Südhoff: Kampf gegen den Hunger braucht mehr Geld

Moderation: Joachim Scholl · 29.02.2008
Aufgrund der weltweit steigenden Preise für Nahrungsmittel fordert der Leiter des Berliner Büros des Welternährungsprogramms der UN, Ralf Südhoff, weitere finanzielle Unterstützung. Die akute Nothilfe für Hungerleidende sei bereits gefährdet. Zudem sei eine stärkere Förderung der ländlichen Entwicklung erforderlich, sagte Südhoff.
Joachim Scholl: Um 40 Prozent sind im letzten Jahr die Lebensmittelpreise weltweit gestiegen nach Angaben der Vereinten Nationen, deren Welternährungsprogramm davon direkt betroffen ist, mithin die Versorgung von 73 Millionen Menschen in 78 Ländern. Heute gibt es dazu eine Dringlichkeitssitzung der UN in Rom. Hier in Berlin leitet Ralf Südhoff das Büro des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen. Herr Südhoff, ich grüße Sie!

Ralf Südhoff: Guten Morgen!

Scholl: Seit Januar, Herr Südhoff, ist an der wichtigsten Getreidebörse der Welt in Minneapolis der Preis für Weizen von zehn auf 24 Dollar gestiegen. Das sind satte 150 Prozent fast. Wann geht dem World Food Program denn das Geld aus?

Südhoff: Das könnte eine reale Gefahr sein, wenn sich nicht tatsächlich etwas tut. Unser Problem ist, dass wir glaubten, in weiser Voraussicht noch im letzten Sommer unser Budget aufzustellen für 2008. Die Zahlen, die damals der Planung zugrunde lagen, sind heute quasi schon obsolet. Sie haben es erwähnt, 40 Prozent sind die Getreidepreise vor allem, und das sind die wichtigsten Güter für die Ärmsten der Welt vor allem und damit auch für unsere Nahrungsmittelhilfe, gestiegen in der Zwischenzeit.

Wenn Sie sich jetzt vor Augen halten, ein typischer, fast hungernder, armer Mensch, ein Bewohner in den Entwicklungsländern gibt oft zwei Drittel bis 80 Prozent seines Einkommens nur für Nahrung aus und muss jetzt eben auch, nicht nur wir, sondern die Menschen selbst vor allem ja auch, 40, 50 Prozent mehr für diese Nahrung bezahlen. Dann ist das natürlich nicht tragbar. Und für uns ist auch die Frage, wie viel von diesen Menschen können wir eigentlich mit dem Geld, was wir haben, überhaupt noch erreichen?

Scholl: Könnten Sie uns vielleicht mal an einem Beispiel, an einem Land die Auswirkung schildern?

Südhoff: Nehmen Sie das Beispiel Afghanistan. Das mag auf den ersten Blick überraschen, aber es trifft natürlich vor allem Länder, die ohnehin von bestimmten Krisen, von Katastrophen, von Konflikten geschüttelt sind. In Afghanistan ist Weizen das wichtigste Nahrungsmittel. Der Weizenpreis im Lande ist im letzten Jahr um rund zwei Drittel gestiegen. Nun haben sie dort auch eine einheimische Bevölkerung, die ohnehin sehr viel für Nahrungsmittel bereits ausgeben musste. On top von den ohnehin Problemen, die die Menschen haben, um sich selbst versorgen zu können, ob sie in einer sicheren Zone leben, wo sie wohlmöglich Felder anbauen könnten oder nicht, kommt nun, dass die Nahrungsmittel für sie unerschwinglich werden. Die Folge ist, dass allein in Afghanistan über zweieinhalb Millionen mehr Menschen ganz akut jetzt auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind. In Zahlen für uns finanziell heißt das, 80 Millionen Dollar mehr sind urplötzlich notwendig, um eine Bevölkerung zu erreichen, die dringend auf diese Hilfe angewiesen ist und ein Ausmaß hat wie fast eine Großstadt wie Berlin. Das sind die Herausforderungen, vor denen wir stehen und die wir ganz dringend meistern müssen.

Scholl: Lassen Sie uns über die Gründe dieser Entwicklung, also dieser rasanten Teuerung sprechen. Der gewaltige Preisanstieg hat zum einen groteskerweise vor allem, liest man, mit unserem Ökobewusstsein zu tun, jetzt vielleicht nicht im Fall Afghanistan, aber Stichwort Biosprit. Die gewaltige Nachfrage dieses Biokraftstoffes führt dazu, dass also die Getreidepreise so weit steigen?

Südhoff: Das ist ein wichtiger Grund. Der Biospritboom führt zur Konkurrenz zwischen Tank und Teller, wie das manche ganz plakativ nennen. Dadurch dass zum Beispiel allein in den USA mittlerweile rund ein Drittel der Maisernte für Ethanol, für Biosprit verwandt wird, fehlt dieser Mais natürlich auf den Weltagrarmärkten. Das treibt den Mais auch in den Ländern hoch, die gar nicht mit Biosprit arbeiten und dies produzieren. Und Sie haben in vielen anderen Ländern natürlich auch das Problem, für manche auch die Chance, aber das Problem für diejenigen, die dringend auf Nahrung angewiesen sind, dass es für Bauern zum Beispiel immer lukrativer wird, ihre Ernte für Biosprit und an Raffinerien zu verkaufen, statt auf den lokalen Märkten an die Ärmsten der Armen. Es ist aber nur einer von vielen Faktoren.

Scholl: Es gibt weitere globale Zusammenhänge. In China und Indien etwa steigt der Fleischkonsum. Dadurch steigt der Bedarf an Getreide wiederum für die Viehzucht.

Südhoff: Richtig. Das ist zum einen ein ganz massiver Trend, der auch eigentlich einen positiven Hintergrund hat. Der steigende Wohlstand in diesen Ländern verändert die Ernährungsgewohnheiten. Fleischkonsum, auch unserer eigener, ist aber wahnsinnig ineffizient, wenn Sie an die Kalorienbilanz, sagen wir mal, denken. Man muss viel, viel mehr Getreide und Kalorien in ein Rind stecken, als man dann in Fleisch herausbekommt. Das führt dazu, dass tatsächlich viel mehr Nahrung gebraucht wird, um weniger Menschen zu ernähren.

Auch die steigende Zahl von Naturkatastrophen ist ein ganz wichtiger Grund. Wir haben heute im Schnitt rund doppelt so viel Naturkatastrophen weltweit. Wir haben extrem viele Konflikte natürlich auch in Ländern wie im Sudan, in Darfur. All das lässt den Bedarf an Nahrungsmittelhilfe ohnehin schon steigen.

Scholl: Das Welternährungsprogramm der UN schlägt Alarm angesichts steigender Lebensmittelpreise. Hier im Deutschlandradio Kultur ist Ralf Südhoff vom Berliner Büro der Organisation. Wenn wir, Herr Südhoff, jetzt auch noch den Ölpreis hinzunehmen, der den Transport von Hilfsgütern nochmals natürlich verteuert, ergeben diese ganzen Zusammenhänge ja geradezu Teufelskreise. Die Direktorin des Welternährungsprogramms Josette Sheeran hat diese Zusammenhänge mal im Bild vom perfekten Sturm gefasst. Das heißt, alle Faktoren verstärken sich gegenseitig. Ein Sturm geht nun aber irgendwann vorbei, der nun aber nicht. Was macht man denn nun?

Südhoff: Es gibt verschiedene Maßnahmen, die man treffen kann. Kurzfristig ist die einzige Konsequenz eine ganz langweilige. Man braucht schlichtweg mehr Geld. Die Hilfe insbesondere des World Food Programms geht zu rund 80 Prozent in die Nothilfe. Man versucht, Menschen zu helfen, die im letzten Jahr von der großen Flut in Afrika betroffen waren, in Darfur vom dortigen Konflikt, durch Erdbeben in Pakistan usw. Daran kann man nichts ändern. Man kann diesen Menschen nicht binnen Tagen, Wochen helfen, sich selbst wieder zu versorgen. Und man braucht mehr Geld, um derselben Menge von Menschen zu helfen.

Aber man kann natürlich seine Prioritäten anders setzen mit dem Geld, was man hat, und dort ganz andere Effekte erzielen. Nehmen Sie ein Beispiel: Die ländliche Entwicklung war ein großes Stiefkind in der Entwicklungspolitik der letzten Jahre. Man hat vielfach, auch Institutionen wie die Weltbank, jetzt erkannt, dass man zu sehr wahrscheinlich auf Industrialisierung, auf Exportindustrien gesetzt hat und hat weite Teile der Entwicklungsgelder in die Städte, in Exportindustrien gesteckt. Da findet jetzt ein Umdenken statt.

Und das ist aus unserer Sicht tatsächlich überfällig, wenn Sie bedenken, rund 80 Prozent der armen Menschen weltweit leben auf dem Land, aber nur rund vier Prozent der Entwicklungshilfe gehen in ländliche Gebiete. Da muss man gar nicht immer mehr Geld in die Hand nehmen, aber man kann mit demselben Geld mehr bewirken. Diese Menschen brauchen ja auch gar nicht viel. Das sind Kleinbauern, die Werkzeug brauchen, die, weil eine Ernte verloren gegangen ist, neues Saatgut einmal brauchen, um wieder investieren zu können usw.

Scholl: Das Welternährungsprogramm hat ja immer diese doppelte Strategie verfolgt: Ersthilfe für akute Notlage, wie Sie es gerade beschrieben haben, und dann aber im zweiten Schritt die Hilfe eben zur Selbsthilfe. Ich habe mich gefragt, ob angesichts der neuen Entwicklung das überhaupt noch aufrecht zu erhalten ist?

Südhoff: Das ist eine berechtigte Frage. Wir müssen Prioritäten setzen, die so harsch sind, dass man sich in unseren Ländern da wirklich schlecht ein Bild von machen kann. Das betrifft zum einen die Nothilfe selbst. Ich war vor wenigen Monaten in Mosambik. Da stellt sich ganz konkret die Frage, hilft man schwangeren Müttern mit Ernährung, damit ihre Kinder halbwegs wohlgenährt zumindest starten und nicht von Anfang an schon das Problem haben und versucht darüber, indem man dann auch Schulspeisung gibt, in diesem Entwicklungsbereich, den Sie angesprochen haben, diesen Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Das ist eine ganz, ganz wichtige Investition in die Zukunft, damit eben wir unsere eigene Arbeit in diesem Bereich noch überflüssig machen.

Wenn Sie dann aber gleichzeitig in einem Land wie Mosambik Fluten haben fast in jedem Jahr, den Notstand mit einem Zyklon, einer Dürre jetzt gleichzeitig im Süden des Landes, dann ist natürlich akut irgendwann die Frage, wir müssen es den Müttern quasi wegnehmen, weil im Moment müssen wir jetzt erst mal Flutopfern helfen. Und so sind ganz harsche Entscheidungen zu treffen, die in der Tat auf Kosten von Investitionen in die Zukunft und den eigentlichen Kampf gegen die Ursachen des Hungers gehen könnten, wenn nicht was passiert.

Scholl: Diese fatale Entwicklung hat noch eine weitere gespenstische Dimension. Selbst Länder kommen jetzt in die Bredouille, die man früher nicht als vom Hunger bedrohte Regionen bezeichnet hätte, etwa Mexiko und Indonesien. In beiden Ländern hat es schon Massenproteste gegeben. Wie diskutieren Sie und Ihre Kollegen von den Vereinten Nationen darüber?

Südhoff: Das ist ein ganz schwieriger Punkt. Zum Beispiel merkt man das daran, in Mexiko arbeiten wir bis heute gar nicht. Wir versuchen, uns natürlich auf die Bedürftigsten der Bedürftigen zu fokussieren. Mexiko war für uns nicht auf der Agenda. Auch Indonesien ist kein Schwerpunktland für das World Food Programm. Jetzt haben wir plötzlich eine Situation, dass ein Drittel der Bevölkerungen in Indonesien auf Subventionen angewiesen, auf subventionierten Reis angewiesen sein werden, dass die Regierung ihnen zumindest diese elementare Grundnahrungsmittel weiterhin ermöglicht.

Wir diskutieren das in der Hinsicht, dass man eigentlich in diesen Regionen und dort insbesondere auch in den Städten helfen müsste, was wir bisher gar nicht tun, weil wir versuchen, uns eben auf Kleinbauern, auf Menschen auf dem Land zu fokussieren, die sich dann auch selbst möglichst wieder versorgen können. Das ist die Frage, ob man das aufrecht erhalten kann, wenn wir denn überhaupt die Mittel dazu noch haben.

Scholl: Der Hunger in der Welt, er wird nicht weniger und dringt in Regionen vor, die man früher nichts als Hungerländer bezeichnet hätte. Ralf Südhoff vom Berliner Büro des Welternährungsprogramms. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Südhoff: Wir danken!