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Spanische Flagge
In Spanien gibt es zahlreiche Korruptionsfälle. © dpa / picture alliance / Jens Kalaene
Von Reinhard Spiegelhauer · 24.02.2014
Kaum ein Tag vergeht, ohne dass in Spanien über Korruptionsfälle berichtet wird. Bei der Volkspartei soll es schwarze Kassen gegeben haben, und die Sozialisten sollen Amigos illegal Frührenten zugeschanzt haben. Doch auch im Alltag verstoßen Menschen massenhaft gegen Regeln und Vorschriften.
"Eso pasa en los mejores familias" heißt es auch im Spanischen: "Das kommt in den besten Familien vor". Trotzdem reiben sich viele hierzulande immer noch die Augen, angesichts des Korruptionssumpfes, in dem die Königsfamilie zu versinken droht. Und mit jedem Versuch, einen Schritt aus dem Schlamassel zu tun, scheint sie weiter im Morast zu versinken, wie in einem schottischen Moor.
Ursprünglich ging es vor allem um den ehemaligen Handballstar und heutigen königlichen Schwiegersohn Iñaki Urdangarin. Er und Prinzessin Cristina hatten sich 1996 während der Olympischen Spiele in Atlanta kennen gelernt. Die Spanier gewannen Bronze, der Handballer außerdem das Herz der Königstochter.
Die prunkvolle Heirat fand schon im darauf folgenden Jahr statt, in der Kathedrale von Barcelona. Der königliche Schwiegersohn ist knapp zwei Meter groß und trägt Schuhgröße 47. Das ist allerdings gar nichts gegen das Ausmaß, in dem er als Präsident der gemeinnützigen Stiftung "Noos" öffentliche Gelder veruntreut haben soll.
Die Stiftung richtete Großereignisse aus, zum Beispiel Kongresse rund um Sport und Tourismus - und sie soll dabei völlig überhöhte Rechnungen ausgestellt haben, die die Regierungen der Balearen und der Region Valencia beglichen. Im Zuge von Ermittlungen wurde Iñaki Urdangarin deshalb vor ziemlich genau zwei Jahren im sogenannten "Fall Noos" vor Gericht geladen.
"Ich sage heute aus, um meine Unschuld zu beweisen"
Urdangarin:"Ich sage heute aus, um meine Unschuld zu beweisen, meine Ehrenhaftigkeit und Professionalität. Ich bin stets meinen Verpflichtungen nachgekommen und habe alle meine Entscheidungen in korrekter und nachvollziehbarer Weise getroffen. Ich will dies heute demonstrieren und die unklaren Sachverhalte klären, vielen Dank!"
Ein Skandal: ein Mitglied der Königsfamilie wegen Korruptionsverdachts vor Gericht! König Juan Carlos hatte angesichts der drückenden Beweislast gegen seinen Schwiegersohn kurz vorher die Reißleine gezogen: Er schloss sowohl Urdangarin als auch Prinzessin Cristina von allen repräsentativen Auftritten des Königshauses aus - inzwischen sind sie auch von der königlichen Website getilgt. Und sogar in seiner traditionellen Weihnachtsansprache griff der König das Thema damals, vor gut einem Jahr, auf:
König:"Wenn ungesetzliche oder ethisch verwerfliche Handlungen geschehen, dann ist es normal, dass die Gesellschaft darauf reagiert. Glücklicherweise leben wir in einem Rechtsstaat, und vor dem Gesetz sind alle gleich."
Zu Deutsch: Wenn mein Schwiegersohn sich bereichert hat, dann muss er vor Gericht, ist doch klar. Doch dann lud der Ermittlungsrichter im vergangenen April auch Prinzessin Cristina vor.
Es sei zu prüfen, ob sie ihren Namen und ihre Stellung im Königshaus in den Dienst der krummen Machenschaften ihres Mannes gestellt habe. Für viele Spanier ein absolut nachvollziehbarer Ermittlungsansatz:
"Sie haben beide ihren Status, ihre Verbindung zum Königshaus ausgenutzt, er und sie. Ich sage dir mal was: Wenn ich irgendwelche Dinge treibe, dann will meine Frau wissen, worum es geht. Und Cristina soll nichts gewusst haben? Sie weiß so viel wie er."
Für den König allerdings war da das Maß voll, so scheint es. Dass die Anordnung dieser Vernehmung der Königstochter von einem Landgericht kassiert wurde, führen Medienbeobachter jedenfalls auf massiven Druck des Königshauses und der Politik zurück. "El Rey, el Rey, saltando por encima de la ley" reimt einespanische Band - der König stellt sich über das Gesetz. Die Besetzung von hohen Justizgremien ist in Spanien stark parteipolitisch geprägt - das spielt immer wieder eine Rolle für den Ausgang von Verfahren.
Doch der für den Fall Noos zuständige Ermittlungsrichter, José Castro, hat sich bisher nicht beirren lassen. Nachdem sein erster Antrag, die Prinzessin zu vernehmen, gescheitert war, stürzte er sich erst recht in die Ermittlungen. Und stieß bei der Durchsicht von Stiftungsunterlagen, Rechnungen und Kreditkarten-Abrechnungen auf erstaunliche Dinge: einer der mutmaßlich veruntreuten Millionen hat Urdangarin auf dem Konto einer zweiten Stiftung geparkt, die Prinzessin Cristina und ihm jeweils zur Hälfte gehört.
Mitglied der Königsfamilie unter Korruptionsverdacht
Jetzt lautet der Verdacht Beihilfe zur Geldwäsche, dazu kommen Steuervergehen: mit der Stiftungs-Kreditkarte bezahlte Cristina angeblich Privatausgaben wie Modezeitschriften, Wachtelschenkel und die komplette Harry-Potter Sammlung für die Kinder - aber auch teure Übernachtungen in Luxushotels und eine Safari. Die Königstochter wurde erneut vorgeladen - und diesmal verzichtete sie auf Rechtsmittel. Die einzig mögliche Entscheidung, so Journalist und Monarchie-Experte Carlos Abad:
"Meiner Meinung nach ist das richtig und nötig. Die Umfragen zeigen ganz klar, dass die Leute nicht glauben, dass Cristina nichts gewusst haben soll. Das ist eine schwerwiegende Angelegenheit und unter den europäischen Königshäusern beispiellos."
Der Korruptionsskandal und die Versuche, die Königstochter aus den Ermittlungen heraus zu halten, haben die Sympathiewerte für das Königshaus abstürzen lassen. Drei Viertel der Spanier geben in Umfragen an, eine sehr schlechte Meinung von Iñaki Urdangarin zu haben, zwei Drittel haben eine schlechte oder sehr schlechte Meinung von Prinzessin Cristina und auch das Standing des Königs hat massiv gelitten: nicht mal jeder zweite Spanier zieht in diesem Moment noch eine positive Bilanz seiner Regentschaft.
Der späte Entschluss, sich den Fragen des Gerichts zu stellen, hat das Königshaus allerdings nicht aus der Schusslinie gebracht. Und noch weniger die Behauptungen von Prinzessin Cristina, sie habe ihrem Mann stets vertraut und einfach unterschrieben, was er ihr vorgelegt habe. Das ist gelogen oder naiv, glauben die Spanier, und sie sind davon überzeugt, dass vielleicht Urdangarin verurteilt werden wird, die Prinzessin aber sicher nicht:
"Sie wird von Rajoy geschützt. Er hat doch in der Presse gesagt, dass sie nicht verurteilt wird."
Rajoy: "Auch für die Prinzessin gilt die Unschuldsvermutung. Sie ist vorgeladen und nicht verurteilt. Ich bin absolut davon überzeugt, dass die Dinge gut für sie ausgehen."
So hatte Ministerpräsident Rajoy die Affäre kurz vor der Vernehmung der Königstochter kommentiert. Eigentlich ein harmloser Satz - doch in Spanien sorgte er für eine heftige Debatte. Denn der Regierungschef selbst kämpft mit einem Schmiergeld und Finanzierungsskandal in seiner Partei. Im nach dem ehemaligen Schatzmeister der Partei so benannten "Fall Bárcenas" steht Rajoy sogar selbst unter Verdacht.
Vor etwas mehr als einem Jahr veröffentlichte die Zeitung "El Pais" auszugsweise Faksimiles aus einem mutmaßlichen schwarzen Kassenbuch der konservativen Volkspartei. Der Verdacht: Während der Zeit des Baubooms, noch unter Regierungschef José María Aznar, flossen Geldspenden vor allem von Bauunternehmern in schwarze Kassen. Unter anderem als Anerkennung für eine Liberalisierung des Bodenrechtes durch die Regierung Aznar, mutmaßen Beobachter.
Aus diesen Kassen sollen Extragehälter für hochrangige Parteifunktionäre finanziert worden sein - einige haben bereits zugegeben, Geld erhalten zu haben. Ob das Ganze illegal war oder nur verwerflich und in wie weit die Vorwürfe verjährt sind - die Ermittlungen laufen noch.
"Ich werde mich nicht schuldig bekennen"
Zahlungen zugeordnete Kürzel und Initialen im sicher gestellten Kassenbuch passen auffallend gut zu den Namen ehemaliger Kabinettsmitglieder der Regierung Aznar. Für den Zeitraum von 1997 bis 2008 finden sich unter anderem auch mehr als 30 Mal die Initialen M.R. oder die Namen Mariano oder Rajoy. Der Ministerpräsident weist bis heute jeden Verdacht von sich:
Rajoy: "Ich werde mich nicht schuldig bekennen, denn ich bin es nicht. Also werde ich weder zurück treten, noch Neuwahlen ausrufen - umso weniger, als das Land nichts weniger brauchen könnte."
Der Fall Barcenas und der Fall Noos sind nur die besonders aufsehenerregende Spitze des Eisberges. Täglich berichten die Nachrichten über Ermittlungen, die gegen spanische Unternehmer, Funktionäre oder Politiker geführt werden: vom Bürgermeister über Regionalfürsten bis zur amtierenden Gesundheitsministerin. Und natürlich sind es nicht nur Politiker der Volkspartei, die sich bestechen lassen. Andalusien beispielsweise wird von Skandalen rund um die dort regierenden Sozialisten und die ihnen nahe stehende Gewerkschaft UGT erschüttert.
Steuergelder, die schwächelnde Unternehmen in die Lage versetzen sollten, Sozialpläne für wegen der Krise entlassene Mitarbeiter zu finanzieren, flossen massenhaft in die Taschen von Partei- und anderen Freunden. In zahlreichen Fällen bekamen Leute Geld, die niemals in den betreffenden Unternehmen gearbeitet hatten. Ein Schlag ins Gesicht vieler Menschen, die wie Lkw-Fahrer Pepe und sein Freund Paco aus Malaga arbeitslos sind:
Pepe: "Die haben das unter sich verteilt, obwohl es für Leute wie uns gedacht war, für Leute ohne Arbeit. Dabei waren das waren Steuergelder, unser Geld."
Die politische Verantwortung übernahm - niemand.
Pepe:"Das kann doch keiner verstehen. Die schieben sich die Verantwortung gegenseitig zu. Hier tritt eben nie jemand zurück, es gibt nie einen Schuldigen. Einer von der Gewerkschaft ist zurückgetreten, das war's."
Trotzdem erklärte beispielsweise der andalusische Ministerpräsident Griñan auf dem Höhepunkt der Affäre lediglich, er werde nicht zur Wiederwahl antreten. Etwas später machte er dann doch Platz im Amt - offiziell allerdings natürlich nur, um einen Generationswechsel einzuleiten.
Paz:"Solange die Lage gut war, gab es keine Proteste gegen Korruption vor irgendwelchen Parteizentralen. Es ist schon bitter, wenn jetzt Zeitungen Umfragen bringen, in denen die Leute sagen 'das ist angesichts der Lage untragbar' - und nicht etwa aus prinzipiellen moralischen Erwägungen. Ich finde das schlimm."
Das sagt der Historiker Fernando Paz. Jetzt allerdings ist die Korruption im kollektiven Bewusstsein angekommen. Größtes Problem des Landes ist für die Spanier laut Umfragen zwar weiter die Massenarbeitslosigkeit , aber auf Platz zwei der Rangliste folgt sofort die Korruption.
In Umfragen geben um die 90 Prozent der Spanier an, sie hielten die politische Elite für korrupt - Sozialisten wie Konservative. Eine relativ neue Entwicklung, in einem Land, das über Jahrzehnte fest im Griff eines de facto Zwei-Parteien Systems war, in dem sich mal die Einen, mal die Anderen bereicherten. Fernando Paz geht hart ins Gericht mit seinen Landsleuten:
Auch Steuerbetrug und Schwarzarbeit
Paz:"Immer wieder haben nachgewiesenermaßen Korrupte in diesem Land Wahlen gewonnen. Im Fall Gürtel und vielen anderen. So sieht es aus in diesem Land. Die Korruption hat ihren Ursprung darin, dass man ja und amen zu allem sagt, dass man es nicht nur für entschuldbar hält, wenn Parteien im Wahlkampf lügen, sondern sogar für richtig."
In derselben Liga wie die Korruption spielen in Spanien Steuerbetrug und Schwarzarbeit. Unrechtsbewusstsein: Fehlanzeige. Handwerker Francisco aus dem andalusischen Cádiz erzählt fast stolz, dass er natürlich schwarz arbeitet - wie viele andere auch:
Francisco:"Wir versuchen eben, uns irgendwie durchzuschlagen, zu überleben - und das ist die einzige Möglichkeit. Klar gibt's auch sehr ehrenwerte Leute, die das auch immer vor sich her tragen - aber wenn du keinen Teller vor dir stehen hast, gibt´s auch keine Ehrlichkeit."
Und auf die Frage, ob er ordentliche Rechnungen ausstellt:
Francisco:"Ohne Mehrwertsteuer natürlich - in dieser Stadt geht schon lange alles ohne Mehrwertsteuer."
Zuletzt ist das Volumen der spanischen Schattenwirtschaft allerdings noch mal bemerkenswert angewachsen: 2008, vor der Krise, machte sie rund 18 Prozent des spanischen Bruttoinlandsproduktes aus - 2012 war es schon rund ein Viertel.
235 Milliarden Euro Schwarzgeld waren da im Umlauf, das haben Experten des Finanzministeriums im Zuge einer Studie ermittelt. Doch es gibt Wirtschaftsexperten, die der Schwarzarbeit sogar positive Seiten abgewinnen:
"Wir haben uns von einer Wirtschaft, die vor allem auf billiger Arbeitskraft basiert, zu einem anspruchsvolleren Modell umorientiert, das zum Beispiel auf Export setzt. Dieses Wirtschaftsmodell braucht aber Zeit, bis es Jobs schafft.
Es wird dauern, bis die Arbeitslosenquote dadurch zurück geht. Sie geht aber zurück, wenn Menschen Zuflucht in der Schattenwirtschaft suchen."
Der Ökonom Rafael Pampillon redet der Schwarzarbeit zwar nicht direkt das Wort - schockiert über das Ausmaß ist er allerdings nicht. Und auch das Thema Korruption sieht er sehr nüchtern, fast schon gelassen - zumindest was die unmittelbaren Auswirkungen angeht:
"Ich kann nicht beziffern, welchen Effekt die Korruption hat. Einen negativen offensichtlich - aber wie groß er ist, das weiß ich nicht.
Tatsache ist: Wir lesen von Korruption, aber die ausländischen Investoren kommen wieder, in die inländischen Investitionen steigen. Die Korruption, die es gibt, gibt es eben. Natürlich sorgt sie auch für Verunsicherung - und bremst dadurch ausländische Investitionen. Das ist schlecht für Spanien."
In der Korruptions-Wahrnehmungs-Index-Rangliste von Transparency International ist Spanien inzwischen von Rang 30 auf Rang 40 zurück gerutscht - und bei Umfragen für den EU-Korruptionsbericht haben beinahe zwei Drittel der Spanier zu Protokoll gegeben, sie seien im Alltag direkt mit Korruption konfrontiert. Ministerpräsident Rajoy allerdings fechten solche Meldungen nicht an:
"Es stimmt nicht, dass es in Spanien einen Zustand allgemeiner Korruption gibt. Das ist eine Hinterhältigkeit. Weder ist Spanien das korrupteste Land, noch sind alle Politiker korrupt und wir werden auch nicht wegen Korruption untergehen."
Doch ziemlich viel Korruption gibt´s eben doch, in Spanien. Die Tageszeitung "El Pais" jedenfalls zählte im vergangenen Jahr mehr als 200 Ermittlungsverfahren gegen Politiker. Aber man weiß ja, so etwas kommt auch in den besten Familien vor.
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