Streitkultur

Eiszeit im Friseursalon

Die ukrainische Flagge ist am 03.03.2014 in Berlin am Rande einer Demonstration vor der russischen Botschaft zu sehen.
Die ukrainische Flagge ist am Rande einer Demonstration vor der russischen Botschaft in Berlin zu sehen. © picture-alliance / dpa / Daniel Naupold
Von Erik Albrecht · 09.05.2014
Die Krise in der Ukraine bestimmt die Nachrichten - aber auch den Alltag von Russen und Ukrainern in Berlin. Ihre Diskussionen sind oft so heftig, dass sie langjährige Freundschaften gefährden.
Putztag an der East Side Gallery, einem der letzten Stücke der Berliner Mauer. Langsam löst Dmitri Wrubel mit einem Stahlschwamm Graffiti von Erich Honeckers rechter Wange. Leonid Breschnew, mit dem DDR-Chef im Bruderkuss vereint, glänzt bereits wieder frei von Kritzeleien.
"Wir haben auch eine ganze Reihe russischer Sprüche entfernt."
Sagt Dmitri Wrubel, der Künstler. Und sein Sohn Artjom übersetzt ins Deutsche:
"Leben ist ein Schmerz, stand hier zum Beispiel, und: Wowa und Wasja waren hier."
Tiefe Gräben durch die Community
Hut, Sakko, Spitzbart – Wrubel ist längst eine Institution des russischen Berlins. Etwa 100.000 Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion leben hier. Während er die historischen Protagonisten des Kalten Krieges schrubbt, tobt in der Ukraine ein neuer Konflikt zwischen Ost und West.
Die Krise habe tiefe Gräben durch die Community gezogen, sagt Wrubel. Der Bruderkuss, sein Kunstwerk auf der Berliner Mauer, ist für ihn damit nach einem Vierteljahrhundert wieder brandaktuell:
"Die Sowjetunion ist nicht verschwunden. Das Gleiche gilt für die Berliner Mauer. Nur verläuft sie nicht mehr hier, sondern in den Köpfen. In Russland wird sie immer höher und höher. Und leider kommt sie auch hier in Berlin wieder zurück."
Etwa im Friseursalon Angelika in Berlin-Charlottenburg. "My goworim po-russki" – "Wir sprechen Russisch" – steht groß im Schaufenster. Der Salon ist eine Art Sowjetunion in Miniatur. Hier treffen sich Menschen aus Russland, Kasachstan, Moldau und der Ukraine. Man kommt ohne Termin. Der Plausch mit alten Bekannten ist ebenso wichtig wie die neue Frisur.
Direkt am Schaufenster lässt Waleri die Schere flink durch dichtes dunkles Haar gleiten. Das Gespräch kreist um die Ukraine - wie so oft in diesen Tagen. Waleri kommt aus der Republik Moldau, sein Kunde Grigori aus Charkiw in der Ostukraine.
Grigori: "Die derzeitigen Machthaber sind doch unfähig."
Waleri: "Nach den Wahlen wird alles klar."
Grigori: "Wie wollen die denn jetzt Wahlen abhalten? Aber warten wir mal ab."
Waleri: "Eben, wer hätte denn gedacht, dass es soweit kommt?"
Russland gegen die Ukraine – für Waleri ist das immer noch schwer vorstellbar. Früher in der Sowjetunion hätten doch alle friedlich zusammengelebt, das Urlaubsparadies Krim habe Platz für jeden geboten, sagt er und zwirbelt bedächtig seinen grauen Schnurrbart.
Jeder sorgt sich im Salon Angelika
Neben Grigori und Waleri wäscht Inhaberin Angela Emilia Sloninskaja das Färbemittel aus den Haaren. Die 83-Jährige lässt sich hier regelmäßig ihr Kastanienbraun auffrischen. Anfang der 90er ist Sloninskaja aus Dnipropetrowsk in der Ostukraine nach Deutschland gekommen. Jetzt in der Krise telefoniert sie jeden Abend mit der alten Heimat:
"Die sagen, dass alles in Ordnung ist. Aber mir scheint, die lügen. Andere erzählen, nachts höre man Jagdflugzeuge."
Jeder im Salon Angelika sorgt sich um Verwandte oder Freunde in der Ukraine. Auch Grigori. Der Fabrikarbeiter ist vor fast 20 Jahren nach Berlin gekommen – aus Überzeugung, wie er sagt. Heute schaut er ständig Nachrichten per Satellit: Russische, ukrainische und deutsche. Dann greift auch er zum Hörer.
Krim, Ukraine, Putin – auch im Panda-Theater in der Berliner Kulturbrauerei ist der Konflikt dauernd präsent. Über der Bar hängt eine Kopie des Bruderkuss-Bildes von der East Side Gallery. Jeden Samstag stellen Dmitri Wrubel und seine Frau, die Künstlerin Viktoria Timofejewa hier ihre Arbeiten aus. Wer will, kommt auf einen Tee vorbei.
Noch ist es ruhig in dem kleinen russischen Theater. Wrubel zeigt sein neues Werk: eine düstere Schwarz-Weiß-Zeichnung über die Krim:
"Es gibt zwei Parteien. Die einen halten Putin für ein Genie, die anderen für einen Idioten. Für mich ist es furchtbar, zu beobachten, wie viele meiner Freunde verrückt werden. Die denken aber, dass ich verrückt werde."
Mauer mitten durch die Familie
Für Wrubel verläuft die neue Mauer mitten durch die Familie. Er selbst ist aus Moskau, seine Frau aus Odessa in der Südukraine. Zwar verurteilen beide Putins Ukraine-Politik, auch wenn der gestern erneut zum Dialog aufrief. Doch Timofejewa macht sich aus eigener Erfahrung Sorgen, dass die russischsprachige Bevölkerung in der Ukraine tatsächlich diskriminiert wird, wie es der Kreml kritisiert. Ihre Mutter könne im Fernsehen kaum noch einen Film auf Russisch schauen. Aber wer beim derzeitigen Schwarz-Weiß Denken so argumentiere, laufe Gefahr gleich als Putin-Unterstützer zu gelten.
Timofejewa: "Mit Dmitri ist das schwer zu besprechen. Wenn ich der ukrainischen Politik irgendwelche Vorwürfe mache, schreit er sofort: 'Aber Euer Putin! Aber Euer Putin!' Was hat Putin denn damit zu tun, frage ich. Doch dann sagt er: Okay, dann reden wir überhaupt nicht!"
20 Jahre kennt sich das Künstlerpaar. Einen Streit wie den über die Ukraine habe es in der ganzen Zeit noch nicht gegeben. Die einzige Lösung für ihre Ehe sei bislang, über den Konflikt nicht mehr zu reden, sagt Viktoria Timofejewa, während Wrubel an der Theater-Bar in ein anderes Gespräch vertieft ist. Doch das könne nicht auf Dauer so weitergehen:
"Sowohl für uns beide als auch für die Ukraine und Russland gibt es nur eine Lösung: wieder einander zuzuhören."
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