Strafvollzug

Das Knast-Dilemma: Wegsperren oder Resozialisieren

Ein Zellenschlüssel ist in der neuen Dauerausstellung im ehemaligen Gefängniskomplex am 27.11.2013 in Cottbus (Brandenburg) zu sehen.
Die Phase nach der Entlassung aus der Haft entscheidet darüber, ob der Verurteilte erfolgreich resozialisiert werden kann © picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Bernd Maelicke im Gespräch mit Ernst Rommeney · 13.06.2015
Der Strafvollzugsexperte Bernd Maelicke hält die Kriminalpolitik in Deutschland für völlig verfehlt. Viel zu häufig werde auf Freiheitsentzug gesetzt, wo ambulante Resozialisierung deutlich sinnvoller wäre. So würden Gefängnistore zu Drehtüren.
Er hat eine Streitschrift geschrieben, weil sich seit der Strafvollzugsreform 1976 nicht viel innerhalb und außerhalb der Gefängnisse geändert habe. Den Politikern wirft Bernd Maelicke vor, sie würden in der Kriminalpolitik nach politischer Opportunität, nach der Stimmungslage von Öffentlichkeit und Medien entscheiden.
Es empört ihn, wie die allseits goutierte "Scheinlösung des Wegsperrens" von Straftätern verschleiere, dass gerade nicht "alles fachlich Mögliche und Erprobte" getan werde, um Kriminalität zu verhindern und Opfer zu schützen.
Der opportunistischen stellt er eine betont rationale Kriminalpolitik entgegen, die sich auf systematische Kosten- und Qualitätskontrolle stütze. Und beklagt daher, dass die kriminologische Forschung weit hinter dem zurückbleibe, was sie eigentlich leisten müsste, um eine "soziale Strafrechtspflege" zu unterstützen.
Für eine erfolgreiche Resozialisierung sei der Freiheitsentzug weitaus weniger entscheidend als die Phase nach der Entlassung aus der Haft. Deshalb müssten die sozialen ambulanten Dienste der Justiz wie die Gerichts- und Bewährungshilfe ebenso die "Freie Straffälligenhilfe" karitativer Träger finanziell und personell gestärkt werden.
Den "Turning Point" finden
Am besten fände Maelicke es, ein einziger Fallmanager würde einen Verurteilten innerhalb und außerhalb des Gefängnisses betreuen und besonders dann noch, wenn dieser mehrfach rückfällig geworden sei. Denn es gelte, zielstrebig den "Turning Point", den Wendepunkt im Leben eines gefährlichen und gefährdeten Menschen zu finden.
Die stationäre Resozialisierung hinter Mauern hält er nicht für erfolgreich. Dort bereiteten Häftlinge einander die Hölle, würden zum Vollstrecker von gesetzlich nicht erwünschten "Leibesstrafen" in einer Subkultur aus Gewalt, Drogen, Erpressung und sexuellem Missbrauch. Sie würden dadurch negativ geprägt, lernten aber nicht, ihre Probleme im wirklichen Leben positiv zu lösen.
Cover Bernd Maelicke "Das Knast Dilemma"
Cover Bernd Maelicke "Das Knast Dilemma"© C.Bertelsmann
Sinnvoll sei allein, dass dort eine berufliche Ausbildung nachgeholt werden könne. Für die Arbeit in den Werkstätten müssten dann allerdings auch höhere Löhne gezahlt werden, damit die Gefangenen frühzeitig ihren Pflichten, Unterhalt zu leisten oder Schulden zu tilgen, nachkommen könnten.
Nur ein Drittel der Gefangenen, denen für schwere Delikte lange Freiheitsstrafen auferlegt worden seien, gehörten in eine Strafanstalt, die allerdings nach sozialtherapeutischen Standards organisiert sein müsste. Täter, die für kleine und mittlere Delikte bestraft würden, selbst Wiederholungstäter, will er nicht im Gefängnis untergebracht sehen. Dessen Tore wirkten auf sie wie Drehtüren und bewahrten nicht vor Rückfälle.
Differenzierteres Erwachsenenstrafrecht
Für die ambulante Resozialisierung wünscht er sich ein differenzierteres Erwachsenenstrafrecht, das Auflagen und Bewährung für sozialinstabile Straffällige ebenso ermöglicht wie spezielle Geldbußen und gemeinnützige Arbeit für sozialintegrierte Verurteilte.
50 Jahre lang beschäftigt sich Bernd Maelicke mittlerweile mit dem Thema seiner Streitschrift, mit dem "Knast-Dilemma". In Freiburg studierte er Jura, engagierte sich daneben als ehrenamtlicher Helfer in einem Gefängnis, schrieb dazu auch seine Doktorarbeit und half mit bei der Schussredaktion des Alternativentwurfs von 16 Rechtsprofessoren für eine Reform des Strafvollzugs (1973).
Später leitete er die Akademie für Jugendarbeit und Sozialarbeit in Frankfurt, wurde dort auch Direktor des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik, begleitete mehrere Modellversuche der ambulanten wie stationären Resozialisierung, war danach als Ministerialdirigent im Justizministerium für Schleswig-Holsteins Strafvollzug zuständig, gründete in Lüneburg das Deutsche Institut für Sozialwirtschaft und hatte schließlich die Schriftleitung der Fachzeitschrift "Forum Strafvollzug".

Bernd Maelicke: Das Knast-Dilemma - Wegsperren oder resozialisieren? Eine Streitschrift
Verlag C. Bertelsmann, München 2015
256 Seiten, 19,99 Euro, auch als E-Book

Mehr zum Thema