Tanz

Stumme, starke chinesische Frauen

Eine Frau erntet Baumwolle auf einem Feld in China.
Eine Frau erntet Baumwolle auf einem Feld in China. © picture alliance / dpa / epa Michael Reynolds
Von Elisabeth Nehring · 19.11.2014
Die Tanzproduktion "Listening to Third Grandmother’s Stories" zeigt, wie Frauen im ländlichen China seit den 1940er-Jahren leben. Doch die Frau, die diese Geschichten von Folter und Unterdrückung erzählt, ist nicht verbittert, sondern lacht.
Ursprünglich wollte Wen Hui, die Choreographin des Living Dance Studios aus Peking, Geschichten über ihren verstorbenen Vater erfahren. Eine Großtante, in China auch die dritte Großmutter genannt, könne über ihn Auskunft geben, erfuhr sie – und reiste für eine Begegnung in einen weit entfernten Teil des ländlichen Chinas.
Zurückgekommen ist Wen Hui mit der Lebensgeschichte der dritten Großmutter. Sie habe sich, so verrät sie dem Publikum zu Beginn der Performance während einer sehr persönlichen Begrüßung, sofort in diese dritte Großmutter verliebt – was wir nachvollziehen können, sobald diese als Videoprojektion erscheint. Denn da lacht eine uralte, fast zahnlose Frau mit runzeligem Gesicht und wachen Augen in die Kamera – eines jener Mütterchen, an dessen berührende Existenz man kaum noch zu glauben vermag.
Mit 13 das erste Kind bekomme, das starb
Die Geschichten der dritten Großmutter sind erschütternde Berichte aus einem Leben in China seit den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Mit elf sei sie verheiratet worden, mit 13 habe sie das erste Kind bekommen, das kurz nach der Geburt starb. Ihr Mann habe sie betrogen, sie ihn daraufhin verlassen. Die Zeit der Großen Landreform sei eine besonders schlimme gewesen: Nach draußen gehen, mit anderen Leuten sprechen – alles sei kontrolliert, ja verboten gewesen, hätte als reaktionär gegolten. Vor allem die Frauen seien zur Strafe häufig gefesselt und aufgehängt worden.
Dass dies trotz solcher Geschichten kein deprimierender Theaterabend wird, liegt an der dritten Großmutter, die beim Erzählen oft über sich, ihre Unerfahrenheit, Unwissenheit und Naivität lacht. Aber wie von selbst versteht man auch: Das sind nicht nur persönliche Erlebnisse, sondern die Geschichte vieler Frauen im ländlichen China – Frauen, die in dieser Gesellschaft wenig gewusst, wenig gefragt und wenig gesagt haben.
Vier Generationen auf der Bühne
Die Videobilder der dritten Großmutter, aber auch eindrucksvolle Ansichten des ländlichen Chinas (Video: Wu Wenguang) werden auf lang herunterhängende und in verschiedenen Lagen gestaffelte, hauchzarte Tücher projiziert, die sich von den Darstellerinnen kontinuierlich verändern und bewegen lassen; so sind die Motive manchmal kaum zu erahnen und dann wieder in aller Deutlichkeit zu erkennen.
Wen Hui steht mit ihrer Mutter und einer jungen Tänzerin auf der Bühne – zusammen mit der dritten Großmutter im Film sind es vier Generationen chinesischer Frauen. Doch von der Jugend erfahren wir nichts – diese poetische und eindrückliche Produktion befasst sich ausschließlich mit der Erinnerung an die Vergangenheit – ein seltener Prozess in China, für Wen Hui aber ein der Zukunft zugewandter.