustellen. Nikolaus Gansterer zum Beispiel ist nicht nur versierter Karottenflötist, sondern auch Rettichspezialist.
"Das Instrument heißt Wasserradi, is' im Grund' genommen ein Rettich, der so ausgehöhlt und zu einer Wasserkammer ausgestattet wird mit einem kleinen Loch; und dann gibt es dieses Geräusch. Wenn es dann mehrstimmig gespielt wird, dann erinnert das so an schnatternde Enten oder Gänse."
Idee ist in der Küche entstanden
Im Laufe von 17 Jahren sind die "Gemüsiker" ausgesprochene Profis geworden auf extravagantesten Instrumentenkreationen wie eben beschrieben auf Wasserradi oder Zucchinitrompete und Lauchgeige. Und sie beherrschen nicht nur virtuos ihr Handwerk. Hier ist in hohem Maße Kreativität, Team- und Erfindergeist gefordert. Kein Problem. Jeder Einzelne besitzt dieses Potenzial allein schon durch seinen beruflichen Background. Denn außer Musiker versammelt das vegetarische Orchester noch Architekten, Designer, Autoren, bildende Künstler, die ihre Ideen einbringen. Ja und so ein schräges Projekt ins Leben zu rufen entstand genau dort, wo man daheim Gemüse in der Regel auch vermutet.
"Die Ursprungsidee ist bei der Arbeit in der Küche entstanden; man hat sehr viel ausprobiert, perkussive Stücke, klassische Stücke. Dann sind wir drauf gekommen, dass zum Teil diese organischen Instrumente fast wie elektronische, also wie Klangkunstinstrumente klingen. Aus dieser kreisenden Bewegung ham' wir dann gemerkt: Am Interessantesten ist es, wenn wir unsere eigene Musik machen, die wir 'Gemüsik' nennen. Vieles, was sich im 20. Jahrhundert neu getan und entwickelt hat, haben wir uns auch angesehen. Im Grunde entspringt auch unsere Idee mehr oder weniger bzw. hat eine starke Verbindung zur 'Musik konkret' könnte man sagen."
Was wer an weiteren Musikstilen, außer den schon genannten von Nikolaus Gansterer und Jürgen Berlakovich, vielleicht noch heraushören mag, fest steht: Mit dieser "Gemüsik quer Beet" haben die Wiener Klangtüftler, gemeinsam mit Tontechnikern, einen ganz eigenen, einmaligen Soundmix entwickelt, damit Fans aller Altersstufen und Musikgeschmäcker auf ihrer Seite. So unterschiedlich die Zuhörer, so vielfältig die Konzertangebote multi-sinnlichen Klangerlebens – improvisiert, aber auch vom Blatt gespielt, das heißt nach graphischem Notationssystem, wie bei Neuer Musik oft üblich. Aber wie entstehen nun Stücke konkret? Bestimmt die Wahl des Gemüses im Vorfeld die Musik oder umgekehrt? Wird erst abgestimmt über die musikalisch-konzeptionelle Stilrichtung und dann die passenden Instrumente gebaut? Für Jürgen Berlakovich gibt‘s da keine eindeutige Antwort.
Kürbisse als Percussion-Element
"Das eine bedingt das andere und es ist immer sehr unterschiedlich. Also ich find ganz schön, wenn mich der Klang spezifischer Gemüseinstrumente oder der Klang als solches inspiriert, wenn ich da drin eine kleine musikalische Struktur finde, eine kleine Melodie, einen Rhythmus, was man dann wieder isolieren kann. Das ist ein Zugang. Andererseits hat man natürlich über die Jahre hinweg schon einiges an Erfahrung gesammelt und weiß, ich brauch jetzt hier perkussive Elemente, dann werde ich eher Kürbisse verwenden oder Auberginen. Oder ich brauch eine Melodie, dann wird man eher Karottenflöten, Karottenfiepen oder ein Gurkophon verwenden etc. Aber das schöne ist tatsächlich, dass das eine das andere bedingt und man über zwei Wege zu einer Komposition oder einer neuen musikalischen Idee findet."
Viele Wege führen zur Musik. Und wen die Neugier packt, mal zu hören, wie sein Gemüse klingt, bevor es auf dem Teller liegt, sollte sich ein Konzert des Vegetable Orchestra Wien nicht entgehen lassen. Ganz zu schweigen von der obligatorischen Zugabe.
"Ja und zwar haben wir die letzte Zugabe, das ist eine Gemüsesuppe, die machen wir jedes Mal frisch aus Gemüse was übrigbleibt, nicht von uns verwendet wurde für Instrumentenbau, sondern es ist eine schöne Situation zu sehen, dass das Publikum auf uns zugeht und wir uns dadurch auch sehr gut verbinden können. Jeder freut sich: Wir natürlich, dass wir's anbieten können und das Publikum, dass es einfach eine schmackhafte Suppe erhält von uns."
P.S.: Wäre es meiner Großmutter noch vergönnt gewesen diese Musiker einmal kennenzulernen, sie hätte ihre Meinung, Gemüse sein nur zum Essen da, bestimmt geändert.
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