Städtepartnerschaft Leverkusen und Nazareth-Illit

Von Freunden und Fremden

Israelische Fußballfans bei einem Spiel von Bayer Leverkusen
Fußball verbindet: israelische Fußballfans bei einem Spiel von Bayer Leverkusen © picture alliance / dpa / dpaweb / Franz-Peter Tschauner
Von Alois Berger und Christian Wagner · 12.05.2015
Seit 1980 gibt es die Städtepartnerschaft Leverkusen-Nazareth-Illit in Israel. Regelmäßig reisten Schulklassen und Sportvereine hin und her. Als der Bürgermeister von Nazareth-Illit 2008 in den Ruhestand ging, schlief die Städtepartnerschaft fast ein. Doch es gibt Hoffnung.
Wenn Jochen Glöckner in seinem Garten sitzt und in den Erinnerungen von Israel blättert, dann vergisst er die Zeit. Er hörtdie Amseln nicht mehr, die im Rhododendron zwitschern, und er sieht auch nicht das Eichhörnchen, das hier, mitten in Leverkusen, über den Rasen springt. Jochen Glöckner ist tief eingetaucht in die Vergangenheit.
"Sie sehen, das ist Shimon Peres, das ist die Bürgermeisterin von Nazareth-Illit, Etna Roderick, das ist Jochen Glöckner und das ist meine Frau. Und genauso habe ich gute Beziehungen, freundschaftliche Beziehungen zu Rabin."
10 Aktenordner zu Israel hat Jochen Glöckner über die Jahre zusammengestellt: Fotos, Briefe, Zeitungsausschnitte, alles fein säuberlich in Klarsichtfolien verpackt und abgeheftet. Dokumente einer Freundschaft zwischen der deutschen Chemiestadt Leverkusenund der jüdischen Neubausiedlung Nazareth-Illit, einer Freundschaft, die anfangs sehr schwierig war, dann eng und enger wurde und jetzt offenbar vor dem Ende steht. Für Jochen Glöckner ist diese Städtepartnerschaft nicht nur sein Lebenswerk, sie ist sein Leben.
"Ich weiß nicht, ob ichs hier habe... Sie sehen, Partnerschaft mit Israel, 1965 habe ich bereits die ersten Anläufe gemacht, um den Rat davon zu überzeugen, dass es nötig ist, mit 'ner Israelischen Partnerstadt Beziehungen aufzunehmen."
Immer wieder geht der 87-Jährige quer über die Terrasse ins Wohnzimmer, um einen weiteren Ordner zu holen. Er erzählt von seinen Begegnungen mit Ben Gurion, dem ersten Ministerpräsidenten Israels, der anfangs nicht mit diesem Deutschen reden wollte, und der ihm später Briefe schrieb. Und von Major Arzberg, über den der Kontakt mit Israel zustande gekommen war.
Der US-Amerikaner Arzberg war nach dem Krieg für die Entnazifizierung in Leverkusen zuständig gewesen und hatte sich mit dem jungen JochenGlöckner angefreundet. Später ging Arzberg nach Israel und forderte seinen deutschen Freund auf, sich in Leverkusen für den jungen Staat Israel einzusetzen. 1962, Glöckner war inzwischen Stadtrat und Chef des Stadtjugendringes in Leverkusen, reiste er mit einer Gruppe von Jugendleitern nach Israel. Brücken wollten sie bauen, sagt er, in einer heiklen Sache für Versöhnung eintreten.
"Das ist Probst Grüber, der mit der gleichen Maschine flog wie wir, und der hat uns dann gewisse Verhaltensregeln mitgegeben, weil der mittlerweile zum dritten oder vierten Mal in Israel war, als Ratsvorsitzender der evangelischen Kirche: Wir sollten nicht in Horden oder Gruppen auftreten, sondern nur zu zweit oder zu dritt. Bestenfalls. Mehr nicht."
In Israel wurden die jungen Leverkusener bei Privatfamilien untergebracht. Am Abend, nach einer Stunde leichter Konversation, fragte Jochen Glöckner damalsdie jüdische Gastgeberin, wie sie Deutschland sehe:
"Nach einiger Überlegung sagte sie zu mir: Herr Glöckner, sie müssen wissen, wir sehen in jedem Deutschen den Mörder unserer Familien. Mein Mann ist gebürtiger Leipziger, er hat 23 seiner Angehörigen in Deutschland verloren. Ich bin gebürtige Hamburgerin, ich habe 27 meiner Angehörigen verloren. Ich dachte, mich trifft der Schlag. Was soll ich darauf antworten. Zunächst mal Schweigen, absolutes Schweigen."
Rüffel von der Bundesregierung
Nach diesem ersten Abend in Israel war Jochen Glöckner erst recht überzeugt, dass er etwas tun müsse. Zurück am Rhein, begann er dafür zu werben, Leverkusen sollte sich eine israelische Partnerstadt suchen. In der Bevölkerung habe er große Zustimmung bekommen, erzählt er, aber im Stadtrat fanden das damals, Anfang der 60er-Jahre, viele nicht so gut. Nach einer deutsch-israelischen Veranstaltung im Schloss Morsbroich wurde der engagierte Glöckner sogar von der Bundesregierung gerüffelt.
"Oben auf dem Turm hat eine israelische Fahne geweht, und da wir noch keine diplomatischen Beziehungen zu Israel hatten, gab es Ärger, was ich mir erlauben würde, dort bereits eine israelische Fahne zu hissen."
1965 erkannte Deutschland den Staat Israel offiziell an. Doch es sollte noch weitere 15 Jahre dauern, bis zur offiziellen Städtepartnerschaft von Leverkusen und Nazareth-Illit. Erst in Menachem Ariav, dem 1977 gewählten Oberbürgermeister der neuen Siedlung von Ober-Nazareth fand Jochen Glöckner den Partner, den eine Freundschaft braucht, wenn sie sich entwickeln soll. Ariav forderte und förderte den Austausch. Schulklassen, Sportvereine, Hobbypiloten und Musikgruppen reisten hin und her. Vor allem Leverkusener Jugendliche suchten das Abenteuer, lebten eine Zeitlang im Kibbuz oder in selbstorganisierten Jugendcamps:
"Wir haben dann in Armeezelten gelebt, es gab riesige Spinnen in den Zelten. Auch ein Chamäleon hatten wir mitunter zu Besuch. Ich hab dann an mehreren Abenden für 50 Personen Kartoffelsalat gemacht, das hieß also in einer kleinen Badewanne mit beiden Händen."
Für Henriette Hormann waren die Wochen in Israel ein prägendes Erlebnis. Ihre Tochter zog 20 Jahren später dann für ein ganzes Jahr in einen Kibbuz, und war dann sehr überrascht von der Strenge und der Härte des Tagesablaufs, von der Disziplin der jungen Israelis, aber auch von der Herzlichkeit und der Freude am Feiern, etwa am Pessach-Fest:
"Es ging dann fast die ganze Nacht. Alle Bewohner des Kibbuz waren versammelt und es wurde gegessen und getrunken und man hat dann die Segenssprüche alle wahrgenommen, so wie es von alters her praktiziert wurde. Gleichwohl, es war ein sozialdemokratischer Kibbuz, es war kein religiöser."
Monate der Vorbereitung
Damit auf dem schwierigen Terrain der deutsch-israelischen Beziehungen keine Fehler passierten und keine kulturellen Missverständnisse aufkamen, kümmerte sich Jochen Glöckner jedes Mal persönlich um die Vorbereitungen. Monatelang, wenn es sein musste.
"Wir konnten alle ein paar Lieder singen. Wir konnten auch tanzen, also israelische Volkstänze. Dafür hat er jemand aus der Botschaft in Bonn engagiert. Und jeder aus der Gruppe musste in der Lage sein, ein kleines Fachreferat zu halten, sei es Wirtschaft, Politik, Außenpolitik, Sport, Kultur. Das war dann immer mein Ressort."

Hören Sie hier den Beitrag von Christian Wagner:
In den 90er-Jahren bekam die Städtepartnerschaft dann nochmal neuen Schwung. Jürgen Ohrem, der neue Leiter der Leverkusener Musikschule, machte Klezmermusik zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit. Ohrem organisierte Konzert- und Begegnungsreisen nach Israel, vor allem natürlich nach Nazareth-Illit.
Schon die erste Reise mit 15 jungen Musikschülern sei ein rauschender Erfolg gewesen, erzählt Ohrem. Eigentlich verrückt, findet Ohrem heute, dass ausgerechnet junge deutsche Nicht-Juden in Israel jiddische Volksmusik vortragen und dort gefeiert werden.
"Israel ist ein Land, fünf, sechs Millionen Juden wohnen da, die sich aus 125 Nationen zusammensetzen und 125 verschiedene Sprachen sprechen, das muss man sich klarmachen. Da weiß nicht jeder, was Klezmermusik ist. Aber Klezmer ist natürlich eine alte Musik, die in Osteuropa entstanden ist. Und der Anteil an osteuropäischen Juden in Israel ist so groß nicht – mehr."
Die Schüler, mit denen Jürgen Ohmer derzeit übt, waren noch nie in Israel. Zuletzt wurden die Reisen mehrfach abgesagt:
"Das lag ja an der politischen Lage, dort, weil das ja nicht sicher genug gewesen wäre und das könnte man ja nicht verantworten, uns dahin zu schicken."
Keine Antwort aus Israel
Aber es sind nicht nur die politischen Unruhen in Israel, die der Städtepartnerschaft zu schaffen machen. Seit fast sieben Jahren, seit der umtriebige Menachem Ariav nicht mehr Bürgermeister von Nazareth-Illit ist, sind die Kontakte fast vollständig abgerissen, klagt Jürgen Ohrem:
"Der neugewählte Bürgermeister, Herr Gafsou, hat öffentlich in der Zeitung erklärt, dass er mit Partnerschaften nichts zu tun haben will. Ich habe ihn, glaube ich, als einziger Leverkusener persönlich kennen gelernt, weil wir ihn mit der Klezmergruppe 2010 überrascht haben im Ratssaal, kurz vor ihm spielen durften. Er war begeistert, trotzdem beantwortete er all unsere Briefe nicht."
Der Schüleraustausch, die Begegnungen der Sportvereine, die offiziellen Reisen, alles ist in wenigen Jahren komplett eingeschlafen. In Leverkusen rätseln sie, was da passiert ist. Geht es ums Geld, das die Ausflüge kosten? Oder um die politische Richtung? Jedenfalls fehlt den Leverkusenern jeder offizielle Ansprechpartner. Ihre Anfragen, ihre Briefe, ihre Bitten um Erklärungen – alles geht ins Leere.
Und auch die privaten Kontakte trocknen aus. Viele der israelischen Freunde seien in die Jahre gekommen, berichtet Sunhild Hungerberg vom deutsch-israelischen Freundeskreis in Leverkusen. Sie können nicht mehr so reisen wie früher, manche sind umgezogen, einige inzwischen gestorben. Und in Leverkusen sieht es nicht viel besser aus.
"Auch wir überaltern. Wir haben das Problem, dass wir keinen Nachwuchs mehr finden. Das liegt natürlich daran, dass wir keine Begegnungen mehr anbieten können."
Die Hoffnungen in Leverkusen liegen heute fast ausschließlich auf Jürgen Ohmer und seinen Klezmergruppen. Er ist der einzige, der noch regelmäßig mit Jugendlichen Nazareth-Illit besucht. Und so hoffen viele in Leverkusen, das die Partnerschaft doch noch einmal auflebt. Der sperrige Bürgermeister sei inzwischen wegen einer Korruptionssache abgesetzt, heißt es, aber so genau weiß auch in Leverkusen offenbar niemand Bescheid. So dürftig sind mittlerweile die Kontakte. Selbst in der Stadtverwaltung ist man etwas ratlos, man warte auf Signale aus Nazareth-Illit, wie es nun weiter gehen soll, heißt es.
Bis dahin bleibt nur die Hoffnung, dass Jürgen Ohrem und seine Schulmusiker die Verbindung wenigstens ein bisschen am Leben halten.
Dabei tritt die Klezmergruppe aus Leverkusen zwar inzwischen in ganz Israel auf, nur in Nazareth-Illit nicht mehr. Kein Ansprechpartner, keine Einladung, kein Konzert, sagt Jürgen Ohrem:
"Gottseidank hat sich durch die Musik aber nicht nur in Nazareth-Illit Kontakt ergeben, sondern darüber hinaus in anderen Städten, in Kvar Sava, wo viele, viele Freunde von mir sitzen, auch Musikerfreunde, in Tel Aviv, und dort haben wir gute Kontakte, Drähte, um Konzerte, Aufführungen zu machen."
Besuch in Nazareth-Illit
Für David Gorodetzky ist es das zweite Zuhause, der Flugplatz von Megiddo im Norden Israels. Er fliegt mit einer der kleinen Maschinen, so oft er es sich leisten kann. Eine Cessna rollt gerade zum Start. Gorodetzky aber sitzt im Schatten des Vereinsheims, blättert in einem Fotoalbum und erzählt von seinem großen Abenteuer:
"2001 sind wir nach Leverkusen geflogen, haben dort eine Propellermaschine gechartert, um gemeinsam mit den Deutschen nach Skandinavien zu fliegen. Für uns war das die beste Reise überhaupt. Ich bin immer noch dankbar dafür, das war unglaublich schön."
Angefangen hatte alles mit dieser Städtepartnerschaft zwischen Leverkusen und der Stadt Nazareth-Illit. Die Bürgermeister hatten sie vereinbart, Ende der 70er-Jahre, und ihre Hobbyflieger miteinander ins Gespräch gebracht. Aber inzwischen ist diese deutsch-israelische Städtepartnerschaft nur noch eine leere Hülle. Der Austausch, der einmal sehr lebendig war, ist eingeschlafen. Warum nur?
Der Hobby-Flieger David Gorodetzky erzählt, es sei selbst ganz am Anfang nicht schwierig gewesen, als Anfang der 90er-Jahre zum ersten Mal deutsche Piloten aus Leverkusen mit Sondergenehmigung bis nach Israel flogen. Erstes Händeschütteln auf dem Rollfeld.
Piloten würden doch überall auf der Welt die gleiche Sprache sprechen, sagt David Gorodetzky. Und schnell seien echte Freundschaften entstanden.
Die haben über Jahre gehalten, aber es ist nichts nachgewachsen. Es gibt keinen Schüleraustausch mehr, keine gegenseitigen Besuche von Musikgruppen oder Sportvereinen. Dabei hatte Nazareth-Illits langjähriger Bürgermeister Menachem Ariav hochfliegende Pläne: Die jüdische Schlafstadt oberhalb des arabisch-christlichen Nazareth leistete sich eine Abteilung für internationale Beziehungen. An deren Spitze war Shlomo Lemberg vor allem mit dem Schüleraustausch beschäftigt und hatte das Ziel...
"Hatte gehofft, dass die Kinder in Leverkusen eine andere Idee davon bekommen sollen davon, was sie wissen oder nicht wissen. Über den Holocaust auf der einen Seite und auf der anderen Seite über das heutige Nazareth-Illit. Und unsere Kinder sollten wissen, wie Leverkusen aussieht, wie ein Gymnasium in Leverkusen aussieht, was die Kinder dort lernen. Das Interesse war, dass dieser persönliche Kontakt, den es nicht gab bis dahin, dass der aufrecht erhalten wird."
Das Bild von Israel sei oft falsch, sagt Lemberg, mit einem Besuch im Land sei das zu korrigieren. Seine jüdische Familie war aus Breslau vor den Nationalsozialisten geflohen, seit den 60er-Jahren lebt Shlomo Lemberg in Israel.
Trotz seiner eigenen Familien-Geschichte erschien ihm ein Austausch mit einer deutschen Stadt selbstverständlich. Die Briefe zwischen den Rathäusern von Nazareth-Illit und Leverkusen gingen auf Deutsch hin und her, Shlomo Lemberg hält sich das bis heute zugute.
Aber dann kam der Bruch, vor rund sechs Jahren. Bürgermeister Ariav ging in den Ruhestand, sein Nachfolger Shimon Gapso stellte die Städtepartnerschaften kurzerhand ein. Lemberg, inzwischen pensioniert, ist längst nicht der einzige, der das so schildert – und bedauert:
"An Ort und Stelle hat er gesagt: ´Diese Abteilung ist aus.` Und da sagte ich ihm noch, okay, wenn du keine Beziehungen mehr haben willst, dann werden wir den Leuten eine Nachricht schicken, dass, aus irgendeinem Grund, die Beziehungen nicht weitergehen können, sollen. Er sagte nur: ´Nein, nicht nötig!` und so blieb es eben. Alle hingen in der Luft."
Denn Nazareth-Illit hatte sich innerhalb kurzer Zeit grundlegend verändert. Die Retorten-Stadt wuchs um noch mehr eintönige Wohnsiedlungen, um die jüdischen Neueinwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion aufzunehmen. Die Zahl der Einwohner hat sich mehr als verdoppelt. Und die Russen, wie Shlomo Lemberg sagt, seien an Städtepartnerschaften nicht besonders interessiert.
Bürgermeister ist seit Monaten suspendiert
Spurensuche im Rathaus von Nazareth-Illit. Shimon Gapso, der Bürgermeister ist seit Monaten suspendiert. Das Bezirksgericht von Haifa hat ihn gerade in einem Fall von Korruption und Erpressung schuldig gesprochen, ein weiteres Verfahren läuft noch. Der Bürgermeister vor Gericht, dieses Problem haben gerade eine ganze Reihe israelischer Städte. Ob und wann Gapso in Nazareth-Illit ins Bürgermeister-Amt zurückkehrt, dazu kann sein Stellvertreter Alex Gofman nicht viel sagen. Wohl aber zur Städtepartnerschaft, die er ausgiebig lobt und am offenen Fenster seines Büros noch eine Zigarette anzündet. Leverkusen fand er toll.
"Ich war vor allem von der Sauberkeit überrascht. Nach unserer Reise haben wir als Erstes auch Kehrmaschinen und weiteres Gerät zur Straßenreinigung angeschafft. Beeindruckend war auch, wie gehorsam die Schüler waren, wobei: Eigentlich nur am Morgen, am Abend nicht mehr so. Am Abend habt ihr keine Disziplin. Aber von der Sauberkeit und der Ordnung war ich positiv überrascht. Und es ist ja keine Schande, sich etwas abzuschauen; ganz im Gegenteil."
Sauberkeit und Disziplin, diese Stereotypen kleben an den Deutschen wohl überall, auch in Israel. Der Vizebürgermeister von Nazareth-Illit lobt den Austausch, Israel wolle sich schließlich der Welt öffnen, auch der so ganz anderen Lebenswelt in Deutschland. Die könne man nicht verstehen, sagt Alex Gofmann, wenn man zuhause auf dem Sofa sitzen bliebe. Die Städtepartnerschaft mit Leverkusen solle unbedingt wieder aufgenommen werden.
"Wir hatten in Israel eine wirtschaftlich schwere Zeit. Inzwischen hat sich Israel davon wieder erholt. Und wir haben einiges durchgemacht: Da war ja der Gaza-Krieg und Israel musste um sein Existenzrecht kämpfen. Das hat viel Geld gekostet, so dass ein Austausch aus wirtschaftlicher Sicht nicht stattfinden konnte. Sobald uns jetzt aber ein Vorschlag unseres Städtepartners vorliegt, werden wir in Form eines Schüler- oder Jugendaustauschs antworten."
Politik steht im Weg
Als wieder Krieg in Gaza war und Israel-Reisen reihenweise storniert wurden, war die deutsch-israelische Verbindung von Nazareth-Illit nach Leverkusen schon längst eingeschlafen.
Außerhalb vom Rathaus jedenfalls hört man immer wieder die Klage: "Die Politik steht uns im Weg." Das sagt auch Ghazi Nujeidat, Beamter des israelischen Sportministeriums in Nazareth. Er gehört zur palästinensischen Minderheit in Israel. In seinem Büro hängen das Staatswappen mit der jüdischen Menorah an der Wand und unzählige Urkunden, Wimpel und Medaillen.
Nujeidat kümmert sich darum, dass Marathonläufer aus dem Ausland nach Israel kommen, oder dass israelische Nachwuchs-Fußballer zu internationalen Jugendturnieren fahren können. Dass es eine Städtepartnerschaft gibt, hat er nur durch Zufall erfahren: Als er vor Jahren mit Sportlern in Leverkusen war. Seitdem ist Ghazi Nujeidat mit neuen Vorschlägen immer wieder gescheitert.
"Man kann das Pferd zur Tränke führen, aber nicht zum Saufen zwingen. Ich habe immer wieder Projekte angeboten, aber keine Zusagen bekommen. An den Bewohnern hier liegt es nicht, es hapert an der Politik."
Die brachliegende Verbindung nach Leverkusen hat Ghazi Nujeidat genutzt, um auf eigene Faust interessierte Schüler nach Deutschland zu bringen, sowohl aus jüdischen als auch aus arabischen Familien. So hatte Nujeidat beim Austausch-Besuch in Leverkusen seine ganz eigene Perspektive:
"Mich hat die Geduld in Deutschland sehr beeindruckt. Die Geduld im Umgang der verschiedenen Kulturen. Dieses Miteinander führt einem ja vor Augen, welche Möglichkeiten es gibt. Und das ist für uns entscheidend, wenn man über Jugend, Bildung und den Aspekt des Multikulturellen spricht."
Es gab mehrere Gegenbesuche. Die Leverkusener kamen allerdings nicht ausschließlich nach Nazareth-Illit, sondern in die gesamte Region Galiläa, bis 2011. Nujeidat hat auch noch das fertige Programm für den November 2012 auf dem Tisch. Aber daraus wurde nichts mehr. Der Ausbruch militärischer Gewalt in Gaza hat damals zur Absage geführt. Seitdem kam keine Schüler-Reise mehr zustande.
Privat immerhin sind Kontakte geblieben. Mit der Sportlehrerein etwa, in deren Familie Ghazi Nujeidat in Leverkusen untergebracht war. Und sein Sohn will demnächst in Deutschland studieren.
Sport ist das Tor zur Welt
Der arabische Ort Ka'abiyye außerhalb von Nazareth hat vor ein paar Jahren ein neues, modernes Schulgebäude bekommen. Auf einen richtigen Sportplatz warten Schüler und Lehrer noch. Es gibt nur ein kleines asphaltiertes Fußballfeld. Auf dem kicken ein paar Schüler in ihrer Mittagspause. Auch hier ist der Sport das Tor zur Welt.
Sportlehrer Mash'hur hat ein Trikot der deutschen Fußball-Nationalmannschaft übergezogen. Nach Deutschland fährt er inzwischen einmal im Jahr zu Jugendfußball-Turnieren. Wobei die kulturellen Unterschiede durchaus zum Tragen kommen:
"Also unsere Kinder hatten in Deutschland ein Problem mit dem Essen: In ihren Gastfamilien wurden die Schüler gefragt: ´Möchtest du etwas essen?` Aber sie wollten höflich sein und haben nicht einfach ja gesagt, und zwei von ihnen haben tatsächlich nichts bekommen. Bei uns wird man nicht gefragt; bei uns wird das Essen auf den Tisch gestellt und es heißt: ´Iss!` Also das war am ersten Tag ein kleines Problem, bis die Kinder verstanden haben: Wenn sie gefragt werden, können und müssen sie das auch annehmen."
Ansonsten hat der Sportlehrer Mash'hur Nujeidat den Eindruck gewonnen, dass das Leben in Leverkusen ruhiger, gelassener ist, es gebe weniger Druck und Stress als zuhause im Norden Israels.
"Ich hoffe, die Deutschen haben auch etwas gelernt: Etwas von unserem Zusammenleben in der Familie, die jeden mit Wärme und Zuneigung einschließt. Ich glaube, in Deutschland haben die Menschen einen kalten Charakter. Sie sind nicht so gastfreundlich wie wir."
Er sagt das ohne jede Bitterkeit, im Gegenteil: Der Sportlehrer plant schon längst die nächste Reise nach Deutschland zu einem Jugend-Fußballturnier. Ob die Städtepartnerschaft Leverkusen-Nazareth-Illit wiederbelebt wird? Es sieht in der Region im Norden Israels momentan nicht danach aus, auch wenn es bei einigen großes Interesse daran gäbe.
Aber es ist schon jetzt mehr geblieben als nur die Erinnerungen und Fotos des Hobbyfliegers David Gorodetzky; alleine, dass einmal Verbindungen geknüpft wurden, hat zum Beispiel dem Sportlehrer Mash'hur bei seiner Suche nach Austausch-Partnern schon geholfen.