Spanien

Betreuung gegen den Hunger

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In fünf spanischen Provinzen bleiben dieses Jahr die Schulen geöffnet. © picture alliance / dpa / Emilio Naranjo
Von Julia Macher  · 26.08.2014
August - das war in Spanien der Monat, in dem alles zum Erliegen kam. Dieses Jahr hat sich das geändert. In fünf Provinzen bleiben die Schulen geöffnet. Dabei geht es nicht nur um ein Betreuungsangebot, sondern um das tägliche Mittagessen.
Ein Augustmorgen in Barcelona. Die Hitze vom Vortag hängt noch drückend in den Altstadtgassen. Vor einem Metalltor warten ein paar Eltern, an der Hand ihre Kinder: Die Haare noch verstrubbelt, sie gähnen. Gleich geht es in die Schule. Aber nicht in den Unterricht.
Alfredo: "Jugar, el manguerazo."
Wir spielen, manchmal gehen wir ins Schwimmbad oder Tutoren spritzen uns mit dem Wasserschlauch nass, erzählt Alfredo, ein drahtiger zehnjähriger Junge mit strubbeligem schwarzen Haar. Und wir machen Ausflüge, ergänzt Isaias, der kleine Bruder. Pilar, die Mutter der beiden, eine hagere Frau mit hochtoupierten schwarzen Haaren und dunklen Augenringen im bleichen Gesicht - lächelt müde. Als ihre Jungs die Zusagen für eine der städtischen Ferienfreizeiten für sozial benachteiligte Kinder bekamen, ist der alleinerziehenden Mutter ein Stein vom Herzen gefallen.
Mutter Pili: "Früher, als mein Ex-Mann noch gearbeitet hat, sind wir im Sommer ab und zu weggefahren, zur Familie - nach Valencia oder nach Ciudad Real, Puertollano, eine Woche hier, eine Woche dort. Doch jetzt reicht das Geld gerade mal für Lebensmittel, Strom und Wasser."
Während der langen, spanischen Schulferien sind die 426 Euro Sozialhilfe im Monat meist schon nach zwei Wochen aufgebraucht: Fast drei Monate Sommerferien, das sind fast drei Monate ohne Schulkantine. Zum Glück können meine Söhne hier Mittag essen, sagt die arbeitslose Verkäuferin und schaukelt den Kinderwagen mit ihrem Dritten:
"Ja, das kommt mir wirklich sehr gelegen. Ich gebe ihnen nur das Frühstück, das Zweitfrühstück und Mittagessen bekommen sie hier und wenn sie zwei Mal die Woche ins Schwimmbad gehen, dann bekommen sie da auch noch neben Frühstück und Mittagessen eine Nachmittagssnack, das passt mir prima."
Rund 70 Kinder, zwischen vier und zwölf Jahren
Dann gibt es einen Wangenkuss für Isaias und Alfredo - und die beiden verschwinden hinterm Schultor. Auf dem Asphaltboden im Hof sitzen in einem großen Kreis rund 70 Kinder, zwischen vier und zwölf Jahren. Die sechs Betreuer von der christlichen Stiftung Pere Tarrés, fast alle Mitte 20, versuchen etwas Ruhe in den plappernden Haufen zu bringen, wollen das Tagesprogramm erklären: Im Laufe der vierwöchigen Freizeit drehen die Kinder einen eigenen Kurzfilm, heute sollen sie unterschiedliche Genre ausprobieren. Doch kaum einer hört zu. Direktorin Laia de Eguía kennt diese Reaktion:
"Wenn sie hier ankommen, sind viele von ihnen in einer Verteidigungshaltung, aber während des Tages entspannen sie sich, werden ruhiger, sogar die Stimme verändert sich. Zu Hause müssen sie sich oft um jüngere Geschwister kümmern, einkaufen, selbst gucken, was sie essen. Hier können sie einfach Kinder sein."
"Armut hat es in Spanien immer schon gegeben", sagt De Eguía, aber die sieben Krisenjahre und die massiven Kürzungen haben die Situation dramatisch verschärft: In fünf spanischen Provinzen bleiben daher in diesem Jahr die Schulen geöffnet. In Katalonien haben sich knapp 3400 Familien für das Programm "Cap infant sense colònies - Kein Kind ohne Ferienfreizeit" beworben, gut 50 Prozent mehr als im letzten Jahr. Dank privater Spenden und öffentlichen Zuschüssen haben alle einen Platz bekommen. Den meisten Familien stehen pro Kopf weniger als 3900 Euro im Jahr zur Verfügung. Damit kann keiner in die Ferien fahren.
Die Betreuer reißen die Kartons mit den Kakaotüten auf, verteilen Croissants. Dann gehen die Kinder in die Klassenzimmer. Gruppenarbeit.
"No som una NGO, que només dona menjar."
Man sei keine NGO, die nur Essen ausgebe: Darauf legt die Direktorin Wert:
"Wenn man in wirtschaftlichen Krisensituationen steckt, hilft es natürlich, wenn jemand deinem Kind etwas zu essen gibt, aber das Wichtigste ist doch, dass das Kind etwas lernt und Spaß dabei hat."
Alfredo malt gemeinsam mit Ramón, einem Freund aus der Nachbarschaft, eine Figur mit fies grinsendem Gesicht aus: Seine Gruppe hat sich Chucky, die Mörderpuppe, als Maskottchen gewählt, den Film kennen alle. Malen ist zwar nicht Alfredos Lieblingsbeschäftigung, aber immer noch besser als zuhause abhängen.
"Para que se haga la idea: Me quedo en casa, jugando a la play."
Gemeinsamer Tisch unter dem Feigenbäumen im Hof
Da spiele er sowieso nur mit der Playstation, sagt Alfredo, Ramón und die andern nicken. Als vor dem Essen die Betreuer im Hof den Wasserschlauch anstellen, ist die Stimmung gelöst: Alfredo tollt kreischend in der Badehose herum, Ramón lässt sich vom Wasserstrahl den Rücken massieren. Auch die tägliche Dusche ist Teil des pädagogischen Programms, genauso wie das gemeinsame Tisch decken unter den Feigenbäumen im Hof und das kollektive Händewaschen.
"Qui vol lentilles superbones ..."
"Wer möchte von diesen total leckeren Linsen", fragt Laia de Eguía, als sie zum zweiten Mal mit dem Topf durch die Reihen geht. Ein paar Hände schnellen hoch, auch die von Alfredos Nachbarn, einem etwas untersetzten Jungen im Fußballtrikot: Zu Hause gab's das ganze Wochenende belegte Brötchen.

"Pili, te llaman."
Um kurz nach drei geht das Schultor wieder auf. Pilar wartet, das fünfmonatige Baby auf dem Arm, auf ihre beiden Jungs. Und, habt ihr zu Mittag gegessen, fragt sie, als Isaias und Alfredo zu ihr schlappen. Die beiden nicken und Pilar seufzt erleichtert.
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