Steuerbetrug

"Deutschland verliert jährlich 160 Milliarden Euro"

Norbert Walter-Borjans im Gespräch mit Christopher Ricke · 03.01.2014
Das schon jetzt hoch verschuldete Nordrhein-Westfalen strebt erst für das Jahr 2020 einen ausgeglichenen Haushalt an. Angesichts der angespannten Lage setzt Landesfinanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) auf eine verstärkte Verfolgung von Steuersündern.
Christopher Ricke: In absehbarer Zukunft soll man nur noch so viel Geld ausgeben, wie man auch einnimmt. Das ist eine Regel, die für Privatpersonen schon lange gilt, sie soll aber in Zukunft auch für die öffentlichen Geldausgeber gelten – die Schuldenbremse. Länder wie Bayern schaffen das wahrscheinlich leichter als Länder wie Bremen. Und Sachsen ist zum Beispiel schon sehr viel weiter als Nordrhein-Westfalen. Und weil die Ausgangslagen so unterschiedlich sind, sind auch die Lösungsvorschläge vielfältig. Einer lautet, alle Schulden in einen Topf, und dann löffeln wir diese Suppe gemeinsam aus. Das gefällt natürlich denen, die viele Schulden haben, viel besser, als denen, die eher zuzahlen müssen. Ich spreche jetzt mit dem nordrhein-westfälischen Finanzminister Norbert Walter-Borjans von der SPD. Schönen guten Morgen!
Norbert Walter-Borjans: Guten Morgen, Herr Ricke!
Ricke: In Sachsen steht man, darüber haben wir vor gut einer Stunde berichtet, schon mit beiden Füßen auf der Schuldenbremse, ist im grünen Bereich, in den schwarzen Zahlen. Und in Nordrhein-Westfalen schafft man das erst auf den letzten Drücker, 2020. Warum schneiden Sie sich denn von den Sachsen nicht eine Scheibe ab?
Walter-Borjans: Ja, das täte ich gerne. Ich will auch die Bemühungen der Sachsen oder sächsischen Landesregierung nicht schmälern, den Haushalt in Ordnung zu bringen. Nur, wenn ich ungefähr ein Drittel vom Bund und von den anderen Ländern als Unterstützung bekäme, um meine Ausgaben zu bewältigen, dann stünde ich natürlich auch wesentlich anders da. Das ist genau das, was wir kritisieren, dass die Finanzdecke, die wir in Deutschland haben, erstens ziemlich knapp bemessen ist für das, was wir in Deutschland auch an Erwartungen an den Staat haben, und dass diese Decke nicht ganz gerecht in der Bundesrepublik verteilt ist.
Also nochmal, Sachsen hat ein Haushaltsvolumen von ungefähr 17 Milliarden Euro und bekommt fünf bis sechs Milliarden vom Bund und den anderen Ländern. Nordrhein-Westfalen hat eines von 60 Milliarden und ist entsprechend größer und zahlt an die anderen, obwohl auch Nordrhein-Westfalen, wie wir alle wissen, in den letzten Jahrzehnten einen erheblichen Umbau seiner Wirtschaft zu bewältigen hatte, und da gab es eben noch keinen Soli und nicht den Länderfinanzausgleich, der uns etwas gebracht hat, sondern wir haben immer eingezahlt.
Ricke: Das ist sicherlich alles richtig, aber trotzdem steht das Jahr 2020, und dann muss es klappen. Wie schaffen Sie es denn, ohne die Kommunen zu ruinieren, die ja jetzt schon Angst haben, dass es alles sich verschiebt und dann die Länder am Schluss sich bei den Städten bedienen?
"Das ist ja nicht Verschwendungssucht gewesen"
Walter-Borjans: Das ist genau das, was ich ja nicht will. Und zwar, wir haben in der Verfassung, im Grundgesetz der Bundesrepublik, stehen, dass wir die Schuldengrenze einzuhalten haben ab 2020. Das wird gelingen, das muss gelingen, es steht im Grundgesetz. Aber wenn es so gelingen soll, dass der Staat seinen Ausgaben auch noch gerecht wird und dass eben nicht das eintritt, was Sie gerade beschrieben haben, dann muss auch die Einnahmenseite stimmen beziehungsweise die Verteilung der Einnahmen innerhalb der Bundesrepublik. Und Nordrhein-Westfalen hat durch seinen Umbau in den letzten Jahrzehnten eben einen erheblichen Kreditberg angehäuft. Das ist nicht, wie das immer so gerne im politischen Streit dargestellt wird – das ist ja nicht Verschwendungssucht gewesen, sondern da ist ja ein erheblicher Umbau, vor allem im Ruhrgebiet, aber auch in anderen Städten, vonstatten gegangen, und das macht sich heute bemerkbar in einer erheblichen Zinsbelastung, die beispielsweise ein Freistaat wie Sachsen nie aufbauen wird, weil ihm vorher geholfen wird und er die Altschulden überhaupt nicht erst aufbaut.
Ricke: Jetzt muss das Problem aber irgendwann mal gelöst werden. Vielleicht kann man ja tatsächlich von Griechenland lernen. Es gibt ja durchaus auch in Deutschland die Forderung nach einem Schuldenschnitt, nach einem Schuldenerlass. Man könnte sicherlich auch über die geordnete Insolvenz einzelner Länder nachdenken. Um sich von dieser Schuldenlast, von diesem Berg, den man überhaupt nicht bezwingen kann, zu befreien. Was ist denn da aus Ihrer Sicht vorstellbar?
Walter-Borjans: Der Schuldenschnitt ist eine furchtbare letzte Möglichkeit, die wir für uns überhaupt nicht ins Auge fassen sollten, weil das ja gleichzeitig auch bedeutet, dass Sie das, was im Moment unser Pfund ist, nämlich dass Kreditgeber Deutschland und auch den Ländern in Deutschland vertrauen, das wäre ja dann zunichte gemacht. Also, wir können uns nicht auf den Punkt beziehen und sagen, wir werden einfach irgendwann die Schulden nicht zurückbezahlen, sondern es geht darum, dass man das, was man angehäuft hat und das ganz überwiegend einem wichtigen Zweck, nämlich dem Umbau dieser Wirtschaft – und Deutschland ist ja nun, das ist ja unbestritten, heute wirklich ein fitter Teilnehmer am internationalen Wettbewerb – dass diese Schulden auch bewältigt werden.
Und wenn man das mal mit Griechenland vergleicht, dann darf man ja nicht den Schuldenstand alleine sehen. Man muss ja auch die Wirtschaftskraft, die dahinter steht, sehen, die wir ja unter anderem mit den Krediten auch gesichert haben auf Dauer. Und das zeigt ja, dass heute Kreditgeber diesem Land auch, Nordrhein-Westfalen, wir sind bestens geratet, noch Geld geben, weil sie wissen, das ist nicht nur gut angelegt, sondern das kriegen wir auch ganz sicher zurück. Und deswegen ist eben ein Anteil von 80 Prozent am Bruttoinlandsprodukt, das ist etwas, was wir herunterschrauben wollen, gemeinsam übrigens zwischen Bund und Ländern, aber es ist eben nicht etwas, was vergleichbar wäre mit den Ländern in Südeuropa oder sogar in anderen Teilen der Welt.
Ricke: Damit man auf dem Weg hin zu einem ausgeglichenen Haushalt das Land nicht kaputt spart, könnte man ja doch noch mal an die Einnahmenseite gehen, sprich Steuererhöhungen oder – oder / und – mehr Steuergerechtigkeit und mehr Steuerehrlichkeit. Wir haben ja gerade die Diskussion, dass es so viele Selbstanzeigen gibt, den sogenannten Hoeneß-Effekt. Können denn die säumigen Steuerzahler und die Steuerflüchtlinge die Lücke ausgleichen?
"Es muss dafür gesorgt werden, dass Steuern bezahlt werden"
Walter-Borjans: Wenn das gelingen würde, dann wäre das ganz sicher ein ganz wichtiger Beitrag zur Lösung des Problems, das muss man sagen. Wenn die Zahlen stimmen, die die Europäische Kommission errechnet hat, dass über Steuerbetrug, aber eben auch über geschickte Steuergestaltung auf Deutschland heruntergerechnet runde 160 Milliarden jedes Jahr verloren gehen, da kann man sich leicht ausrechnen, dass das nicht nur ausreichen würde, dass man keine Kredite mehr aufnehmen muss, sondern dass man seine bestehenden Schulden tilgen könnte. Und deswegen haben Sie völlig recht, es geht, bevor man, auch wenn es darum geht, zunächst mal vielleicht die Spitzenverdiener stärker zu belasten, aber bevor ich einen ehrlichen Spitzenverdiener, der seine Steuern schon zahlt, mehr belaste, will ich natürlich erst mal die unehrlichen zur Kasse bitten, und das ist genau der Punkt, auf den wir uns auch konzentrieren werden, und das ja auch in den Koalitionsgesprächen in Berlin sehr stark in den Vordergrund gestellt haben.
Ricke: Aber Sie haben ja nicht umsonst das Wörtchen 'könnte' betont. Also brauchen wir vielleicht doch Steuererhöhungen. Wann kommen die denn? Kurz nach der Europawahl?
Walter-Borjans: Nein, es geht jetzt erst mal darum, dass dafür gesorgt wird, dass Steuern bezahlt werden. Und dem haben wir einen breiten Raum gewidmet, nicht nur in den Gesprächen zwischen Bund und Ländern oder zwischen den jetzt die Koalition tragenden Parteien in Berlin, sondern auch in der Finanzministerkonferenz zwischen den Länderfinanzministerinnen und -ministern aller Farben. Da geht es darum, dass wir klar machen, wir brauchen einen internationalen automatischen Informationsaustausch zwischen Banken und Steuerbehörden. Damit wäre viel gewonnen. Und solange wir das nicht haben, werden wir Druck machen und Druck aufrechterhalten. Dafür habe ich immer gestanden, und das werde ich auch weiter tun, um deutlich zu machen, das ist nicht einfach, wenn man den Staat, wenn man die Gemeinschaft insgesamt betrügt und damit sich dran vorbeimogelt, dass hier Straßen bezahlt werden können, dass Bildung bezahlt werden kann, dass wir eine Sicherheit haben durch Polizei – das sind ja alles Werte, die nicht bezahlt werden können, wenn hier im Bereich von Milliarden Steuern hinterzogen werden.
Ricke: Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans von der SPD. Ich danke Ihnen!
Walter-Borjans: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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