Symbol des aktiven Gedenkens

Von Jochen Stöckmann · 07.05.2005
Der größte und prächtigste jüdische Tempel stand einst in Berlin – die "Neue Synagoge", deren goldene Kuppel in der Oranienburger Straße erstrahlte. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Synagoge zerstört und 1956 von DDR-Behörden endgültig abgerissen. Erst 1988 begann der Wiederaufbau der Kuppel und die Rekonstruktion einiger Gebäudeteile. Heute vor zehn Jahren, am 7. Mai 1995 wurde die "Neue Synagoge" zusammen mit dem Centrum Judaicum eingeweiht.
Heinrich Simon: "Wir wollen dieses für die deutsche Geschichte so wichtige Berliner Bauwerk, das alleine schon für die Stadtsilhouette von großer Bedeutung war und sie bereicherte, wieder mit Leben erfüllen."

Zuvor hatte seit 1966 allein eine schlichte Gedenktafel der Jüdischen Gemeinde Ostberlin die noch erhaltene Fassadenfront zur Stätte der Mahnung und Erinnerung erklärt. Erst als die DDR Ende der achtziger Jahre auf einen Staatsbesuch Honeckers in den USA hinarbeitete, wurde aus Gründen des außenpolitischen Renommees die Wiedererrichtung der Kuppel in Angriff genommen. Eine weitergehende Rekonstruktion war schwierig, denn bei der Sprengung der Reste des Gebetsraums, der einst 3200 Gemeindemitgliedern Platz bot, hatten die DDR-Behörden 1956 keinerlei Bauaufnahme oder Dokumentation angefertigt. So markierten wenige Mauerreste und ein Stahlgerüst die Ausmaße dieses einst größten jüdischen Tempels in Europa, als Jerzy Kanal, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, am 7. Mai 1995 die Neue Synagoge und das Centrum Judaicum eröffnete.

"Wenn Sie auf das hinter mir stehende Gebäude schauen, sehen Sie auch deutliche Spuren einer schmerzhaften Bruchstelle, eines gewaltsamen Einschnitts, Spuren der Zerstörung und der beabsichtigten totalen Vernichtung."

Was da vernichtet werden sollte, ein blühendes jüdisches Leben mit Schulen, Vereinen und sogar einem jüdischen Krankenhaus – das wird im Centrum Judaicum seit 1995 dokumentiert und in Ausstellungen öffentlich zugänglich gemacht. In dem umfangreichen Archiv fand sich zur Einweihung auch ein Eintrag über Ignatz Bubis, den damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der jüdischen Gemeinden. Er hatte gleich nach Kriegsende in der Oranienburger Straße eine für die Anerkennung als "Opfer des Faschismus" obligatorische Bescheinigung erhalten:

"Dadurch ist bei mir überhaupt erst die Erinnerung wieder gekommen, dass ich schon im November 1945 hier in diesem Haus und damals nur in Ruinen stand."

Erst in den Bombennächten 1943 wurde die Synagoge zerstört, die so genannte Reichskristallnacht vom November 1938 hatte das Gebäude fast unbeschadet überstanden. Wilhelm Krützfeldt, Vorsteher des benachbarten Polizeireviers, vertrieb damals die Brandstifter der SA mit vorgehaltener Pistole – und wird dafür im Centrum Judaicum mit einer Erinnerungstafel geehrt. Die ist ein Beispiel für jenes "aktive Gedenken", das Bubis in seiner Einweihungsrede forderte:

"Man muss sich heute fragen, ob es nicht eine Zeit gab, in der auch Menschen in der Lage gewesen wären, manches zu verhindern, was heute als unabänderlich gesehen wird."

Neben der Synagoge für das jüdische Gebet war mit dem Centrum Judaicum ein öffentlicher Begegnungsraum aller Konfessionen entstanden, ein Ort dessen besonderen Geist bei der Einweihung Josef Burg beschwor, vor 1933 Student in Berlin, und später Vorsitzender des Internationalen Rats der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem:

"Geschehenes kann man nicht ungeschehen machen. Vergangenheit kann man nicht technisch, mechanisch in Gegenwart übertragen. Aber man kann sehen, wer sind heute die Gesprächspartner in Bezug auf die neue Zusammenarbeit zwischen deutscher und jüdischer Kultur, der dieses Centrum Judaicum auch gewidmet sein soll."