Stadtschreiber Peter Wawerzinek

"Pegida hat sehr viele Sympathisanten"

Der Autor Peter Wawerzinek im März 2014.
Peter Wawerzinek: Unheimliche Begegnungen im Biergarten © picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Peter Wawerzinek im Gespräch mit Dieter Kassel · 24.10.2016
Seit Juni 2016 ist der Schriftsteller Peter Wawerzinek Stadtschreiber in Dresden. Er warnt davor, Pegida nach rückläufigen Teilnehmerzahlen zu unterschätzen - und erzählt von einem unangenehmen Vorfall im Biergarten.
Dieter Kassel: Es wird jetzt ein bisschen einfacher, sprachlich, obwohl – wir reden ja über Dresden, und ich komme nicht aus Sachsen. Peter Wawerzinek ist da seit Juni Stadtschreiber, und seitdem kommt er ungefähr einmal im Monat zu uns, und jetzt ist es wieder so weit. Schönen guten Morgen, Herr Wawerzinek!
Peter Wawerzinek: Schönen guten Morgen!
Kassel: Eigentlich hatte ich vor, zum ersten Mal, seit wir uns hier im Studio begegnen, nicht nur wir beide, seit Sie überhaupt kommen, überhaupt nicht nach Pegida und Ähnlichem zu fragen. Ich glaube, gerade heute wird das aber überhaupt nicht funktionieren, denn aus gut informierten Kreisen weiß ich, dass Sie einem Mann begegnet sind, rein zufällig – na ja, man kann nicht sagen, er ist Pegida – es ist ja kein Club, bei dem man Mitgliedsausweise bekommt, aber jemand, wo Sie doch den Verdacht hatten, das ist jetzt mal so einer.
Wawerzinek: Ja, und alles begann so schön harmlos, harmonisch. Wir wurden gefragt, ob da noch Platz wäre in dem Biergarten, es war der letzte schöne Tag, und wir sagten, na ja, nach dem Dialekt, der gesprochen wurde – für Dresdener natürlich die Stirnseite mit einem Blick und diesem berühmten Blick auf das Stadtzentrum – und dann gab es so ein ganz klein bisschen Höflichkeiten, und wir hatten gerade ganz erfolgreich in Dresden gedreht, der Falk und ich, und wir hatten dann auch noch Doreen, eine, die vor dreieinhalb Jahren hingezogen ist, Lyrikerin, mit eingeladen, auch so mit uns zu sprechen.

Die Stimmung ging Richtung Lügenpresse

Und dann kam der Falk – also es war schon eine gewisse Stimmung da, weil die Kamera da auf dem Tisch stand, das ging schon in Richtung Lügenpresse, da waren schon komische Blicke da. Und dann sagte der Falk auch noch: Und übrigens, hier am Tisch sitzt der berühmte derzeitige Stadtschreiber von Dresden, und es kam wie aus der Pistole geschossen: Ach der, der so linkes Zeug schreibt.
Dann habe ich versucht, das noch so ein bisschen abzubiegen, linkisch oder verlinkt, was er denn da überhaupt meint – oder wirklich links, wo das Herz schlägt. Und dann fiel seine Frau ein und sagte: Na, Sie haben doch da in der "Süddeutschen Zeitung" so einen linken Artikel geschrieben. Und dann habe ich gesagt, ach, Kinder, ihr bringt alles durcheinander, "SZ" ist auch "Sächsische Zeitung", es war die "Sächsische Zeitung".
Und dann waren es fast zwei Stunden – also Doreen ist noch abgehauen, also lachend weggelaufen, einfach weggelaufen, weil sie es nicht mehr ausgehalten hat. Die hatte vorher Attacken von Kopfschütteln und Nicht-Verstehen und Nach-innen-Kichern, also dieses bösartige Kichern nach innen, gehabt. Und wir beide haben uns dann standhaft, der Falk und ich, noch mit allen möglichen Argumenten von Angst vorm Kopftuch – hab ich gesagt, Mensch, unsere Oma-Generation trug auch Kopftuch – Angst vor Sehschlitzen, Angst vor Islam, Angst vor dem Frauenbild, was dort angeblich ist, und so weiter, und so fort. Und das war frustrierend.

Eine gewisse Bedrohung

Ich würde sagen, depressiv bin ich nicht geworden, aber so ein bisschen gemütskrank danach, also ich kriegte dann irgendwie so als wie nach Liebeskummer oder in Zuständen von Liebeskummer so ein Seelending, dass ich da nahe irgendwie am Wasser gebaut war und gedacht habe, woher kommt denn das. Weil es war eine gewisse Bedrohung da, das ist ja nicht direkt das Pärchen, dass jetzt, sagen wir, mit wandert und mit spazieren geht, aber so gut –
Kassel: Entschuldigung, haben Sie das gefragt, tauchte die Frage mal auf, geht ihr montags zur Demo?
Wawerzinek: Es wurde abgelehnt – nein, nein, wir gehen da nicht, wir sind nur hier. Und dann stellen sie sich die ganze Biografie zusammen – also der Mann war Schauspieler in der DDR-Zeit, '86 ist er von der DDR irgendwie geschasst worden, hat dann im Westen die Karriere nicht fortsetzen können und hat das der ganzen DDR angelastet, und kriegte dann die Schiene so, dass er sagte, es wäre jetzt wieder genau dieselbe Zeit wie zum Ende der DDR, als er ausgereist ist.
Und die ganze Diskussion ging dann nur darum, dass er seine ganze Bitterkeit irgendwie auch noch mit ausdrückte. Aber das andere war, dass ich so das schleichende Gefühl hatte, das sind sie – das sind die klugen Köpfe, die im Hintergrund sitzen.

Pegida hat viele Sympathisanten

Man denkt ja immer, Pegida, das sind nur diese 2500 oder jetzt zum Jahrestag mal 4000. Aber das sind sehr viele Sympathisanten, und ich dachte erst, ja, jetzt haben sie es geschafft, 20.000 waren sie früher und mehr, jetzt haben sich aber viele Dresdner abgewendet.
Das scheint gar nicht so zu sein, sondern dass jetzt, sagen wir mal, der harte Kern immer noch auftritt, aber sehr viele Sympathisanten da sind, die – also dieser Mann kam mir vor, als könnte der auch Reden schreiben für die Macher da.
Kassel: Eine interessante, wenn auch nicht unbedingt erfreuliche Begegnung, Herr Wawerzinek, an dieser Stelle bei solchen Gesprächen kommt ja immer die Stelle, wo man sagt, aber Dresden ist ja nicht nur Pegida. Das kann ich jetzt aber aus vollem Herzen sagen, um dann zu sagen, denn Dresden ist ja auch Wein.
Das hat mich ein bisschen überrascht. Ich kenne Wein aus Meißen, was ja nicht weit weg ist. Aber Sie haben tatsächlich Wein in Dresden getrunken, und zwar im Stadtteil Wachwitz – ich muss das einmal unterbringen dürfen – den man auch von Weitem erkennen kann, denn da steht der Dresdner Fernsehturm. Das hat damit aber eigentlich gar nichts zu tun. Da gibt es offenbar auch Weinberge.
Wawerzinek: Gibt es mehrere, und der Weinanbauer heißt Ronny Beier. Würde man auch nicht gleich denken, dass das ein Weinanbauer ist. Ich hatte in Berlin mal eine Begegnung an der Kunsthochschule, da war die Christa Aktmodell, und ich habe sie gezeichnet, wie andere Studenten auch. Und sie hat mich angerufen und sagte, pass mal auf, ich bin jetzt zurzeit im Weinberg, willst du nicht auch mal? Und das war natürlich toll, weil ich war noch nie in einem Weinberg und bin dann hin und habe alles erklärt bekommen.

Ronny Beier klingt nicht nach Wein

Es war gerade Müller-Thurgau – also auch die Reihenfolge, welcher Wein zuerst, und dass man das bis jetzt – also bis vorgestern haben sie es geschafft, also runter bis zum Riesling, Schwarzbeer-Riesling oder irgend so was – und hatte dann die ersten Trauben – das ist so, wie als würde man Trauben, kleine Tauben, Babys, Mäusebaby in der Hand hat und muss da so dran operieren, ja? Also es gibt dann diesen Edelschimmel, der geht so streiflich an dieser Beere lang.
Dann gibt es diesen staubigen Schimmel, den wir auch alle kennen. Dann gibt es Beeren, die sehen schon wie vertrocknete Rosinen aus, die muss man weg machen. Andere, die sehen sehr faulig aus, die sind super für den Geschmack. Und dann gibt es welche, die haben so kleine Löcher, und man kann da dann ein bisschen so ranpieksen und riecht die – schon nach Essig.
Und ich war da zusammen mit der Mutter des Weinbauers, über 80 Jahre, die da auch immer den Hang hoch- und runterstiefelte, mitmachte. Ohne Mutter keine Weinernte. Und das war sehr schön, also, viele Trauben mit so einer speziellen Schere, und dann saßen wir dann nach sieben, acht Stunden Weinberg abends zusammen und haben dann verschiedene Weine vorgestellt bekommen.

Ich kann immer nur drei Gläser trinken

Ich kann ja nur drei Gläser immer trinken aufgrund meiner komischen Alkoholtherapie, aber das hat sehr viel Spaß gemacht, und das ist alles Handarbeit, und am Ende haben wir gesagt, mein Gott, 1700 Flaschen für zehn, das kann ja jeder ausrechnen. Ein ganzes Jahr Arbeit für knapp 17.000 – das geht nur als Hobby. Also der hat auch noch seinen anderen, richtigen Beruf, ist Landwirt.
Kassel: Das muss man wollen, also das macht man nicht aus Profitgier, also das muss man wirklich wollen.
Wawerzinek: Und da ist wirklich die schöne Gemeinschaft gewesen. Das sind alles Leute aus der Umgebung gewesen – Bildhauer, sonst was, Lehrer – die da zusammen ihm behelfen. Anders könnte der das gar nicht schaffen.
Kassel: Da bekommt man Lust auf ein Glas Wein. Das darf nicht sein um 8:44 Uhr. Sie bringen uns auf den falschen Pfad, Herr Warwerzinek, aber wir haben es jetzt geschafft. Ich fasse es mal grob zusammen: Über Biergärten, Aktmalerei, Fernsehtürme, Wein und auch Pegida zu reden, das ist relativ viel. Aber nächstes Mal finden wir noch neue Themen. Ich danke Ihnen für heute!
Wawerzinek: Ich danke auch!
Kassel: Tschüs, Peter Wawerzinek. Der Stadtschreiber von Bremen – um Gottes Willen, ich muss bald weg, aber eine Viertelstunde haben wir noch. Der Stadtschreiber von Dresden ist ungefähr jeden Monat bei uns zu Gast. Nächsten Monat gibt es ihn dann wieder.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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