Technikgeschichte

Die Keimzelle der digitalen Welt

Der amerikanische Atomphysiker J. Robert Oppenheimer (l) mit seinem Kollegen John von Neumann (r) im Jahr 1954.
Der amerikanische Atomphysiker J. Robert Oppenheimer (l) mit seinem Kollegen John von Neumann (r) im Jahr 1954. © picture alliance / dpa / UPI
Von Tobias Nagorny  · 29.01.2015
Auf Grundlage der Theorien von Alan Turing schuf ein Team um den ungarischen Mathematiker John von Neumann in den 1940er-Jahren den ersten Computer der Welt. Treibender Motor dahinter war die Entwicklung der Atombombe, schreibt George Dyson in "Turings Kathedrale".
Der verwunschene Rotklinkerbau des "Institute for Advanced Study" auf dem Gelände der Universität Princeton ist die Wiege des heutigen Computerzeitalters. Hier forschten in den 1940er-Jahren wissenschaftliche Genies wie Alan Turing, Albert Einstein oder John von Neumann an streng geheimen Projekten, die die Menschheit in ein neues Zeitalter katapultieren sollten.
Die Entwicklung der Atombombe oder der ersten Computer wurde mit nahezu unbegrenzten Ressourcen vorangetrieben, weitgehend finanziert durch das US-Militär. Die gigantischen Rechenmaschinen wurden in erster Linie benötigt, um die Entwicklung der Atombombe voranzutreiben.
Mit einem Team aus Ingenieuren rund um den ungarischen Mathematiker John von Neumann sollte die bis dahin nur Theorie gebliebene "Universalmaschine" des Briten Alan Turing zum Leben erweckt werden: Die Geburtsstunde des 500 Kilo schweren MANIAC (Mathematical and Numerical Integrator and Computer).
600 Seiten brillant recherchiertes wissenschaftliches Epos
Der Wissenschaftshistoriker George Dyson, Sohn des Princetoner Mathematikers Freeman Dyson, hält heute selbst Vorlesungen am "Institute for Advanced Study" und hat mit "Turings Kathedrale" ein episches Werk vorgelegt.
Auf knapp 600 Seiten beschreibt er, verliebt ins Detail, mit vielen Anekdoten und einer Brise Mythenbildung das kreative Umfeld der damaligen naturwissenschaftlichen Weltelite. Den Fokus legt der Autor dabei eindeutig auf die Arbeit und Biografie des Mathematikers John von Neumann.
Deshalb ist der Titel "Turings Kathedrale" irreführend, denn dem britischen Logiker und Kryptoanalytiker, der den deutschen Enigma-Code während des Zweiten Weltkriegs entschlüsselte, ist nur ein äußerst kurzes Kapitel im Buch gewidmet.
Der Glaube an das Machbare als Wissenschaftsethik
Doch an der Person John von Neumann lässt sich die historische Schlagkraft dieser Zeit, sowie die brisante ethische Diskussion deutlich nachvollziehen. Von Neumann verließ Europa mit einem unversöhnlichen Hass auf die Nazis und einem wachsenden Misstrauen gegenüber der Sowjetunion.
Damals festigte sich seine Entschlossenheit, dass die freie Welt nie wieder einer Position der Schwäche ausgeliefert sein dürfte.
Ebenso gigantisch wie die ersten Großrechner, wird Neumanns Intellekt und Ehrgeiz beschrieben. Ein rastloser wissenschaftlicher Geist und Karrierist, der mit nur wenigen Stunden Schlaf auskam und alles, was er je gelesen hat, angeblich noch Jahre später wörtlich zitieren konnte. Ein Charakter, der nicht nur nach Erkenntnis, sondern auch nach Macht und Einfluss strebte.
"Dass das Militär ihn so faszinierte, hatte mit seiner Bewunderung für Menschen, die Macht besaßen, zu tun. Er bewunderte Leute, die den Gang der Dinge beeinflussen konnten".
Im Gegensatz zu Albert Einstein sprach sich von Neumann klar für die Atombombe aus. Bezogen auf die Computerentwicklung, die den Bau der Atombombe überhaupt erst ermöglichte, sagte von Neumann zu seiner Frau Klari im Jahr 1945: "
Was wir gerade erschaffen, ist ein Ungeheuer, das den Lauf der Geschichte verändern wird, vorausgesetzt es bleibt uns noch eine Geschichte".

George Dyson: Turings Kathedrale. Die Ursprünge des digitalen Zeitalters
übersetzt von Karl Heinz Siber
Propyläen Verlag, Berlin 2014
592 Seiten, 26,00 EUR
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