Störenfried IQWIG

Nervensäge der Pharmaindustrie

Mehrere Studenten in weißen Kitteln arbeiten in einem Labor. Eine Studentin hat einen Mörser in der Hand. Andere betrachten Reagenzgläser.
Pharma- und Chemiebranche sind führend bei der Arbeitgeberqualität für Praktikanten. © Picture Alliance / dpa / Jan Woitas
Von Susanne Billig · 13.11.2014
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen tritt der Pharmaindustrie seit nunmehr zehn Jahren auf die Füsse, ärgerlich für die Lobbyisten - aber ein Gewinn für die Patienten.
2010 musste Peter Sawicki seinen Posten als Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen - kurz "IQWiG" - in Köln räumen. Das Institut wird aus Mitteln des öffentlichen Gesundheitswesens finanziert und prüft, neutral und unabhängig, Medikamente und medizinische Behandlungsmethoden. Hat sich Peter Sawicki zu gern mit der Pharmalobby angelegt? Ist das IQWIG nach seinem Rausschmiss - pardon, der Nicht-Verlängerung seines Vertrages - zahm und zahnlos geworden und kein Störenfried mehr, wie Kritiker prophezeiten? Nachfolger Professor Jürgen Windeler:
"Die Linie ist ohne Zweifel beibehalten. Und ich kann auch nicht erkennen, dass wir die Kriterien weicher gemacht haben, dass wir irgendwie in den Maßstäben anders geworden sind. Vielleicht können wir es uns inzwischen leisten, etwas diplomatischer vorzugehen, aber die Bewertung müssen andere machen."
Das IQWIG feiert dieser Tage zehnjährigen Geburtstag. Auf seinen Fahnen steht die evidenzbasierte Medizin - harte Daten, wissenschaftliche Studien, ohne Blick auf Interessen - ob Sparwünsche der Krankenkassen oder Gewinnstreben von Unternehmen. Im schonungslosen Blick des IQWIG erweisen sich Medikamente und Therapien immer wieder als nutzlos oder sogar schädlich. Gegenwind bleibt da nicht aus.
"Ein Beispiel ist das Thema Diabetes. Da gibt es sehr eingeschworene, will ich mal sagen, Vorstellungen davon, wie man eine Zuckerkrankheit zu behandeln hat, mit welchen Medikamenten, mit welchen Verhaltensweisen, mit welchen Zielsetzungen. Und in dieser Thematik hat sich das IQWIG in den letzten Jahren mit kritischen Bewertungen eine ganze Reihe von mehr oder weniger heftigen Reaktionen eingehandelt."
Menschenorientierte Medizin braucht mündige Patienten
Ab 2016 müssen Pharmaunternehmen EU-weit alle Ergebnisse ihrer klinischen Studien veröffentlichen, auch wenn ihnen die Ergebnisse nicht passen - auch das mahnte das Institut immer wieder an. Weil es selbst nicht forscht und unabhängige Studien rar gesät sind, greift das IQWIG häufig auf Daten der Industrieforschung zurück. Kann das funktionieren? Die Datenqualität sei gut, betont der Medizin-Überwacher, schließlich muss die EU-Zulassungsbehörde damit überzeugt werden. Ein Problem gibt es trotzdem: Die Industrie lässt Forschungsthemen außen vor, die keine Gewinne versprechen.
"Also, zum Beispiel die Frage, ob es nicht besser ist, sich intensiv zu bewegen oder sich in einer Psychotherapie zum Beispiel bei einer Depression behandeln zu lassen, ob das nicht besser ist, als ein Medikament zu nehmen. Diese Fragen sind nicht im Interesse der Industrie, aber sehr im Interesse der Menschen - und diese Fragen werden nur sehr unzureichend beantwortet, weil die Möglichkeiten, solche Studien zu machen insbesondere wegen der Finanzierung sicher unzureichend sind."
Eine menschenorientierte Medizin braucht mündige Patienten. Laien können sich an der Arbeit des Instituts direkt beteiligen - Themen vorschlagen, Stellungnahmen einreichen, bei Fragebogenaktionen mitmachen. Und natürlich veröffentlicht das Institut Fachpublikationen auf Deutsch und Englisch.
"Alle Arbeitsergebnisse, alle Zwischenergebnisse werden zur öffentlichen Diskussion gestellt. Alle Ergebnisse werden für Laien verständlich noch einmal aufbereitet, und ich glaube, dass die Transparenz nach innen - natürlich verbunden mit der Transparenzforderung nach außen an die Industrie oder auch an andere Beteiligte - , dass das ein weiterer bemerkenswerter Erfolg des IQWIG ist."
Der Medizinfortschritt ist nicht aufzuhalten, auch Krankheiten sind es leider nicht. Darum wird dem IQWIG auch in Zukunft die Arbeit nicht ausgehen - unbequem wird es wohl bleiben.
"Es ist immer mal wieder diskutiert worden, ob man nicht auch Medikamente bewerten sollte, die schon auf dem Markt sind. Und nicht nur die, die neu auf den Markt kommen: Man kann auch sicherlich den Bereich der Heilmittel - also das betrifft Massagen, Physiotherapie, viele andere Dinge - in die Bewertungen einbeziehen. Jeder kann sich in die Arbeit des IQWIG einbringen - und ich würde mir sehr wünschen, dass dies auch im großen Stil passiert."
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