Suche nach Wegen aus der Krise

Von Gerd Brendel · 18.04.2010
Zum ersten Mal seit 25 Jahren traf sich das "Internationale Netzwerk für zeitgenössische darstellende Kunst" (IETM) an der Spree. Theatermacher, Festivalleiter und Vertreter wichtiger Kultureinrichtungen tauschten sich im Berliner Radialsystem aus. Marktplatz, Klassentreffen, Forum und Gruppentherapie waren die vier Tage unter dem Motto "Searching for Plan C - Celebrating and Cerebraling the Crisis".
700 Kulturarbeiter, Theatermacher, Festival-Organisatoren und Stiftungsvertreter aus aller Welt haben viele Fragen:

Teilnehmer: "Hallo, ich bin Sascha und ich will über die Frage diskutieren: Wie kann Theater Menschen und soziale Strukturen verändern?"

Zum "Open Space" am Freitagnachmittag darf jeder eine Arbeitsgruppe zu seiner Frage anbieten. Es zählen die gemeinsame Suchbewegung, der Austausch und nicht die fertigen Antworten prominenter Gastredner.

Teilnehmerin: "Ich heiße Nadia und ich will in meiner Arbeitsgruppe fragen: Wie kann man die unabhängige bulgarische Theaterszene bekannter machen?"

Teilnehmerin 2: "Meine Frage lautet: Wohin geht die Reise ? Wie sieht der Plan C aus und hat irgendjemand eine Landkarte?"

"Plan C": Die IETM , das größte und wichtigste Netzwerk für die darstellende Kunst in Europa hat sich den schillernden Begriff für sein Jahrestreffen in Berlin zum Motto gewählt. Als vor 30 Jahren Avantgarde-Theatermacher aus Frankreich und den Beneluxländern das Netzwerk gründeten, galt noch der Plan A: Experimentelles Theater konnte sich auf öffentliche Kulturförderung verlassen. Dann kam Plan B: Der Versuch, mit immer weniger öffentlichen Subventionen auszukommen. Jetzt, in Zeiten der Krise geht die Suche weiter, nach neuen Kooperationsmodellen, nach "kulturfremden Geldgebern, abseits der üblichen Förderwege".

"In Europa sind die Fördertöpfe in den letzten Jahren im kleiner geworden."

Philip le Moin, vertritt im Netzwerk das Festival von Avignon.

"Die große Frage für Europa lautet: Wie können wir Teil des 'Mainstreams' werden. Wir müssen versuchen, in allen Bereichen der Politik von Agrar- bis Sozialpolitik einen kulturellen Blickwinkel einzubringen. Und in diesen Bereichen geht es nicht darum: Machen wir gute Kunst, sondern welche konkreten Folgen hat unsere Theaterarbeit für soziale Entwicklung oder die Konjunktur. Wie können wir zum Beispiel dafür sorgen, dass die Kühe mehr Milch geben?"

Oder mehr Arbeitsplätze schaffen, oder mehr Touristen nach Berlin bringen. In der Hauptstadt hat das Umdenken schon begonnen: Das Mittagsbuffet am Freitag im Radialsystem hat nicht etwa der Kulturminister spendiert, sondern die neu geschaffene Initiative "Kultur und Kreativwirtschaft der Bundesregierung", die ihr Budget vom Wirtschaftsminister überwiesen bekommt. Dass die Frage nach "Mehrheitsfähigkeit" und messbaren Ergebnissen auch Gefahren mit sich bringt, wenn Theater nicht zur affirmativen "Hof-Kunst" mutieren will, sehen auch die Teilnehmer im Radialsystem. Joao Braune zum Beispiel. Der Theaterproduzent aus Rio de Janeiro erlebt täglich, was es bedeutet, ganz ohne öffentlichen Subventionsapparat aus zukommen:

"Wenn wir ein Projekt planen, beantragen wir beim Kulturministerium eine Art Gütesiegel. Damit klopfen wir bei Unternehmen an und bitten um Unterstützung, die die dann von der Steuer absetzen können. Aber im Endeffekt bedeutet das, dass die Wirtschaft einen großen Einfluss auf die Kulturpolitik hat."

Weil sich Joao Braune nicht die Freiheit nehmen will, die Künstler auf die Bühne zu bringen, die ihn interessieren, ist er nach Berlin gekommen: Von den "Open Space"-Arbeitsgruppen bekommt er nichts mit. Er trifft sich lieber mit Festivalorganisatoren von Manchester bis Warschau, um Kontakte zu knüpfen. Eine Kooperation mit dem Brüsseler KAI-Theater ist vertragsfertig. Mit einem Landsmann, der in Berlin ein brasilianisches Theaterfestival organisiert, verabredet er ein gemeinsames Projekt.

Und die Theaterlandschaft Berlin? Von der Volksbühne bis zum Gripstheater reicht das Veranstaltungsprogramm. Aber sein erstes Berliner Theatererlebnis verschläft Joao. Tapfer wehrt er sich im Trash-Stück über Karl May und Karl Marx, im HAU 3 mit viel Klaumauk und wenig Inhalt, gegen die Folgen des Jetlags und erliegt. In der Schaubühne einen Abend später berührt ihn, wie israelische, palästinensische und deutsche Schauspieler in dem Stück "die dritte Generation" etwas so schweres wie den Holocaust und den Nahostkonflikt so leicht machen, ohne mit irgendeiner Fahne zu wehen. Bei Sasha Waltz überrascht ihn die Präzision der Tänzer und Tänzerinnen. Aber am meisten beeindruckt hat ihn etwas anderes:

"Ihr habt hier so viele gut ausgestattete Einrichtungen, wo alles stimmt vom Licht bis zum Sound. Sie glauben ja nicht, wie viele Theater es in Rio gibt, wo es garnichts gibt."

Joao weiß, wovon er spricht. Gerade baut er die alte Familien-Villa zum Off-Theater um. Oft wird er gefragt, warum er aus dem Anwesen aus der Kolonialzeit stattdessen nicht ein Restaurant oder Hotel macht.

"Ich antworte dann: Ich bin halt Idealist. Was hilft, reich zu sein, wenn man nicht glücklich ist."

Die Überzeugung teilt er vermutlich mit allen anderen Teilnehmern des Theater-Netzwerk-Treffens. Auch wenn am Ende keine Antworten auf die vielen Fragen gefunden wurden, die Suche nach Plan C geht weiter.

Links zum Thema::

IETM-Treffen 2010 in Berlin