Stefan Rinke: "Lateinamerika"

Zwischen globalem Einfluss und eigener Identität

Die Ruinenstadt Machu Picchu in Peru von einem erhöhten Standpunkt aus fotografiert.
Die Ruinenstadt Machu Picchu in Peru © Erika Harzer
Stefan Rinke im Gespräch mit Ernst Rommeney · 30.01.2016
Seit Ende des 15. Jahrhunderts stand Lateinamerika unter dem Einfluss Europas und der Vereinigten Staaten. Doch der Subkontinent hat sich immer wieder behaupten und seine vielfältige Identität bewahren können, zeigt Stefan Rinke in seiner Geschichte Lateinamerikas.
Wer Lateinamerika nur als krisengeplagte Regionen wahrnehme, die vor allem unter dem Erbe europäischer Vorherrschaft und nordamerikanischer Dominanz leiden würden, der verstehe dessen Vielfalt nicht, so der Forscher vom Lateinamerika-Institut der Freien Universität.
Weit bevor die Europäer Ende des 15. Jahrhunderts als Eroberer gekommen seien, hätten unzählige Kulturen riesige, auch geografisch heterogen Räume bevölkert, die zudem miteinander verbunden gewesen seien. Etwa 125 Sprachfamilien ließen sich nachweisen.
Stets abhängig von ausländischen Märkten
Zwar lösten die portugiesischen und spanischen Kolonialkriege eine demografische Katastrophe aus, der beispielsweise in Peru und Mexiko 90 Prozent der Urbevölkerung zum Opfer fiel. Aber unter den Nachfahren indigener Stämme, europäischer und afrikanischer Einwanderer sei über 200 Jahre ein multiethnisches Selbstverständnis herangereift, gefördert von Literatur und Kunst, die an die traditionellen Wurzeln der Gesellschaften erinnerten.
Natürlich habe Lateinamerika unter weltweitem Einfluss gestanden. Auch das hebt Stefan Rinke hervor. Die Aufklärung machte aus wohlhabenden Kolonialländern unabhängige Staaten mit modernen Verfassungen. Nationalismus sowie auch Arbeiter- und Frauenbewegung folgten den zeitgenössischen Strömungen Europas.
Cover - Stefan Rinke: "Lateinamerika"
Cover - Stefan Rinke: "Lateinamerika"© Konrad Theiss Verlag
Als Rohstofflieferant, dem es nie gelang, eine angemessene Industrieproduktion aufzubauen, war der Subkontinent zudem stets abhängig von ausländischen Märkten und Kapital. Er profitierte, bekam aber bis in die jüngste Zeit hinein die Folgen einer jeden politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Weltkrise zu spüren.
Wahlweise reagierten die 20 lateinamerikanischen Staaten darauf, indem sie politisch zwischen Europa und USA pendelten oder deren Einfluss mal mit nationalistischer, mal mit antiimperialistischer Haltung abzuwehren suchten.
Massenphänomen Armut
Obschon es Sozialprogramme gab, sei die Armut ein Massenphänomen geblieben, stellt Stefan Rinke fest. Gesellschaftliche Spannungen begleiteten die gesamte Entwicklung Lateinamerikas. Sie zeigten sich in Bürgerkriegen, Aufständen, Revolutionen, im Wechsel von Diktatur und Demokratie, in korrupten mafiösen Strukturen, die das Staatswesen unterwandern.
Letztlich waren Moderne und demokratische Tradition nicht so stark, vermögende Eliten zu zwingen, der Mittel- und Unterschicht durchgreifende Reformen zuzugestehen oder einen offenen wie unterschwelligen Rassismus zu beenden. Andererseits rang sich die konservative katholische Kirche zu einer solidarischen "Option für die Armen" durch – auch wenn sie über eine politische "Theologie der Befreiung" stritt.

Stefan Rinke: Lateinamerika
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2015
176 Seiten, 19,95 Euro

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