Sunday, bloody sunday

Von Georg Gruber · 05.10.2008
Der Frieden in Nordirland scheint zu halten, nach Jahrzehnten blutigen Bürgerkrieges. Als Auftakt der "troubles", als Beginn der gewaltsamen Eskalation des Konfliktes zwischen Katholiken und Protestanten gilt der 5. Oktober 1968. Heute vor 40 Jahren wurde eine Demonstration in der nordirischen Stadt Derry von der Polizei niedergeknüppelt.
1968 war nicht nur das Jahr der Studentenproteste in Deutschland und Frankreich, 68 war auch das Jahr, in dem sich in Nordirland eine Bürgerrechtsbewegung formierte. Sozialisten und Liberale aus allen Schichten protestierten mit friedlichen Mitteln gegen die eklatante Ungleichbehandlung der katholischen Bevölkerung.
1921 war Irland geteilt worden: Der Süden wurde Republik, der Norden erhielt Selbstverwaltungsrechte, blieb aber Bestandteil des britischen Königreiches. Seit der Teilung hatte im Norden die protestantische pro-britische Bevölkerungsmehrheit das Sagen, und diese Mehrheit schloss die Katholiken vom politischen und ökonomischen Leben weitgehend aus. Die Bürgerrechtsbewegung forderte deshalb:

"Die gerechte Vergabe von Wohnungen und Jobs. Die Auflösung der "B-Specials", einer paramilitärischen Hilfstruppe der Polizei. Die Rücknahme des "Special Powers Act", einer Art Notstandsgesetz zur Bekämpfung der IRA, die zu diesem Zeitpunkt in Nordirland keine Rolle mehr spielte. Und: gleiches Wahlrecht für alle, "one man, one vote" und ein fairer Zuschnitt der Wahlkreise."

Im August 68 fand in Dungannon eine erste Kundgebung von Katholiken gegen die ungerechte Verteilung kommunalen Wohnraums statt, bis dahin waren dabei stets Protestanten bevorzugt wurden. Eine für den 5. Oktober geplante Demonstration durch die zweitgrößte nordirische Stadt, durch Derry, wie die Katholiken sagen oder Londonderry, wie die Stadt von den Protestanten genannt wird, wurde hingegen verboten.
Trotzdem marschierten rund 400 Menschen vom Bahnhof in Richtung Zentrum. Die Polizei reagierte völlig überzogen, das stellte später auch eine unabhängige Untersuchungskommission fest. Die Sicherheitskräfte prügelten auf die friedlichen Demonstranten mit Schlagstöcken ein und trieben sie in ein katholisches Arbeiterviertel, wo eine heftige Straßenschlacht entbrannte. 11 Polizisten und 77 Zivilisten wurden verletzt. Einer der Organisatoren der Demonstration Eamonn McCann erklärte später:

"Sobald die Bürgerrechtsbewegung begonnen hatte, nach dem 5. Oktober, brach die nordirische Gesellschaft entzwei und legte all das Gift frei, das immer in ihr gewesen war und das sich lediglich unter den kleinen Zugeständnissen an den Anstand und unter den Reformversprechen verbarg, aber das alte konfessionelle Gift war alles noch da und sobald das Ding aufbrach, quoll es einfach heraus."

Der protestantische Ministerpräsident O'Neill versuchte, Reformen einzuleiten, stieß dabei aber auf Widerstand in den eigenen Reihen.

"Es ist schrecklich schwierig, Protestanten beizubringen, dass Katholiken, wenn man ihnen eine gute Stelle und eine gute Wohnung gibt, wie Protestanten leben werden. ( ... ). Sie werden nicht mehr 18 Kinder haben wollen. Wenn aber ein Katholik arbeitslos ist und in einer grausigen Hütte lebt, dann wird er auf Kosten der staatlichen Sozialhilfe 18 Kinder aufziehen. Wenn man Katholiken rücksichtsvoll und freundlich behandelt, werden sie, trotz des autoritären Wesens ihrer Kirche, wie Protestanten leben."

Die Spirale der Gewalt in Nordirland ließ sich nicht mehr stoppen: Im August 69 war das katholische Arbeiterviertel in Derry Zentrum einer regelrechten Schlacht, der "Battle of the Bogside". Traurige Berühmtheit erlangte 1972 der "Bloody Sunday": Wiederum in Derry demonstrierten 15.000 Menschen für Bürgerrechte und gegen willkürliche Verhaftungen. Britische Soldaten eröffneten das Feuer, 13 unbewaffnete Demonstranten starben. Die Soldaten hätten zurück geschossen, erklärte der Kommandeur der britischen Fallschirmjäger. Augenzeugen, wie der Bischof von Derry, Edward Daly, widersprachen:

"Niemand hat auf die Soldaten gefeuert, auf keinen Fall, die Leute sind doch vor den Soldaten davon gelaufen, als sie schossen."

Der Bloody Sunday radikalisierte die katholische Minderheit, die IRA erhielt nun Zuspruch auch von Leuten, die eigentlich eher friedlich eingestellt waren. Großbritannien, das sich in den 60er Jahren noch als Schlichter zwischen den Parteien verstanden hatte, war von nun an selbst Partei in einem Jahrzehnte währenden blutigen Bürgerkrieg. Erst nach dem Karfreitagsabkommen von 1998 begann sich die Lage in Nordirland allmählich zu normalisieren. Maßgeblich beteiligt an dem Abkommen war auch ein Politiker aus Derry, John Hume, er war auch einer der Köpfe der friedlichen Bürgerrechtsbewegung von 1968.