Stilles Wirken für die Juden

Von Ruth Fühner · 13.08.2006
Als Reaktion auf die Bedrohung durch den Nationalsozialismus wurde 1936 in Genf der Jüdische Weltkongress gegründet. Nachdem der jüdische Staat Israel Realität geworden ist, versteht sich der Kongress heute als Vertretung der Juden in der Diaspora.
"Es beweist die Kraft der jüdischen Idee, dass sie die Juden bisher auch ohne Organisation zusammenhielt. Aber Ereignisse wie diejenigen, die wir mit ungläubigem Schrecken in Deutschland erleben mussten, die wütigen Angriffe eines Vielen-Millionen-Haufens (sic!) auf die winzige hochkultivierte jüdische Minorität, wären unmöglich gewesen, wenn es eine aktionsfähige jüdische Organisation gegeben hätte."

So klagt, im Mai 1936 im südfranzösischen Exil, der Schriftsteller Lion Feuchtwanger und rührt damit die Trommel für ein Vorhaben, das wenig später realisiert wird: die Gründung des Jüdischen Weltkongresses, kurz WJC. Die Idee kam aus Amerika. Dort hatte der Rabbiner Stephen S. Wise bereits den American Jewish Congress gegründet - als demokratisches Gegengewicht zu den philanthropisch ausgerichteten Komitees einer reichen Oligarchie, die das jüdische Leben in Amerika kontrollierte. Als engagierten Mitstreiter gewann Wise den jungen Wissenschaftler Nahum Goldmann, einen flammenden Zionisten. Goldmann:

"Ich hatte gewiss nicht Auschwitz vorausgesehen, ahnte aber, dass Hitler die größte Gefahr verkörperte, die jemals die Existenz des jüdischen Volkes bedroht hatte. Aus diesem Grunde musste eine Organisation geschaffen werden, die berechtigt war, im Namen aller Juden der Welt zu sprechen, die den Hitlerismus politisch bekämpfen konnte und später konkret versuchen sollte, die Juden zu retten."

Eine solche demokratische Organisation war alles andere als leicht zu schaffen. Zwar waren beim Gründungsakt am Völkerbundsitz in Genf 32 Nationen vertreten. Doch viele jüdische Institutionen engagierten sich lieber karitativ und religiös als politisch, während nichtjüdische Politiker den Sinn einer gemeinsamen Vertretung aller Juden sofort verstanden und den WJC als Gesprächspartner begrüßten.

Dennoch erreichte der Jüdische Weltkongress nicht viel. Zwar setzte er im Völkerbund durch, dass die saarländischen Juden nach der Einverleibung ihrer Heimat in Nazideutschland das Recht erhielten, auszuwandern. Doch eine allgemeine Mobilisierung des Völkerbunds gegen Hitler misslang ebenso wie der Plan eines internationalen Wirtschaftsboykotts. Darauf konnten sich schon die Ländervertretungen innerhalb des WJC nicht einigen. Nur Nadelstiche habe man dem Nazi-Regime beibringen können, klagt Goldmann in seiner Autobiografie.

"Wäre es uns - in der Leitung des jüdischen Weltkongresses - gelungen, einen wirksamen Anti-Nazi-Boykott ins Leben zu rufen und Millionen Juden zum vollen Einsatz ihres Einflusses gegen das damals noch schwache und ängstliche Naziregime zu bewegen, so bin ich überzeugt (…), dass sich Millionen von Nichtjuden uns angeschlossen hätten. Die Folge wäre vielleicht nicht gerade die Suspension der Nürnberger Gesetze gewesen, aber doch eine Milderung der Judenverfolgung und möglicherweise ein Abkommen, das die Auswanderung der deutschen Juden unter Mitnahme eines erheblichen Teils ihres Vermögens vorgesehen hätte"

Hätte, wäre - wir wissen, es kam anders. Nach der Shoah gelang es dem Jüdischen Weltkongress immerhin - Nahum Goldmann stand inzwischen an seiner Spitze - der Bundesrepublik als Rechtsnachfolger des NS-Staates das Wiedergutmachungsabkommen abzuringen. Mit der Gründung des Staates Israel verschob und konkretisierte sich die Aufgabe des WJC. Nahum Goldmann:

"Das Problem des Zionismus ist heute, die Juden, deren Majorität außerhalb Israels vorläufig ist und auf absehbare Zeit vielleicht bleiben wird, so mit Israel zu verbinden, dass sie in Israel das natürliche Zentrum des kollektiven jüdischen Lebens sehen."

Als Vertretung der Juden in der Diaspora half der WJC während der Zeit des Eisernen Vorhangs gefährdeten Juden bei der Auswanderung nach Israel, und Goldmann selbst war zeitlebens engagiert im Ausgleich zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn.

Dabei agiert der WJC meist im Stillen, durch diplomatische Kanäle. Eine der seltenen Ausnahmen machte er im Jahr 2003. Damals veröffentlichte die Europäische Kommission eine Untersuchung, wonach 59 Prozent der Befragten Israel als größte Gefahr für den Weltfrieden bezeichneten. Daraufhin warfen die beiden amtierenden WJC-Präsidenten Edgar Bronfman und Cobi Benatoff der Kommission Antisemitismus vor. Der Konflikt wurde beigelegt - zu fragen bleibt trotzdem, warum zur selben Zeit ein Bericht zurückgehalten wurde, der die Beteiligung von Moslems an antisemitischen Vorfällen in Europa belegte, zurückgehalten mit der Begründung, er schüre Vorurteile gegen den Islam.