Suizid

Wenn der Tod zur Sehnsucht wird

Eine Frau hält den Kopf in den Händen.
Depressive Menschen sind besonders selbstmordgefährdet. © imago / Science Photo Library
Von Volkart Wildermuth · 17.12.2014
Weltweit sterben mehr Menschen durch Selbstmord als durch Mord, Krieg, Unfall oder Aids. Der Psychiater Thomas Bronisch gibt mit seinem überarbeiteten Standardwerk "Suizid" einen wohltuend sachlichen Überblick und zeigt, wie man Warnzeichen erkennen kann.
Weltweit übersteigt die Zahl der Suizidopfer die Zahl der Mord-, Kriegs,-, Unfall- und Aidstoten zusammen – das gilt auch für Deutschland. Seit 2009, nach dem Selbstmord des Nationaltorhüters Robert Enke, steigen die Zahlen an. Und obwohl das so ist, wird der Suizid nach wie vor tabuisiert, schreibt Thomas Bronisch. Er arbeitet am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München und legt nun sein Standardwerk in überarbeiteter Version neu vor.
Erhöhtes Risiko durch Depression, Schizophrenie und Drogensucht
Der Suizid eines Menschen trifft viele: Neben dem Opfer auch die Angehörigen, die Menschen, die Zeugen werden oder etwa der Zugfahrer, der unfreiwillig in die Tat verwickelt wird oder die Sanitäter und Ärzte, die vor Ort agieren müssen. Sie alle stehen vor der Frage: Warum? Eine allgemeingültige Antwort auf diese Frage gibt es nicht, aber man kann Warnzeichen erkennen, so Bronisch.
Statistisch gesehen sterben zwar mehr Männer durch einen Suizid, aber deutlich mehr Frauen unternehmen einen Versuch. Krankheiten wie Depression, Schizophrenie oder eine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit sind wichtige Risikofaktoren. Und wer eher impulsiv und aggressiv veranlagt ist, hat ein erhöhtes Risiko, einen Suizidgedanken auch tatsächlich in die Tat umzusetzen. Aber all dieses statistische Wissen erlaubt nicht, vorherzusagen, wer wirklich gefährdet ist.
Sterbehilfe als individuell vernünftige Option
Trotzdem ist Boenisch nüchterner Blick wertvoll, denn nur so eröffnen sich der Gesellschaft Handlungsmöglichkeiten, etwa Therapieangebote leicht zugänglich zu machen oder die Umsetzungsmöglichkeiten zu erschweren. In den USA haben Staaten mit strikteren Waffengesetzen weniger Suizide, in England sank die Rate deutlich, als die Zusammensetzung von Gas im Haushalt verändert wurde. Wirkungsvoll erwies sich auch eine Änderung in der Berichterstattung: Als österreichische Medien in den 1980ern aufhörte, über U-Bahn-Suizide zu berichten, sank die Zahl der Suizidversuche an den Bahnsteigen um 75 Prozent. Umgekehrt kommt es immer zu Folgetaten, wenn über den Selbstmord eines Prominenten groß berichtet wird.
Thomas Bronisch selbst schreibt wohltuend sachlich, wohl auch um eine Nachahmungstat zu vermeiden. Sein Schwerpunkt liegt auch Prävention. Er appelliert an jeden, Selbstmordgedanken ernst zu nehmen und sich frühzeitig Hilfe zu holen. Nur in einem Punkt weicht er von dieser Linie ab: Im Kapitel Sterbehilfe, das er dieser Auflage neu hinzugefügt hat, kommt er zu dem Schluss, dass wenn eine Krankheit unerträglich wird und es keine Aussicht auf Besserung gibt, ein Suizid eine individuell vernünftige Option sein kann.
Ansonsten betont der Psychiater, dass dem Thema Suizid ebenso viel Aufmerksamkeit geschenkt werden müsse wie anderen lebensbedrohlichen Krankheiten. Sein Buch ist dazu ein erster Schritt, es bringt das Tabuthema zurück in die Öffentlichkeit – genau also dorthin, wo es hin gehört!

Thomas Bronisch: Der Suizid. Ursachen, Warnsingale, Prävention
C.H.Beck, München 2014
144 Seiten, 8,95 Euro

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