Tanzen macht gesund

Von Marko Pauli · 13.11.2011
Wer unter Krankheiten wie Parkinson, Multipler Sklerose oder Depressionen leidet, traut sich oft nicht mehr, Sport zu treiben oder tanzen zu gehen. Dabei kann ein Tangokurs die Gesundheit fördern - und sogar dazu führen, dass die Teilnehmer weniger Medikamente einnehmen müssen.
Sechs Paare gemischten Alters tanzen durch einen lichtdurchfluteten Raum im Hamburger Stadtteil Alsterdorf. Die große Spiegelwand wird von ihnen außer Acht gelassen, die Aufmerksamkeit liegt ganz auf den gemeinsamen Bewegungen und den Blicken des Partners. Die auf dem Parkettboden schreitenden Füße ertasten sich vorsichtig, Oberkörper leiten sanft eine Drehung ein.

Parkinson, Multiple Sklerose, Krebs, Depression - dass bei den meisten Paaren zumindest einer der Tanzenden eine Krankheit mit sich trägt, ist nicht zu erkennen. Der argentinische Tango, der Tango Argentino, und die Art wie Tanzlehrer Ilias Oikonomou ihn beibringt, ist für jede Art von Einsteiger geeignet.

"Es ist ein Gehen, ein gemeinsames Gehen und eine schöne Umarmung, ganz natürliche Umarmung. Und das ist eine gute Basis. Mit Bewegungen, die der Körper kennt, kann man anfangen. Dann kommt dazu der Rhythmus - den auch jeder Mensch hat."

Ilias Oikonomou unterrichtet auch in der eigenen Schule "Tango Orange" und an der Hamburger Uni. Die Kurse dort unterscheiden sich nicht von dem hier im Gesundheitszentrum Theravitalis in Hamburg-Alsterdorf. Denn:

"Es geht nicht um Schritte, man muss den anderen spüren, und das ist Kommunikation. Es gibt auch komplizierte Sachen, aber die Basis ist immer die natürliche Bewegung."

Sportlich-elegant, schwarz das Haar und die Kleidung, schnappt sich Ilias Barbara Schultz, Leiterin der Physiotherapie in Alsterdorf, und demonstriert mit ihr, wie sich durch ganz leichte Bewegungen kommunizieren lässt, Richtungen geändert, Drehungen eingeleitet werden. Barbara Schultz ist die Initiatorin des integrativen Projektes, in dem Gesunde wie auch Kranke tanzen. Wer was ist oder hat, wird nicht thematisiert:

"Es ist nicht dieses: Ich weise extra darauf hin. Deshalb wollen wir diesen Kurs machen, ohne dass sich jemand outen muss. Keiner weiß, wer Parkinson hat, wer MS hat. Wir haben Krebserkrankte, mit Depressionen, wir haben Menschen die nichts haben."

Barbara Schultz erklärt, ermutigt, reißt die Kursteilnehmer fröhlich und nebenbei mit. Sie tanzt selbst seit mehr als zehn Jahren Tango Argentino, meistens mit ihrem Mann Albert. Bei ihm traten vor einigen Jahren Gleichgewichtsstörungen und Schwindelgefühl auf. Die Diagnose: Parkinson. Auch er tanzt hier im Kurs:

"Meine linke Seite ist betroffen, das ist also auch der linke Arm, der eine gewisse Steifheit hat beziehungsweise manchmal auch einen Tremor zeigt. Und das spür ich beim Tanzen überhaupt nicht. Und wenn ich mit meiner Frau tanze, die sehr kritisch ist was solche Dinge anbetrifft, die sagt dann, also wenn du mit mir tanzt, dann merke ich überhaupt nicht, dass du Parkinson hast. Das ist für mich dann ein tolles Erfolgserlebnis, wenn so was gesagt wird."

Doch auch außerhalb des Kurses zeigen sich Fortschritte:

"Zumindest in den letzten zwei Jahren kann ich darauf verweisen, dass ich auch die Ration an Medikamenten reduzieren konnte."

In einer Studie der Washington School of Medicine in St. Louis wurden Turnübungen und Tango Argentino-Kurse und deren Auswirkungen auf Parkinsonkranke untersucht. Bei beiden wurden positive Effekte erzielt, die Tangotänzer zeigten eine deutlichere Besserung in Sachen Gleichgewicht und Beweglichkeit, was mit den multiplen Anforderungen an die Tänzer erklärt wird - das gemeinsame Bewegen im Rhythmus und im Raum, das tangotypische Fußkreuzen, das häufige Rückwärtsgehen. Doch das ist nicht alles, wie Albert Schulz weiß:

"Tango Argentino, und gerade in dieser Form, die Ilias vermittelt, ist eine Anregung für das Kleinhirn und setzt ja nachweislich, ist ja wissenschaftlich erwiesen, Gehirnareale und Dopamin-Ausschüttungen in Gang, die sonst ohne diese Therapie nicht stattfinden würden - aber das Wort 'Therapie', das möchte die Barbara gar nicht gerne hören. Es soll eine ganz normale Situation sein, und das ist das was diesen Menschen besonders hilft, meiner Ansicht nach."

Die Tanzenden gehören zu den Fortgeschrittenen. Auch für Christiane Heinemann-Lind ist es bereits der zweite achtwöchige Kurs. Die Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie ist der Meinung, dass der Tango Argentino auch bei anderen Krankheiten hilfreich sein kann, zum Beispiel bei Depressionen:

"Ein depressiver Mensch kann nur noch eingeschränkt Kontakt mit andern Menschen aufnehmen. Und diese Art von Tango, die öffnet das wieder. Das führt dazu, dass jemand eine Zugehörigkeit zur Welt empfinden kann und das ist was Großartiges. Es geht auf 'ne Weise, die es einem kranken Menschen leicht macht. Reden ist immer schwierig. Körperlich kommunizieren ist viel leichter. Wenn ich jetzt groß sagen muss, wie geht es mir, was ist so schwierig, warum macht mir das Leben keinen Spaß, dann wird schon alles wieder eng und unangenehm."

Auf dem Parkett lässt sich erkennen, dass die Paare hier sehr konzentriert arbeiten müssen, um Fortschritte zu erzielen. Doch die Arbeit lohnt sich, trägt sie doch auf verschiedenen Feldern Früchte, wie Barbara Schultz meint:

"Allein wenn ich jetzt sehe, in unserem Anfängerkurs, wie liebevoll die Menschen miteinander umgehen. Und, was auch ist: Ein Mensch, der ein Handicap hat, wie gut er dieses aufnehmen kann und wie viel er seinem Partner, der kein Handicap hat, vermitteln kann. Also auch in der Paarbeziehung ist das was sehr, sehr schönes."