Tagebuch

Jenseits jeder Larmoyanz

Exemplare des letzten Tagebuchs des verstorbenen Schriftstellers Erich Loest stehen am 24.02.2014 am Rande einer Buchpräsentation in Leipzig (Sachsen) auf einem Tisch. Loest hatte im Dezember 2013 in einem Leipziger Krankenhaus Suizid begangen. Das Tagebuch "Gelindes Grausen" umfasst die Jahre 2011 bis 2013.
Exemplare des letzten Tagebuchs des verstorbenen Schriftstellers Erich Loest © picture alliance / dpa / Jan Woitas
Von Marko Martin  · 23.05.2014
Mit dem posthum erschienenen Tagebuch hat sich Erich Loest von seinen Lesern verabschiedet. Es enthält erfrischende Einsichten aus seinen letzten Lebensjahren - und zeigt, was für ein unkorrumpierbarer, fairer Mensch er war.
Um integere Zeitgenossen zu beschreiben und intellektuellen Anstand zu belobigen, wird häufig zur Vokabel vom "aufrechten Gang" gegriffen. Vielleicht zu häufig, müsste man doch gleichzeitig mit Immanuel Kant wissen, dass der Mensch eher aus "krummem Holz“ gemacht ist und sämtlichen Begradigungen immer etwas Zweifelhaftes, wenn nicht Gewaltsames anhaftet. Der Schriftsteller Erich Lost war freilich ein Zeuge für beides: Wie man als irre geleiteter Weltkriegs-Jugendlicher für einige Jahre im frühen SED-Sozialismus das nun vermeintlich richtige Ideal gefunden zu haben glaubte, ehe in siebenjähriger, politisch motivierter Haft im Zuchthaus Bautzen auch die Illusion zuschanden wurde. Wie 1981 der Weggang aus der DDR und 1990 die Rückkehr nach Leipzig von einem selbstbestimmten Leben zeugte, das literarisch beeindruckend produktiv war.
Als Erich Loest im letzten September - inzwischen 87 Jahre alt - in einem Leipziger Krankenhaus den Freitod wählte, war dies dann ebenfalls die Entscheidung eines freien Menschen, der sich nicht von äußeren Zwängen kujonieren lassen wollte. Wovon auch das nun erschienene posthume Tagebuch mit dem Titel "Gelindes Grausen" zeugt, das die letzten Jahre ab 2011 dokumentiert. Würde also das Adjektiv "aufrecht" nicht derart statisch klingen und dem trockenen sächsischen Witz Loests kaum gerecht werden - hier hätte es womöglich Sinn zur Charakterisierung eines linken Antikommunisten und Sozialdemokraten, der sich noch im Krankenhauszimmer darum sorgt, ob man hier wohl auch die Stimme zur Bundeswahl abgeben könnte.
Präzise und unprätentiös
In den Notaten zuvor: Erfrischende Klarstellungen zum Kult um Kurt Masur und Christa Wolf, die freilich in keiner Zeile gallig sind, sondern eine Art verloren gegangenes Handwerker-Ethos hochhalten – rühme sich ein jeder nur dessen, was er wirklich getan hat und verschweige auch die eigene Fehlbarkeit nicht. Den gleichen Geist unkorrumpierbarer Fairness atmet auch die Korrespondenz mit Kollegen Grass, dem Loest in Sachen Israel-Gedicht ebenso freundlich wie entschieden widerspricht.
Eine Raymond Chandler- und Uwe-Tellkamp-Stil-Parodie zeigen noch einmal die oft unterschätzte Ironie des kritisch-realistischen Prosa-Autors, der sich hier gleichzeitig als begeisterter Leser des "Turms" zu erkennen gibt. Sinn für Könnerschaft allerdings nicht nur im Literarischen, sondern auch bei der Kommentierung des geliebten Fußballs – inklusive einer harten, aber nicht hämischen Kritik von Uli Hoeneß' eher sportfernem Treiben. Das alles ist ebenso präzis wie unprätentiös, um menschliche Schwächen wissend und nur allergisch reagierend, wenn zum einstigen Fehlverhalten die heutige Lüge kommt - wie etwa in den DDR-verharmlosenden Verlautbaren mancher Politiker der Linkspartei, die dem wissenden alten Mann noch so manch treffende Sequenz entlocken.
Was auch für anderes glättendes Geschwätz gilt: "Wer von der 'Schönheit des Alters' redet, war noch nie dort und hat keine Ahnung." Mit diesem Tagebuch hat sich nun Erich Loest von seinen Lesern verabschiedet: Ohne Tremolo und Ideologie, mit eben jener illusionslosen Welt- und Menschenkenntnis, die mit seinem Namen gewiss noch lange verbunden bleiben wird.

Erich Loest: Gelindes Grausen. Tagebuch 2011-2013
Mitteldeutscher Verlag, Halle 2014
336 Seiten, 24,95 Euro

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