Sterbehilfe

"Nur akzeptieren bei einem Menschen, der alt und krank ist"

Ingrid Noll im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 29.01.2014
Die Krimiautorin Ingrid Noll hat sich unter bestimmten Voraussetzungen für Sterbehilfe ausgesprochen. In ihrem neuen Buch "Hab & Gier" bietet ein Witwer seiner ehemaligen Kollegin sein Erbe an, wenn sie ihn um die Ecke bringt. Nur das halbe Erbe bekommt sie hingegen, wenn sie ihn solange pflegt, bis er eines natürlichen Todes stirbt.
Stephan Karkowsky: Ingrid Noll ist das, was man eine literarische Spätstarterin nennt. Ihre Krimis schrieb sie erst, als die Kinder schon aus dem Haus waren, und sie hatte auf Anhieb Erfolg mit "Der Hahn ist tot", mit Krimis wie "Die Apothekerin", die oft eines gemeinsam haben: ihre rabenschwarzen, aber sympathischen Heldinnen morden unsympathische Männer. Der neue Noll-Roman erscheint morgen und er hat ein ungewöhnlich aktuelles Thema. "Hab und Gier", so heißt er, und darin geht es um Sterbehilfe. Ein Witwer macht einer ehemaligen Kollegin das unmoralische Angebot, ihn um die Ecke zu bringen. Frau Noll, guten Morgen.
Ingrid Noll: Guten Morgen!
Karkowsky: Wie sind Sie auf diese Geschichte gekommen? Gibt es da eine Vorlage im wahren Leben?
Noll: Das gibt es bei mir eigentlich nie. Aber das Thema Sterbehilfe liegt ja in der Luft. Es ist aber auch nicht das einzige Thema in diesem Roman, das ist ja eine ganz fiktive Geschichte.
Karkowsky: Warum gerade sie, Ihre Romanheldin, eingeladen wird zu ihrem ehemaligen Kollegen, das weiß sie zunächst nicht. Da vermutet dann eine Freundin, na ja, wahrscheinlich sucht der einfach eine neue Frau. Dabei sucht er zunächst nur jemanden, der für ihn, diesen kinderlosen, krebskranken Witwer, die Beerdigung organisiert und den Grabstein. Doch dann bittet er die Kollegen, ihn umzubringen, und dafür würde er sie zur Alleinerbin machen. Frau Noll, wie würden Sie denn auf ein solches Angebot reagieren?
Noll: Es ist natürlich ein höchst unmoralisches Angebot und meine Heldin, also Karla, erschrickt auch zuerst. Aber langsam wird sie da in etwas verwickelt, was ihr eigentlich gar nicht liegt. Sie hat eben auch eine Freundin, die sofort begeistert ist. Erben ist doch was tolles und eigentlich geht es darum, wie ganz anständige Menschen bei dem Verlangen nach mehr Hab und Gut korrumpiert werden können.
Karkowsky: Aber jetzt sind Sie mir doch ausgewichen, Frau Noll. Was hätten Sie denn gemacht an der Stelle Ihrer Heldin?
Noll: Na ja, ich will ja nicht im Knast landen.
Karkowsky: Das will die ja auch nicht?
Noll: Nein, das will die auch nicht und sie tut es wahrscheinlich nicht.
Missbrauch sollte durch juristische Instanz ausgeschlossen sein
Karkowsky: Viel wollen wir nicht verraten. Auf jeden Fall Sterbehilfe mal anders, als Krimi-Thema. Ist das für Sie eine reale Gefahr, dass Sterbehilfe in der wahren Welt missbraucht werden kann?
Noll: Unter bestimmten Voraussetzungen würde ich ja Sterbehilfe auch akzeptieren. Aber es sollte von ganz neutralen Instanzen abgesegnet werden, damit auf keinen Fall Missbrauch möglich ist. Es gibt ja Länder, wo es zum Geschäft werden kann, oder wo Angehörige dann auch gut zureden können. Das kann ich natürlich nicht billigen.
Karkowsky: Wie stellen Sie sich das vor? Könnte das in Form eines Vereins geschehen, der öffentlich-rechtlich kontrolliert wird, oder?
Noll: Es müsste auf jeden Fall juristisch abgesegnet werden und bestimmte Personengruppen müssten ausgeschlossen werden, zum Beispiel ein Depressiver, den man therapieren kann, oder Jugendliche, die vielleicht sterben wollen. Das gibt es immer. Ihre Gefühle schwanken, heute Himmelhoch jauchzend, morgen zu Tode betrübt. Das geht nicht und Menschen in einer akuten Krise, weil sie gerade Pleite gegangen sind oder so, das geht alles auch nicht. Ich könnte es nur akzeptieren bei einem Menschen, der krank und alt ist und sich das lange, lange überlegt hat, und es ist die Bilanz, dass er tatsächlich nichts gutes mehr zu erwarten hat, sondern nur noch sterben möchte. Sterbehilfe sollte vermeiden, dass solche leidenden Menschen zum Fenster rausspringen oder sich unter einen Zug werfen.
Karkowsky: Sie hören die Krimi-Autorin Ingrid Noll, morgen erscheint ihr neuer Roman "Hab und Gier". Frau Noll, die Fronten zwischen Sterbehilfe-Gegnern und Befürwortern, die sind verhärtet. Es gibt Menschen wie den ehemaligen MDR-Intendanten Udo Reiter, der sagt, das Recht auf Selbstbebstimmung ist eines der höchsten Verfassungsrechte, Suizid ist legal, also sollte es auch legal sein, Menschen mit Sterbewunsch zu ihrem Freitod zu verhelfen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass er diese feine Unterscheidung, die sie gemacht hat, nicht machen würde. Er würde wahrscheinlich sagen, jeder hat das Recht, selbst zu entscheiden, ob er sterben möchte oder nicht. Aber Ihnen geht das zu weit?
Noll: Das geht mir eigentlich zu weit. Aber jeder kann es natürlich entscheiden, wenn er das völlig in die eigene Hand nimmt. Selbstmord selbst wird ja nie bestraft. Das gab es vielleicht mal im Mittelalter, dass ein missglückter Selbstmörder dann auch noch mit dem Tode bestraft wurde. Nein, Selbstmord ist nicht strafbar und Beihilfe ist eigentlich auch nicht strafbar.
"Depressive müsste man zum Beispiel in Behandlung schicken"
Karkowsky: Warum sollten denn eigentlich gerade bei dieser sensiblen Frage des Sterbens andere darüber entscheiden, ob wir sterben dürfen oder nicht? Sie sagen, Depressive müsste man zum Beispiel in Behandlung schicken, bei Jugendlichen, die einen Sterbewunsch haben, würde das vorübergehen. Das nimmt uns ja die Autonomie, die wir in allen anderen Entscheidungen für uns beanspruchen?
Noll: Ja. Natürlich kann man es dem Depressiven nicht verbieten, dass er sich unter den Zug wirft. Das geht nicht. Aber wenn er mit dem Anliegen kommt, er möchte dabei geholfen bekommen, dann würde ich erst mal alles probieren, ihn davon abzuhalten, denn vielleicht sieht es ja in vier Wochen ganz anders aus und hinterher sagt derselbe Mensch, ich bin so froh, dass ich es nicht getan habe.
Karkowsky: Auch ein Verbot der Sterbehilfe wird Menschen mit Sterbewunsch natürlich nicht abhalten davon, den Freitod zu wählen.
Noll: Auf keinen Fall!
Karkowsky: Nur dass die meisten dafür wirklich unappetitliche Alternativen haben, die eigentlich besser dem Krimi vorbehalten bleiben sollten: aus dem Fenster, vor den Zug, aufhängen, die Plastiktüte, der Abgasschlauch. Sie sind die Tod-Expertin. Sie haben schon viele Leute umgebracht in Ihren Romanen.
Noll: Zahllose!
Karkowsky: Ja! Wäre das nicht für alle Beteiligten eine Erleichterung, wenn wir in der Palliativklinik auf eigenen Wunsch einschlafen dürften, anstatt solche Wege zu wählen?
Noll: Ja, dann auf jeden Fall!
Noll: Aber für die Ärzte ist das ein Dilemma, denn die sind ja nicht dazu da, Menschen umzubringen, sondern zu retten?
Noll: Ja. Aber auch Ärzte können meinetwegen sagen, wir verschreiben Schlaftabletten, und zwar mehrmals, und wissen, dass die dann alle auf einmal genommen werden.
"Es darf sich keiner daran bereichern"
Karkowsky: Ihr neuer Roman "Hab und Gier" nimmt einige überraschende Wendungen, die wir hier nicht verraten wollen. Aber passend zum Roman könnte die Frage an den Gesetzgeber lauten: Sollte kommerzielle Sterbehilfe erlaubt werden? Bei Ihnen ist die Antwort ganz klar nein, kommerziell darf das nicht werden?
Noll: Nein, es darf sich keiner daran bereichern, der dann am Ende dem Sterbenswilligen auch noch gut zuredet, weil er selber einen Vorteil davon hat.
Karkowsky: Es ist von Ihnen bekannt, dass Sie selbst Ihre Mutter bis in den Tod begleitet haben. Die ist bei Ihnen eingezogen, als sie 90 wurde, und hat dann 16 Jahre lang bei Ihnen gelebt, ist im hohen Alter von 106 gestorben. Sie haben die häusliche Pflege übernommen. War denn da Sterben, die Sterbehilfe jemals ein Thema?
Noll: War eigentlich nicht, denn es ging ihr lange Zeit recht gut. Die letzten vier Jahre war sie ein Pflegefall, aber sie hat nicht gelitten, sondern sie fand immer noch genug Freude am Leben. Sie hat gerne noch gegessen und in der Sonne gesessen und Fernsehen geguckt. Es war insofern kein Thema.
Karkowsky: Wie ist das bei Ihnen selbst?
Noll: Ich würde mir das Recht vorbehalten, dass ich das bestimmen könnte. Aber es müsste sein, dass ich wirklich meinetwegen ein Karzinom habe und unter großen Schmerzen leide, die man nicht mehr so bekämpfen kann. Meine beiden Geschwister sind in den letzten Jahren an Krebs gestorben und haben aber in ihrer letzten Phase ausreichend Morphium-Pflaster bekommen, so dass sie sich nicht gequält haben, sondern friedlich eingeschlafen sind. Das hat wahrscheinlich ihr Leben etwas verkürzt, vielleicht um zwei Wochen oder so, aber das haben sie auch selbst billigend in Kauf genommen und ich fand es einen Segen.
Karkowsky: Und die ganze Diskussion, die jetzt gerade geführt wird - es wird ja jetzt vermutlich auch einen neuen Gesetzesvorschlag des Bundesgesundheitsministers geben oder im Bundestag wird der debattiert werden -, wie sehen Sie das, wie gucken Sie darauf? Ist das etwas, wo Sie sagen, da ist die Gesellschaft reif genug, um diese Dinge zu debattieren, oder ist da oft auch viel Hysterie mit im Spiel?
Noll: Ich glaube, sie ist reif genug. Das denke ich schon. Deutschland hat natürlich eine Vergangenheit, aber das hat ja mit Sterbehilfe in dem Sinn gar nichts zu tun. Das ist ein völlig anderes Kapitel. Das ist aber richtig, dass man es sensibel angeht.
Karkowsky: Die Sterbehilfe ist eines der Themen in Ingrid Nolls neuestem Roman. Er heißt "Hab und Gier" und er erscheint morgen, und Sie hörten die Autorin selbst. Frau Noll, herzlichen Dank!
Noll: Bitte schön!
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