Sybille Lewitscharoff über Dante

"Noch immer eine ganz große Nummer"

Eine Statue von Dante Alighieri in Florenz.
Die Schriftstellerin Sybille Lewitscharoff © imago/Leemage
Sibylle Lewitscharoff im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 21.10.2016
In ihrem aktuellen Roman lässt Sibylle Lewitscharoff Dante-Forscher ein neues Pfingstwunder erleben. Für die Autorin hat Dantes "Göttliche Komödie" uns auch heute noch viel zu sagen.
Für die Autorin Sibylle Lewitscharoff ist Dantes "Göttliche Komödie" "eines der großartigsten Langgedichte der Weltgeschichte, wenn nicht überhaupt das allerbeste". In ihrem aktuellen Roman "Das Pfingstwunder" setzt die Autorin sich mit dem Werk des Italieners aus dem 13. Jahrhundert auseinander.
Im Buch kommt es auf einem Dante-Kongress im Jahr 2013 zu einem neuen pfingstlichen Sprachwunder: Die Dante-Forscher erheben sich in mindestens 15 Sprachen sprechend - in den Himmel bis auf den Ich-Erzähler des Buches.
Interesse für Dantes Werk wecken
Ihr sei es mit dem Roman auch darum gegangen, die Menschen en passent für die Commedia zu interessieren, betont Lewitscharoff:
"Wenn man sich für die Zeit interessiert, gibt es kaum eine bessere Lektüre. Es ist ein Poem von weltgeschichtlicher Bedeutung, das man weit über den Zeithorizont hinaus lesen kann."
Die Schriftstellerin Sybille Lewitscharoff
Die Schriftstellerin Sybille Lewitscharoff© imago stock&people
Dante habe mit dem Werk das moderne Italienisch begründet, und das sei auch heute noch spürbar. "In Italien ist Dante noch immer eine ganz große Nummer", betont die Büchner-Preisträgerin. Auch wenn das in anderen Ländern weniger der Fall sei, habe der Dichter als Folie für viele Poeten, Filmemacher und Autoren gedient. "Samuel Beckett zum Beispiel war ein Danteaner von der Fußspitze bis zum Scheitel."
Die realitätsgeplagten Deutschen
Die Autorin beklagt, dass in Deutschland der Hang zum Phantastischen zu wenig ausgeprägt sei. "Wir sind auch fantastische Wesen", so Lewitscharoff. "Es gibt dieses Gehäus‘ des Gehirns das ganz andere Dinge auch produziert."
"In Deutschland kennen wir das zu wenig an, aber ich war lange in Südamerika und 90 Prozent der südamerikanischen Literatur widmen sich solchen Phänomenen. Levitationen das machen die sozusagen wie am Fließband."
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Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Wir bleiben jetzt auf der Buchmesse denn dort sind ja viele andere auch unterwegs. Die Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff zum Beispiel, die stellt dort ihren neuen Roman "Das Pfingstwunder" vor. Und in diesem Roman treffen sich Dante-Forscher aus aller Welt in Rom, um sich wissenschaftlich mit Dante Alighieris "Göttlicher Komödie" auseinanderzusetzen, und dann passiert das Pfingstwunder, das dem Roman den Titel gibt: Die Wissenschaftler beginnen in mindestens 15 Sprachen daherzufabulieren und sie faseln sich dann bis auf einen – eine einzige Ausnahme – regelrecht in den Himmel oder auch in eine andere Form des Jenseins. Mein Kollege Korbinian Frenzel hat sich mit Sibylle Lewitscharoff über ihren modernen Dante-Roman unterhalten und gefragt, warum man sich heute noch mit der "Göttlichen Komödie", einem immerhin rund 700 Jahre alten Buch beschäftigen sollte.
Sibylle Lewitscharoff: Nun, es ist eins der großartigsten Langgedichte der Weltgeschichte, wenn nicht überhaupt das allerbeste. Und das ist schon auch ein unglaublich großartiger Reigen, sagen wir mal, des mittelalterlichen Weltbildes, der sich da auftut. Und wenn man sich für die Zeit interessiert, also ab 1300 ungefähr ist es entstanden, dann gibt es kaum eine bessere Lektüre. Und auch wenn man sich noch für Poesie begeistern kann, dann ist man da fein heraus!
Korbinian Frenzel: Muss man sich für die Zeit interessieren oder ist das auch zeitlos?
Lewitscharoff: Es gibt beides. Sie brauchen einen Kommentar dazu, aber alle Ausgaben heute sind mit Kommentaren versehen, weil natürlich Zeitgenossen Dantes auftreten, die wir alle nicht kennen, auch Italiener nicht mehr alle präsent haben. Aber darüber hinaus ist das schon ein Poem von weltgeschichtlicher Bedeutung, das man weit über den Zeithorizont auch hinaus lesen kann.

"Die Italiener lesen Dante noch fleißig"

Frenzel: Ihre Faszination für Dante hat dazu geführt, dass Sie etwas Neues daraus geschaffen haben, den eben genannten Roman. Braucht denn der gute, alte Dante dann vielleicht doch auch eine Übersetzung in unsere Zeit?
Lewitscharoff: Also, ich habe ihn nicht deshalb geschrieben, den Roman. Der hat ja dann auch wirklich noch … Der dreht ja ab in eine andere Richtung noch, das geht über Dante hin… oder woanders hin. Weil, das erschien mir auch ein bisschen affig, jetzt einen Dante-Roman in dem Sinne zu schreiben. Das ist, da schmuggelt man sich in ein großes Werk hinein und brüstet sich damit, das ist eine unangenehme Vorstellung. Insofern hat mein Roman ja ein anderes Thema noch dabei am Wickel nebenher, oder das Ende damit auch. Aber trotzdem geht es mir auch darum, so en passant in dem Roman die Leute eigentlich noch einmal für die "Comedia" auch zu begeistern. Das würde mich sehr freuen, wenn der eine oder andere dann auch zur "Comedia" greifen würde.
Frenzel: Was, glauben Sie, macht diese Klassiker wie die "Göttliche Komödie" für ein großes Publikum so schwer? Ich glaube, die Aussage fällt in Ihrem Roman, dass Dantes Großgedicht eines der berühmtesten und zugleich am wenigsten gelesenen Werke der Weltliteratur ist. Ist das, weil die Sprache, die Verse ungewohnt sind, oder weil wir uns in der Literatur mit diesen mythischen Welten, diesen Überschreitungen von Realität heute so schwertun?
Lewitscharoff: Beides, aber der Hauptgrund ist natürlich zunächst einmal: Die Italiener lesen das ja immer noch fleißig, das ist ja aber auch in ihrer Sprache geschrieben. Und Dante hat eigentlich das moderne Italienisch begründet. Das darf man nicht vergessen, bei uns war das eher Luther, aber bei den Italienern sehr viel früher noch war das Dante. Und ein Gymnasiast kann Dante bis heute lesen, der in Italien aufwächst. Das heißt, in Italien ist Dante immer noch eine ganz große Nummer. Bei uns etwas weniger natürlich oder auch in Frankreich weniger oder in englischsprachigen Ländern, aber als, sagen wir mal, Filmfolie, als Dichtungsfolie, als Folie für viele Schriftsteller … Zum Beispiel Samuel Beckett war ein Danteaner von Fußspitze bis Scheitel! Und es gibt viele, die sich darauf besonnen haben und ihn auch verwendet haben. Also, da hat er eine Riesenwirkung entfacht.

"Wir sind auch fantastische Wesen"

Frenzel: Ich habe ein schönes Wort gefunden in einer Rezension über ihren Roman, realismusgeplagt sei unsere Gegenwartsliteratur, hat da ein Kollege geschrieben und Sie als löbliche Ausnahme dargestellt, die Sie nämlich Raum lassen für sphärische, für mythische Welten. Realismusgeplagt, teilen Sie diese Beobachtung mit Blick auf die aktuelle Literatur?
Lewitscharoff: Ja, schon ein wenig. Nur muss man dazu sagen, also, auch wenn man vom Realismus sich löst und abhebt in eine Welt, die anders konstruiert ist, dann muss man trotzdem sehr realistische Bestandteile haben. Weil, sonst landen Sie in einer völlig, ja, Schwäbäbo-, Schwäbibi-Geschichte, die irgendwie einfach langweilig ist, weil alles dann erfunden ist. Das heißt, Sie brauchen eigentlich den harten Kern der Realität, das habe ich im Roman auch versucht in Form dieses Menschen, dieses Professors in Frankfurt, der Realist bis in die Knochen ist, aber dann sind natürlich diese Aufflugmanöver, machen die dann richtig … bereiten die Vergnügen. Und es gehört zum Menschen dazu … Also, ich habe das öfter gesagt, aber es ist immer wieder das Gleiche: Wenn sie im Traum sich befinden oder bevor sie einschlafen können überhaupt, sind Menschen grundsätzlich woanders. Und das hat wenig mehr mit der reinen Realität zu tun. Es gibt dieses Gehäus‘ des Gehirns, das ganz andere Dinge immer auch produziert. Und es ist jetzt egal, wie realistisch das im Einzelnen dann wiederum auch teilweise ist, welche Teilreste sich da erhalten, aber wir sind auch fantastische Wesen.
Frenzel: Haben Sie den Eindruck, dass wir uns dessen bewusst genug sind oder das genug anerkennen … Ich meine das jetzt fast schon allgemein, diese Frage, aber vor allem auch bezogen auf die Literatur!
Lewitscharoff: In Deutschland erkennen wir das zu wenig an. Aber in sehr vielen anderen Ländern … Also, ich war lange in Südamerika, die machen ja gar nichts anderes. Also, da sind … 90 Prozent der südamerikanischen Literatur widmet sich solchen Phänomenen. Und Levitationen, das machen die doch sozusagen am Fließband, das ist überhaupt kein Problem. Also, das heißt, es gibt viele Kontinente oder wenn Sie den afrikanischen Kontinent oder die Inder nehmen, die machen das auf ganz andere Weise, aber da gehört es derartig selbstverständlich zum literarischen Bestand des Wissens oder der Neugierde. Es ist bei uns eher anders ein bisschen, aber auch nicht ganz, das ist ja nicht so eindeutig.

Störende Geräuschkulisse auf der Frankfurter Buchmesse

Frenzel: Sie sind wie viele, viele Autoren zurzeit in Frankfurt bei der Buchmesse. Ist das ein Ort, an dem Autoren dazu kommen, sich auszutauschen?
Lewitscharoff: Ja. Die Lesungen oder die Gespräche sind ein bisschen anstrengend, weil sie immer so lärmumschallt…, also so lärmumbraust sind, das ist etwas unangenehm, aber trotzdem sind die Gespräche eigentlich nicht schlecht. Das heißt, ich würde mir nur wünschen, dass das, was man dann bespricht oder vielleicht auch ein kleines Stücken liest oder so, in ein bisschen schallgeschützteren Räumen stattfindet. Ansonsten, also, ich bin ein bisschen ein Gesellschaftskasperle, also, ich sehe da freundliche Leute, denen ich gerne begegne, und ich genieße es.
Frenzel: Hatten Sie schon eine Begegnung, eine Lesung oder einen Buchtitel, den Sie in die Hand bekommen haben, wo Sie dachten, wow, das ist eine Entdeckung?
Lewitscharoff: Ja, das ist jetzt neuerdings … Den werde ich also sofort verputzen, wenn ich zurück bin, das ist dieser Franzose, Monsieur Enard, das werde ich sofort lesen!
Frenzel: Sibylle Lewitscharoff von der Buchmesse in Frankfurt, die Autorin und Büchner-Preisträgerin. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Lewitscharoff: Danke Ihnen auch!
Kassel: Korbinian Frenzel hat dieses Gespräch mit Sibylle Lewitscharoff geführt, und ihr neuer Roman "Das Pfingstwunder" ist im Suhrkamp Verlag erschienen. Unsere Berichterstattung zur Frankfurter Buchmesse finden Sie selbstverständlich im Internet und wenn Sie wollen, können Sie auch direkt dahin, wenn Sie die Adresse deutschlandradiokultur.de/buchmesse eingeben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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