Taxigeschichten

Die Schönheit der Alltäglichkeit

Ein verschwommenes Taxi fährt vor dem bundeskanzleramt in Berlin, Deutschland eine Allee entlang.
Ein verschwommenes Taxi fährt vor dem Bundeskanzleramt in Berlin. © imago / Steinach
Von Christiane Enkeler · 31.10.2015
Geschichten von Fahrgästen und einem Taxifahrer hat der iranische Autor Naser Ghiasi geschrieben. Der Rückspiegel seines Taxis war für Ghiasi dabei wie ein Spiegel der Realität. Reza Koohestani hat Ghiasis Texte am Theater Oberhausen auf die Bühne gebracht.
Sechzig Geschichten über Fahrgäste hat er geschrieben, der im Iran geborene Autor Naser Ghiasi. 1982 kam er nach Deutschland, hat hier studiert, gekellnert und ein Taxi durch Berlin gelenkt. Seine Begegnungen mit Fahrgästen hat er zunächst in einem Blog auf Persisch literarisch geformt und später als Buch im Iran herausgegeben; Geschichten von Kollegen kamen hinzu und auch erfundene. Amir Reza Koohestani, ein iranischer Regisseur, hat Ghiasis Texte gelesen und in einer Bearbeitung fürs Theater Oberhausen sieben Figuren herausgesucht. Der Autor gab dann eine Roh-Übersetzung an den Dramaturgen, der Dramaturg Rüdiger Bering seine überarbeitete Fassung in den Probenprozess – und herausgekommen ist ein großartig versponnenes Berliner Sittenbild, in dem es von Bezügen und Motiven nur so wimmelt.
Das Taxi sei voller Spiegel, sagt Naser, der Fahrer, zu einer Hure, die sich schminken möchte. Voller kunstvoll eingestellter Spiegel und Projektionen ist dann auch, was das Theater auf die Bühne bringt. Maja, die Hure, spricht mit polnischem Akzent – erfüllt aber als Dienstleisterin womöglich nur die Sehnsucht ihrer Kunden nach Exotismus.
Deutscher als Claudia Schiffer
Später steigt die erfundene Figur eines Zuhälters ein, der einen Hass auf Araber hat, weil seine Lieblingshure mit einem Araber durchgebrannt ist. Auch Naser soll sterben. Aber Naser sagt, als Iraner sei er kein Araber. Die Hure nennt sich "Maja", wie die vermeintliche Polin. Für den Zuhälter ist Maja "deutscher als Claudia Schiffer".
Leila, deren Eltern aus Afghanistan kommen, steigt ins Auto. Sie ist verheiratet mit einem Pakistani, arbeitet für einen Isländer und begeht mit einem Schweizer Ehebruch, der sich auf der Rückbank an sie schmiegt. Sie könnten von einem pakistanischen Ehemann nicht einfach eine Trennung erwarten, sagt Naser, aber Leilas Mann gehe es vor allem um die Kinder, erzählen die beiden.
Später belauschen wir das Gespräch einer Anwältin, die am Telefon über eine schwierige Scheidung spricht, von einem pakistanischen Mann. Und offenbar sind Kinder im Spiel. Mit Patti, die als Kind aus Mazedonien gekommen ist, entspinnt sich für Naser beinahe der Anfang einer Beziehung. Aber sie, die sich von einem Alkoholiker, der ein großer Mercedes-Fan war, getrennt hat, zieht es eher zu Nasers Arbeitskollegen hin – einem Mercedesfahrer mit Alkoholproblem.
So fahren hier alle kreuz und quer durch die Stadt, belegen sich gegenseitig mit Hoffnungen, Erwartungen, Vorurteilen und Projektionen und verharren in alten Verhaltensweisen. Dieter, eine Figur mit realem Hintergrund, lässt sich zu seiner Mutter fahren, die seit 20 Jahren tot ist. Immer wieder, mehrfach im Monat.
Für den Regisseur Amir Reza Koohestani sitzen sie alle "zwischen zwei Stühlen", auch Dieter, der nicht zwischen verschiedenen Ländern festhängt, sondern zwischen den Zeiten. Im Taxi wähnen sie sich in intimer Atmosphäre, während sie sich eigentlich in einem öffentlichen Raum befinden.
Zwischen zwei Stühlen
Alle Darsteller auf der Oberhausener Bühne tragen folgerichtig untenrum fast nichts, während sie obenrum gefilmt werden: Über die gesamte Bühnenbreite zieht sich eine grüne Wand als Hintergrund. Ganz links auf der Bühne sitzen die jeweiligen Beifahrer, weit davon entfernt auf der rechten Seite Naser, der das Taxi lenkt. In der Bühnenmitte steht die Rückbank.
Der grüne Hintergrund ermöglicht eine Greenscreen-Technik, mit der sich die einzelnen Szenen mühelos zerschnippeln und ineinander schneiden lassen.
Darüber befinden sich über die gesamte Breite zwei große Leinwände, die miteinander verbunden sind zu einer Art "Auto-Innenraum-Panorama". Mit leichter Hand inszeniert die Regie hier nicht nur Hintergründe von realem Stadtverkehr, Kneipe, Treppenhaus und Wald, sondern auch surreale und melodramatische Szenen.
Alles fließt, trotz der harten Schnitte: Tag und Nacht, der Regen, der Verkehr, die jazzige Musik, die persische Musik. Der Rhythmus der kompletten Inszenierung ist geradezu musikalisch komponiert in Bild und Ton.
Es hat eine große Schönheit, wie die Schauspieler uns an der Alltäglichkeit ihrer Figuren teilnehmen lassen, wie feinsinnig sie spielen und dem Publikum Witz und Humor nahe bringen. Jürgen Sarkiss als Taxifahrer Naser, also als Alter Ego des Autors, lenkt heiter, gelassen und freundlich, ehrlich an seinen Fahrgästen interessiert, wie an einem roten Faden entlang, der das splitterige Mosaik zusammenhält.
Der Autor Naser Ghiasi kehrt kurz nach der Premiere nach 32 Jahren in Deutschland in den Iran zurück, ohne sich ganz von Deutschland abzuwenden, sagt er. Hier gibt es auch Freunde, sagt seine Frau. Er vermisst die Sonne, das persische Essen und die Einfachheit. Er möchte mit seiner Frau, den drei Katzen und vielen Büchern in einem kleinen Dorf leben und schreiben.
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