Stasi-Stützpunkt Rheinland in Westberlin

Wenn Verrat die Lebensgrundlage ist

Berlin-Tempelhof: die Kreuzung Mehringdamm / Dudenstraße neben dem Platz der Luftbrücke , aufgenommen am 17.8.1999
In der Dudenstraße neben dem Platz der Luftbrücke in Berlin-Tempelhof befand sich das Hotel mit dem Stützpunkt Rheinland.Hotel Luftbrüc © picture-alliance / Berliner Kurier / Mirschel Hansjoachim
Von Maximilian Klein · 04.05.2016
Spitzel, Mordauftrag, Kalter Krieg: Ein unscheinbares Haus am Platz der Luftbrücke in Berlin erzählt die Geschichte eines Stasi-Stützpunktes, der als Hotel getarnt war. Maximilian Klein hat sie aus ehemals streng geheimen Akteneinträgen zusammengesetzt.
Hinter vielen Fenstern lauern Geschichten. Manche Orte haben besonders dunkle. Unscheinbar mit verwaschenen Wänden steht ein Haus in der Dudenstraße am Platz der Luftbrücke. Ein ehemaliges Hotel. Vierspurig die Straße davor. Ein Shishaladen im Erdgeschoss, daneben ein Spätkauf. Kein Ort zum Verweilen. Maximilian Klein ist zufällig auf diesen Ort mit seiner filmreifen Geschichten gestoßen und hat recherchiert. Er wurde bei der Stasi Unterlagen Behörde BStU fündig. Hier lagern 5000 Seiten Material, ehemals streng geheime Papiere über das Hotel das von der Stasi in den 70er Jahren gekauft und als Safe-House ausgebaut wurde. Der Länderreport erzählt anhand der Akteneinträge die Story vom Stützpunkt Rheinland, den Spitzeln die das Hotel betrieben und über staatlich beauftragten Mord in Zeiten des Kalten Krieges.

Das komplette Manuskript im Wortlaut:
Deutschland 1975: Borussia Mönchengladbach steht auf dem ersten Platz der Fußball Bundesliga. Mao Zedong empfängt Helmut Schmidt in China. Niki Lauda ist auf Platz eins der Formel 1. Die USA verliert ihren Kampf in Vietnam. Udo Jürgens ist mit dem Hit "Griechischer Wein" insgesamt acht Wochen in den deutschen Charts.
Das Gramm Kokain kostet in West-Berlin 400 DM in Frankfurt 300 DM. Eine Stunde bei einer Prostituierten gibt es für 150 DM. 2500 mal wird in West-Berlin eingebrochen.
Anna lebt noch in Frankfurt. Anna könnte auch Margarete heißen. Oder Beate. Sie verdient gut.
Beate, Margarete, Anna, hat kein leichtes Leben. Sie flieht von zu Hause. Lebt illegal. Arbeitete mal im Hotel, mal ist sie ohne Arbeit. Eine Ausbildung gibt es nicht. Sie fängt an, zu tanzen. Zieht sich für Geld aus.
"Die Kandidatin wurde in Siegburg geboren. Bis zum Tod der Mutter 1958 lebte sie in geordneten Verhältnissen. Nach dem Tod der Mutter heiratete der Vater ein zweites Mal. Anna lebt vorerst bei Tante und Onkel. Arbeitete dort ohne Gehalt, als Küchenhilfe."
Abgenutzte Geldscheine werden ihr in die Unterwäsche gesteckt. Die Reizwäsche wird bis über die Hüftknochen gezogen. Anna, das Mädchen aus dem schlichten Hause lernt sich, zu verkaufen. Später wird über diese Zeit in ihrer Akte stehen: Sie lernt sich, zu bewegen, in allen Kreisen.
"Von 1967 – 71 arbeitet die Kandidatin als Stripteasetänzerin und Barfrau im Vergnügungsviertel am Bahnhof Frankfurt am Main."

Alles beginnt mit einem Aufnahmeformular

Braune Haare. Ein rundliches Gesicht. Zögerlich das Lächeln auf ihren Lippen. Ein schwarzer Balken, der quer über ihr Gesicht verläuft, verhindert den Blick auf ihre Augen. Eine einfache Attraktivität lässt sich erahnen. Die Karriere bei der Stasi beginnt mit einem Aufnahmeformular. Banal, amtlich, ordentlich. Oben rechts in der Akte der Vermerk: Streng geheim.
"IM für besondere Maßnahmen, (IM Janett). Soziale Herkunft / jetzige soziale Stellung: kleinbürgerlich."
Das tanzen hört auf, als sie ihren Mann, Harald Tucynski kennen lernt. Er wirbt sie für den Geheimdienst. Aus Anna wird IM Janett. Neuester Spitzel der Stasi. In ihrer Akte steht das Datum der Anwerbung. 1975.
"Ich verpflichte mich auf freiwilliger Grundlage zur Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Bei Abgabe dieser Verpflichtung bin ich mir bewusst, das dass MfS als Organ der Regierung der DDR wichtige Aufgaben zur Erhaltung und Sicherung des Friedens für die gesamte Menschheit durchführt."
Das erste Mal in ihrem Leben wird "Janett" ein geregeltes Einkommen haben, eine Aufgabe, an die sie glaubt, eine Zukunft. Sie verliebt sich - in die Stasi.
"Janett war mehrfach in die Lösung oft komplizierter Auftragsersuchen einbezogen, wobei sie in der Regel einen hohen Anteil an den erreichten, positiven Ergebnissen hat."
"IM Karate"

Ein freundlich blickender älterer Herr

Der freundliche Blick eines älteren Mannes. Geboren 1922. Herr Tucynski ist der Typ Nachbar, der bei den Mülltonnen freundlich grüßt, und schimpft, wenn der Kinderwagen im Weg steht. Buggys, gibt es in den 70er-Jahren noch nicht. Ordentlich ist das schüttere Haar zurück geregelt. Lange Kragenspitzen hat sein Hemd. Die Stasi beschreibt ihn in ihren Akten folgendermaßen:
"Kein geregeltes Arbeitsverhältnis. Gelegenheitsbeschäftigung. Zeitweilige Besitzer des Frankfurter Spielcasinos 'Las Vegas'. Seit dieser Zeit ohne jegliche feste Beschäftigung. Seit 1973 wegen einer nicht angetretenen Haftstrafe in Fahndung. Abschluss: 8. Klasse. Besonderheiten: Beherrscht Artistik, Kampfsport. Deckname: IM Karate."
Die Stripperin und der Kleinganove finden sich. Sie verlieben sich, heiraten. Ziehen nach West-Berlin. Eine Stadt, die Hausbesetzer, Bundeswehrflüchtlinge, Künstler und Menschen, die untertauchen wollen, anzieht. Karate und Janett beginnen ein neues Leben. Am Pokertisch der Weltmächte. Politik? Für Karate nur Unternehmensphilosophie.
"Der IM hat keine ausgeprägt politische Meinung. Gegenüber der DDR hat er eine progressive Einstellung, die er offen zum Ausdruck bringt. Diese resultiert jedoch mehr aus rein gefühlsmäßiger Erwägungen und basiert vor allem darauf, dass die Bürger der DDR eine weitaus größere soziale Sicherheit."

Neue Identität, neue Aufgabe

Karate bekommt eine neue Identität, Janett eine Aufgabe. Auf einmal ist da etwas. Etwas auf dem sie aufbauen können. Spionage als Lebensgrundlage. Eine bürgerliche Existenz. Kleinbürgerlicher Verrat.
"IM Karate ist befähigt, besondere Maßnahmen mit hohem Schwierigkeitsgrad durchzuführen. Fühlt sich dem MfS verpflichtet, da er sich infolge finanzieller Sicherstellung frei bewegen kann. Zuverlässigkeit: Unbedingt zuverlässig!"
"---- Rheinland ----"
Buntes Grauweiß. Verwaschen. So sieht das ehemalige Hotel schon 1975 aus. Die Dudenstraße 6. Karate und Janetts Auftrag: Aufbau eines Safe-House. Ein Rückzugsort für die DDR-Spione im Westen. Der MfS kauft das Hotel Luftbrücke.

In Sichtweite: der Flughafen Tempelhof. Und die Amerikaner, Diplomaten, Soldaten, Geheimnisse tummeln sich auf engstem Raum. Mitten drin: Janett, Karate. Die Zimmer sind mit Eiche-Furnier ausgestattet. Eckkneipenatmosphäre.
Das Hotel Luftbrücke in Berlin diente in den 1970er Jahren der Stasi als Stützpunkt Rheinland, Auszug aus den Akten der BStU
Das Hotel Luftbrücke, Auszug aus den Akten der BStU© Deutschlandradio / Maximilian Klein
"Das Ministerium für Staatssicherheit erwartet von ihnen eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Objektes und dem MfS gegenüber Offenheit und Ehrlichkeit in allen finanziellen Fragen sowie allen anderen anfallenden evtl. Problemen."
Janett, die Stripperin wird Geschäftsführerin. Mit gastronomischen Einrichtungen kennt sie sich aus. Stimmung erzeugen, auch das kann Janett.
Kontakt wurde per Geheimbotschaft aufgenommen. Banalität trifft auf James Bond-Romantik.
"Sofortige Verbindungsaufnahme wie folgt möglich:
1.: Telefon Anruf von der Hauptstadt und die Chefin verlangen: Ich möchte das Zimmer abbestellen, was reserviert war, da meine Verwandten in Ostberlin die Aufenthaltsgenehmigung erhalten haben. BEI DIESEM ANRUF ERSCHEINT IM KARATE!"
Unkomplizierter ist es Janett zu erreichen.
"2. Ich möchte das reservierte Doppelbettzimmer abbestellen."

Der Stützpunkt ist kein Rückzugsort

Stützpunkt Rheinland soll nicht nur ein einfacher Rückzugsort sein. Die Schlapphüte erwarten auch Rentabilität. Spionage ist teuer. Auch normale Gäste sollen kommen. Ausspioniert werden und gleichzeitig Devisen bringen So die Rechnung des Mielke-Ministeriums. Ein Werbeprospekt für das Hotel aus dieser Zeit verkündet bescheiden:
"Erwarten Sie Geschäfts- oder Privatbesuch? Versuchen Sie es bei uns! Wir werden versuchen sie zufriedenzustellen."
Zufriedenstellen. Das wollte Janett auch. Das MfS ist ihr neuer Lebensmittelpunkt, ihr Halt. Sie gibt alles, was sie hat. Ihren Geist, Willen und ihren Körper.
"Die Kandidatin gibt auch ihre volle Bereitschaftserklärung ab, im Bedarfsfall für uns spezifische Aufgaben zu realisieren, wo der Einsatz einer Frau erforderlich ist."
Vom Sex mit dem Feind zum schnöden Alltag ist es nur ein kleiner Schritt. Langweilige betriebswirtschaftliche Arbeit ist die Routine. Der planwirtschaftliche Staat agiert als Unternehmer. Freie marktwirtschaftliche Realität. Eine Aufgabe für Spitzel mit BRD-Pass. In den Akten ist vermerkt:
"Auslastung des Stützpunktes ist unter Berücksichtigung von Saisonschwankung insgesamt als zufriedenstellend einzuschätzen..."
"Kauf von 2 Farbfernsehgeräten 3 Tdm, Kauf und Installation von 2 Duschkabinen 2,5 Tdm. Kauf von 4 franz. Betten 1,8 Tdm.,…"
"Janette versucht gerade für die toten Monate November bis Februar, Rücklagen zu bilden. Es wird empfohlen eine Überbrückungsprämie in Höhe von 2000 Tdm zu zahlen... Bilanzenfälschung, Steuerverschleierung..."

Die liebgewonnene Sicherheit ist vorbei

Plötzlich: Gefahr. Polizeiautos stehen vor der Tür. Es ist aus. Stützpunkt Rheinland, aufgeflogen? Anspannung im Hotel. Karate und Janett ahnen: Vorbei ist ihre liebgewonnene Sicherheit.
Ein Polizist betritt das Hotel. Bittet um Aussprache mit IM Janette. Es würden sich Personen im Hotel aufhalten, die als gefährlich eingestuft würden.
Spitzel gibt es zu dieser Zeit in Berlin auf beiden Seiten, zu Hauf. Angst vor Doppelagenten treibt die Weltmächte an. Ein Verwirrspiel. Angststarre bei Janett und Karate. Es war klar, nun würde man beobachtet werden. Warum kam überhaupt ein Polizist in das Hotel und informierte? Stillhalten, sich nichts anmerken lassen.
"Der Polizist sagt, dass er in zwei Tagen wiederkommen würde."
"Das Verhalten von IM Janett gegenüber den Maßnahmen der Polizei kann als positiv eingeschätzt werden. Sollte es sich bei dieser Aktion um eine Überprüfung des Hotelbesitzers und Geschäftsführers gehandelt haben, so spricht es zu deren Gunsten, da sie sich an die Weisung der Polizei gehalten haben und auch die geforderte Unterstützung gaben."
Das Kind schläft. Mutter und Vater wissen nicht, ob sie ihren 6-jährigen Jungen am nächsten Morgen wecken können. Oder an den darauffolgenden Tagen. Gegenmaßnahmen werden eingeleitet.
"Durch entsprechende Verhaltensweisen in der konspirativen Arbeit konnte durch IM Karate die mehrere Tage dauernde Observation des Hotels vorher festgestellt werden."

Karate und Janett im Blick der Behörden

Zufall, Pech? Karate und Janett sind in den Blick der Behörden geraten. Dabei hatte das MfS gewarnt.
"Bereits bei Übernahme des Objektes wurden beide IM darauf hingewiesen, dass sie durch die Führung eines Hotels in den Blickpunkt der öffentlichen Behörden geraten und sich dementsprechend abzusichern haben. Das trifft ebenfalls auf eventuelle Gespräche zwischen beiden IM zu, welche operativen Charakter haben."
Stille. Telefoniert wird nicht, geredet miteinander, auch nicht. Sagen sich Karate und Janett gute Nacht? Küssen sie ihr Kind in diesen Tagen, lesen sie ihm etwas vor, gibt es Normalität?
"Die drei festgenommenen Personen wohnten bereits im Monat Februar mehrere Tage im Hotel. IM Janett war bekannt, dass sich diese Personen mit Rauschgift spritzen. (Blutflecken auf der Bettwäsche, hervorgerufen durch Einstiche von Kanülen)."
Rheinland war nicht aufgeflogen. Drogendealer und Süchtige wurden festgenommen.

Das Hotel, es wirft erste Früchte ab. Gäste kommen. Zahlen, fühlen sich wohl beim Spitzel Janett. Ihr Service wird geschätzt. Aus dem Ausland kommen Dankesschreiben an die Wirtin. Der MfS heftet alles sorgsam ab.
Das Hotel Luftbrücke in Berlin diente in den 1970er Jahren der Stasi als Stützpunkt Rheinland, Auszug aus den Akten der BStU
Zimmer im Hotel Luftbrücke, Auszug aus den Akten der BStU© Deutschlandradio / Maximilian Klein
"Nach einer guten und interessanten Reise sind wir nun wieder in Virginia. Ich möchte…"
"Ihnen meine herzlichen Dank aussprechen für den Service..."
"Liebe Margarete, noch immer denken wir an Ihre herzliche Bewirtung und Humor..."
"Es war wundervoll bei Ihnen, wir waren soweit weg und fühlten uns doch so heimisch..."
"Obwohl die finanzielle Lage des Objektes ständig stark angespannt war, wurden die finanziellen Verpflichtungen alle ausnahmslos erfüllt."

Die private Wohnung wird zu teuer

Janett erhält 600 DM monatlich vom MfS. Karate 1000. Ohne das Geld sind beide, trotz laufendem Hotel, nicht in der Lage, sich zu finanzieren. Sie sind abhängig vom MfS. Die kleine Spitzelfamilie kann sich ihre Privatwohnung nicht mehr leisten. Zu teuer. Auch für die Stasi. In den Akten wird vermerkt:
"Aus finanziellen Gründen kann die Wohnung nicht gehalten werden. Ihre Finanzierung über den Stützpunkt als 'Dienstwohnung' lässt sich nicht absichern. Da die monatlichen Kosten an Miete, Strom und Telefon von 1500 DM nicht tragbar sind. Daher wird die Familie in den Stützpunkt ziehen."
Zwischen Eichefurnier-Möbeln, Abhörgeräten und hin und wieder einem Junkie passiert Familienalltag. Janette opfert sich auf für die Familie, kämpft für das Gedeihen von Rheinland und dem ihres Kindes. Das Geld, das Geld, das Geld. Es ist immer knapp.
"Janett hält sich praktisch den ganzen Tag über im Stützpunkt auf und ist auch an den Wochenenden dort tätig. Sie arbeitet hart und aufopferungsvoll für die Einrichtung. Sie kommt kaum in den Genuss eines Gehaltes."
Zur gleichen Zeit wird Karate für heiklere Missionen vorbereitet. Beschatten, organisieren, lauschen, verfolgen, abhören. Weiterbildung und Ausrüstung – für besondere Maßnahmen.
"An operativer Technik ist der IM ausgestattet mit
- PKW – auch als gedeckter Posten verwendbar
- Fotoausrüstung – Fotomaske in Vorbereitung
- E- Funkausrüstung
- Dokumente auf Doubelbasis – gefälschte Pässe
Die Ausbildung im E-Funk wurde im Mai 1976 durchgeführt und mit Erfolg abgeschlossen. Als weitere Qualifizierungsmaßnahmen sind vorgesehen
- Ausbildung in op. Schließtechnik
- Ausbildung im Umgang mit der Fotomaske
- Theoretische und praktische Schießübung"

Liebevoller Akteneintrag des Führungsoffiziers

Auch wenn Janett in ihrer Aufgabe aufgeht - sie vereinsamt. Hat niemanden zum Sprechen. Ihr Verbindungsoffizier wird zum privaten Seelenheil. Auf der Couch mit dem Spion. Hier kann sie loslassen, frei von der Seele reden. Ihr Führungsoffizier schreibt. Fast liebevoll liest sich sein Akteneintrag.
"Janett bringt immer wieder zum Ausdruck das sie in dem MfS wahre Freunde gefunden hat. Sie fühlt sich bei operativen Treffen in der DDR sichtlich wohl, genießt die Abwechslung zum teilweise eintönigen Alltag."
Und radikalisiert sich...
"Janett bringt immer wieder zum Ausdruck, wie zuwider ihr das System im Kapitalismus erscheint. Sie lobt die DDR und dass der Staat alles für seine Bürger tut. Sie bittet darum, das falls ihr etwas zustoßen sollte, ihr Kind in die DDR zu holen und groß zu ziehen."
Ihre Ansichten werden so extrem, das sogar das MfS gegensteuert. Janett verbeißt sich in ihre eigene Utopie, einen persönlicher Sozialismus. Sie wird zu dem perfekten DDR-Bürger, einen den sich die Partei immer wünscht.
"Janett lehnt zunehmen das imperialistische System ab, hat aber vom Sozialismus eine utopische Vorstellung. In Gesprächen versuchten wir, ihr einige der Gesetzmäßigkeiten des Sozialismus zu erläutern. Sie war sehr offen für diese Gespräche."
Sie ließ nicht locker. Wollte in die DDR. Doch dann hätte sie nicht mehr als Schild und Schwert, dienen können.
"Des Weiteren bittet sie um einen Urlaub von zwei Wochen. Sie wünscht sich, mit ihrem Kind nach Thüringen zu reisen. Wir konnten sie davon überzeugen, dass dies aus operativen Gründen zu gefährlich sei. Es wird empfohlen Janett 2000 DM für einen Urlaub zu zahlen um im kapitalistischen Ausland (Paris, Italien etc.) eine Auszeit nehmen zu können."

Italienurlaub auf Kosten der Stasi

Zwei Wochen Italienurlaub. Auf Kosten der Staatssicherheit.
Während ihrer Abwesenheit hat sich vieles getan. Ein Querulant treibt sein Unwesen in Westberlin. Lautstark protestiert ein "Objekt" gegen die DDR. Verübt kleinere Anschläge. Ein Grenzsoldat wird verletzt. Die Stasi will eine Lösung. Eine Aufgabe für die Zelle Rheinland. Karate arbeitet mit einem neuen Spitzel zusammen IM Rennfahrer. Sie sollen beschatten. Objekt "Fürst".
"Fürst saß 2,5 Stunden im Restaurant und betrank sich. Er flirtete mit den Kellnerinnen, was diese und seine körperlichen Annäherungsversuche zurückwiesen."
"Fürst kehrte erst nach Mitternacht wieder in seine Wohnung zurück."
"Fürst geht mit Hund spazieren."'
"Fürst streitet mit seiner Frau."
Stunden, Tage, Wochen wird observiert und abgehört. Beschattet und ausgekundschaftet. Die Frau von Fürst wird verführt, ihr Haustürschlüssel kopiert. Das Ziel des MfS: Selten so klar formuliert.
"Liquidierung des Objekt Fürst. Durch beide IM, indem das Objekt mittels beschafften Nachschlüssel im Haus erwartet wird. Dazu der PKW vorher am Hauseingang geparkt, um das Objekt konspirativ abzutransportieren. Anschließend wird in den PKW von Rennfahrer umgeladen, welche die ganze Zeit über in der Garage abgestellt ist. Das Objekt wird nach Liquidierung unter der hinteren Sitzbank verstaut und in die Hauptstadt der DDR eingeschleust."

Der Mordanschlag missglückt

"Um 00:50 kommt das Objekt vom U-Bahnhof Kurfürstenstraße und sucht das Restaurant Dortmunder Union auf. 01:45 verlässt er die Wirtschaft und begibt sich zu seiner ca. 60 Meter entfernten Wohnung.
Karate folgt sofort in den Hausflur und schließt von innen ab. Das Objekt begibt sich ebenfalls in den Flur. Obwohl er sonst nie im Durchgang Licht anmacht, brennt er es diesmal an.
Als er sich umdreht schlägt Karate durch Handkantenschlag (Federschlag) zu.
Seinen Angaben nach ist dieser Schlag mit fast 100 Prozent er Sicherheit, tödlich. Der Körper vom Objekt bäumt sich jedoch nur auf und fällt nicht um. Karate wirft ihn durch einen Überwurf zu Boden, er kommt jedoch wieder hoch, worauf Karate das zweite Mal zuschlägt, wobei dieser Schlag seiner Meinung nach, nicht so sicher ist wie der Erste, da er gerade in diesem Moment den Kopf zur Seite legt. Bis zu diesem Moment ist absolute Stille. Das Objekt ist wie gelähmt, aber jetzt fängt er an, um Hilfe zu schreien. IM Rennfahrer schließt die Tür auf, und kommt Karate zur Hilfe. Er schlägt dem Objekt dreimal mit der Pistole über den Schädel, zweimal in die Schläfengegend.
Als das Objekt so nicht zu bewältigen ist und im Hinterhaus bereits durch Schreie die Mieter an die Fenster kommen, versuchte Rennfahrer das Objekt zu erschießen. Er steckte dem Objekt den Revolver in den Mund, drückt ab. Die Waffe versagt. Durch das Schlagen auf den Kopf, muss das Magazin aus der Waffe geflogen sein. Da Karate gerade in diesem Moment zur Seite gesprungen ist, gelingt es dem Objekt, bis zum hinteren Durchgang (ca. 3 Meter) zu entkommen wo er vermutlich stürzte. Ein Nachgehen war nicht möglich, da die Hausbewohner dorthin Einsicht haben.
Beim Verlassen des Durchganges kontrolliert Karate noch, ob die Gegenstände liegengeblieben sind, er findet zwei Schuss Munition, welche aus dem Magazin gesprungen sind."

Beginn einer langen Krankheit

Kurz nach dem missglückten Mordanschlag wird Janett mit einer Medaille geehrt. "Als Anerkennung für langjährige gewissenhafte und treue Pflichterfüllung". Auf dem Silberling die Eingravur: "Für treue Dienste. Nationale Volksarmee". Kurz darauf wird sie schwer krank. Krankenhaus, monatelang. Zwei Jahre wird ihre Erkrankung dauern. Kühl sind die Akteneinträge aus dieser Zeit.
"Es muss mit dem Ableben vom IM gerechnet werden.
Den Glauben an das MfS: Janett verliert ihn auch nicht in ihrer schwächsten Stunde.
"Sie äußerte sich, dass sie während ihres gesamten Krankenhausaufenthaltes nur an ihre Freunde des MfS gedacht hat. Dass sie, wenn sie wieder auf den Beinen sei, die vielleicht ein, zwei Jahre, die sie noch hat, nutzen wolle zur Pflichterfüllung gegenüber dem Sozialismus und der Staatssicherheit."
Die Aufzeichnungen reißen hier ab. Die frühen 80er-Jahre sind angebrochen. Der Kalte Krieg beherrscht nach wie vor die Debatten, erste Unruhen in den sozialistischen Ländern brechen aus. Die Zelle Rheinland ist Vergangenheit. Das Hotel zur Luftbrücke wird verkauft.
"IM Karate – Joseph Tuckynski musste in Gefängnis."
IM Janett ist seit den Gerichtsverhandlungen nicht mehr auffindbar. Bis heute.
"Über das Kind ist nichts bekannt."
Heute gehört das Haus in der Dudenstraße 6 einem Libanesen. Flüchtlinge leben in den Räumen. Von dem ehemaligen Hotel ist nichts mehr zu sehen.
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