SPD-Außenpolitiker rechnet mit weiteren antiamerikanischen Protesten

Neue Gewaltwelle: Demonstranten stürmen die US-Botschaft in Kairo.
Neue Gewaltwelle: Demonstranten stürmen die US-Botschaft in Kairo. © picture alliance / dpa / Khaled Elfiqi
Rolf Mützenich im Gespräch mit Nana Brink · 13.09.2012
Nach den Gewaltaktionen gegen US-Botschaften im Nahen Osten hofft der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich auf Besonnenheit der jeweiligen Regierungen. Dennoch werde es wahrscheinlich nach den Freitagsgebeten zu weiteren Ausschreitungen kommen.
Nana Brink: Es war klar, dass die libysche Übergangsregierung große Schwierigkeiten haben würde, die Ordnung im Land herzustellen. Aber damit hatte niemand gerechnet: dass der amerikanische Botschafter in seinem Auto beschossen wird, dass er und drei weitere Botschaftsangehörige sterben. Dem Angriff im libyschen Bengasi zuvorgegangen waren Proteste in Kairo, in Ägypten, wo sich Tausende vor der US-Botschaft versammelten und die US-Flagge verbrannten. Auslöser soll, ähnlich wie damals bei den Mohammed-Karikaturen, ein obskurer Amateurfilm sein, der auf Youtube erschienen ist und den muslimischen Glauben verunglimpft.
Und "Innocence of Muslims", "Unschuld der Muslime" heißt dieser Film, der diese Krawalle und auch den Tod eines amerikanischen Botschafters in Libyen ausgelöst haben soll. Und am Telefon begrüße ich jetzt Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Schönen guten Morgen, Herr Mützenich!

Rolf Mützenich: Guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Wie erklären Sie sich diesen Ausbruch von Gewalt, erst in Kairo und dann endete er mit dem Tod des Botschafters in Bengasi in Libyen?

Mützenich: Nun, wir hatten ja immer wieder Erfahrungen gemacht, dass gerade in diesen Ländern, wo ja auch Gewalt und auch die Demonstrationen geherrscht haben, natürlich auch gegenüber Minderheiten, aber auch religiös aufgestachelt Auseinandersetzungen waren. Erinnern Sie sich an die Auseinandersetzung zwischen Kopten und Muslimen in Kairo, aber auch in anderen Städten Ägyptens. Das haben wir immer wieder vorgefunden. Offensichtlich ist es so, dass dieses Machwerk, was ja scheinbar seit Anfang September in diesem kurzen Ausschnitt eben auch arabisch, mit arabischen Untertiteln unterlegt ist, jetzt in der arabischen Welt sozusagen angekommen ist, und wir müssen uns darauf vorbereiten, dass wahrscheinlich auch gerade am Freitag, nach den Freitagsgebeten es zu weiteren Ausschreitungen kommen wird.

Brink: Präsident Mursi hat ja schon dazu aufgerufen. Das heißt, er hat es persönlich nicht getan, aber sein Sprecher sagte, die USA müssen sich von dem Film distanzieren und die Demonstrationen gegen das Machwerk müssten friedlich bleiben, aber trotzdem weiter gehen.

Mützenich: Ja, das ist genau die Messlatte, die wir auch in Zukunft anzulegen haben an Regierungen, an Präsidenten, die politische Verantwortung tragen und die natürlich auch Verantwortung dafür tragen, dass keine Gewalt eingesetzt wird, egal gegenüber wem. Und da hoffe ich doch, dass zu Besonnenheit letztlich auch aufgerufen wird. Aber das müssen wir dann von Europa, wie gesagt, auch als Messlatte an diese Regierungen letztlich anlegen.

Brink: Besonnenheit, das wäre wahrscheinlich angebracht, ist vielleicht ein bisschen schwer, das zu glauben, weil, wenn man sich die Situation anguckt: Nach all dem, was wir wissen, ist der Botschafter ja in Bengasi regelrecht erschossen worden. Er war auf der Flucht, nachdem das Konsulat angegriffen worden ist, und zwar mit schweren Waffen. Das ist doch kein Zufall?

Mützenich: In der Tat, es gibt immer mehr und mehr Informationen, die darauf hindeuten, dass es möglicherweise sogar ein organisiertes Vorgehen gegeben hat. Dafür liegen mir jetzt keine unmittelbaren Informationen vor, das ist nicht ausgeschlossen, auf der anderen Seite muss man auch immer wieder daran erinnern, dass diese Gewaltausschreitungen möglicherweise auch von unterschiedlichen Gruppen benutzt werden. Und wir werden in den nächsten Tagen sehen, ob wir hier neue Erkenntnisse bekommen werden.

Brink: Radikalisieren sich da einzelne muslimische Gruppen nach dem Arabischen Frühling? Was meinen Sie?

Mützenich: Das ist offensichtlich so und ich glaube, wir werden auch in Zukunft damit umgehen müssen. Und wir müssen uns auch darauf vorbereiten, dass es in diesen Gesellschaften auch immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen gibt, die manchmal religiös auch untermalt werden. Auf der anderen Seite dürfen wir nicht verkennen: Es sind insbesondere auch immer wieder soziale Proteste und ich möchte auch daran erinnern, es ist leider kein Alleinstellungsmerkmal islamischer Gesellschaften, wo zu Gewalt gegenüber Minderheiten oder gegenüber anderen Gruppen aufgerufen wird. Wir haben das in Indien gesehen, wir haben das in Afrika gesehen, wo religiös verbrämt aufgrund von sozialen Konflikten solche Ausschreitungen gegeben hat.

Brink: Aber ich habe immer noch nicht ganz verstanden, warum es sich an diesem Film entzündete, der ja auch ein amerikanischer – wahrscheinlich ist dieser Zusatz wichtig – Film ist?

Mützenich: Es mag ein, eben weil es auch ein amerikanischer Film letztlich ist, es wird eben in ägyptischen Zeitungen vor einigen Tagen verbreitet, wer sozusagen auch hinter diesem Werk steht. Aber wir müssen natürlich auch anerkennen, dass dieser Film und diese Ausschnitte, die es auf YouTube zu sehen gab, eben auch ganz bewusst gemacht worden ist als Machwerk, um sozusagen auch die Empfindlichkeiten – und zu Recht die Empfindlichkeiten – aufzustacheln. Und ich glaube, hier bedienen sich einzelne Elemente in unterschiedlichen Ländern eben dieser Tendenz, dass in Übergangsgesellschaften wie gerade in der arabischen Welt es auch zu solchen Ausschreitungen kommt. Also, es gibt auch Provokateure auf beiden Seiten.

Brink: Aber dann … Wieso schwappte dann die Gewalt von Kairo nach Bengasi und hat ja noch mal eigentlich an Gewalt zugenommen, also mit dem Tod des Botschafters? Das ist ja nicht nur ein Protest gewesen.

Mützenich: Nein, das ist nicht nur ein Protest gewesen, das ist mit Sicherheit auch genutzt worden. Aber wir müssen eben sehen, dass offensichtlich seit eben Anfang September über diesen Film in arabischen Medien auch stärker berichtet wurde. Bisher war er auf YouTube eben letztlich nur englisch einzusehen gewesen und dann offensichtlich entweder mit arabischen Untertiteln oder sogar eben übertragen ins Arabische. Und das hat natürlich mit dazu geführt, weil diese Gesellschaften auch die Möglichkeit haben, darauf zu achten, dass dieser Film zu diesen Ausschreitungen mit geführt hat. Auf der anderen Seite wissen wir, dass es eben auch Gruppen in der arabischen Welt gibt, die die USA für viele Dinge verantwortlich machen, die eben die Menschen letztlich treffen.

Brink: Es ist vielleicht besonders bizarr an dieser Situation, wenn man sich vor Augen hält, dass ja Präsident Obama gerade eine seiner entscheidenden Reden 2009 in Kairo gehalten hat, wo er ja beide Hände in Richtung der muslimischen Welt ausgestreckt hat. Nun werden aber Stimmen in den USA auch laut, die sagen, das handelt hier sich um einen terroristischen Anschlag! Was wissen Sie darüber?

Mützenich: Ich glaube, dass es eine wichtige Rede damals gewesen ist, die hohe Erwartungen geweckt hat, die Präsident Obama leider auch nicht erfüllen konnte. Dennoch muss man jetzt anerkennen, dass auch die amerikanische Regierung sehr besonnen darauf reagiert hat. Unser Problem wird natürlich auch in den nächsten Tagen sein, dass der Wahlkampf in den USA von diesem Vorfall auch überschattet werden wird, und ich glaube, dass der Präsidentschaftskandidat der Republikaner wahrscheinlich – und da hat ja Obama auch in Interviews jetzt darauf hingewiesen – sehr leicht das auch zu innenpolitischen Zwecken missbrauchen wird.

Brink: Er hat das bereits schon getan! Er hat schon gesagt, Obama hätte nicht adäquat reagiert, sondern eher diejenigen verteidigt, die den Angriff ausgeführt hätten.

Mützenich: Nun, da hat er aber sozusagen auf eine Situation reagiert, wo die amerikanische Botschaft in Kairo eine erste Erklärung abgegeben hat, die offensichtlich auch mit der amerikanischen Regierung nicht abgestimmt war. Aber ich finde die Reaktion der amerikanischen Regierung dennoch besonnen, dass sie auf der einen Seite sagt, dass hier ein Vorgang ist, wo gerade in Libyen auch der Schutz ausländischer Botschaften gewährleistet werden muss, aber auch ausländischer Besucher; und auf der anderen Seite, glaube ich, ist es richtig, dass versucht werden muss, in Zukunft darauf zu reagieren, dass diese Gewalteskalation, die ja auch teilweise provoziert worden ist, nicht zunimmt.

Brink: Wird der Vorfall denn den Wahlkampf in den USA beeinflussen?

Mützenich: Das kann sein. Außenpolitik spielt keine große Rolle, aber wenn sich hier und, wie zu befürchten ist, in den nächsten Tagen es zu einer weiteren Radikalisierung kommt, wird das immer wieder Thema sein. Leider wird er dann möglicherweise missbraucht werden.

Brink: Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Mützenich, schönen Dank …

Mützenich: Vielen Dank, Frau Brink!

Brink: … für das Gespräch bei uns hier in der "Ortszeit".


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Rolf Mützenich, SPD-Außenpolitiker
Mützenich: "Dass ist genau die Messlatte, (...) dass keine Gewalt eingesetzt wird, egal gegenüber wem."© Rolf Mützenich MdB
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