Sonne, Strand und Weltschmerz

Hymne auf das Jungsein

Kind auf einem Wellenbrecher am Nordseestrand
Die "Sommernovelle" erzählt von einem Sommer an der Nordsee. © Andreas Diel
Von Edelgard Abenstein · 13.06.2015
Christiane Neudecker lässt eine ganz besondere Zeit aufleben, eine Zeit, die man nur ein einziges Mal erleben kann: Den Sommer, in dem man 15 war. Behutsam erzählt sie in ihrer "Sommernovelle" von einer Mädchenfreundschaft. Lesenswert auch für Erwachsene.
Es gibt Jugendbücher für Erwachsene und Erwachsenenbücher für Jugendliche. Eine solches Zwitterwesen ist Christiane Neudeckers "Sommernovelle". Schon der Titel klingt nach Ferien, Sonne, Strand.
Zum ersten Mal sind Panda und Lotte, beide fünfzehn, allein unterwegs, zwei Wochen in einer Vogelschutzstation an der Nordsee. Es ist Ende der 1980er Jahre, Natur- und Umweltschutz werden groß geschrieben, auch die beiden Freundinnen - schwarz gefärbte Jeans und Doc Martens im Gepäck, die Haare hennarot - wollen die Welt retten. Vögel haben es ihnen angetan, vor allem bedrohte Seevögelarten. Schnell lernen sie den Unterschied zwischen Lachmöwen und Sandregenpfeifern, wie man den Himmel liest und Vogelschwärme zählt, sie führen Kindergruppen über die Insel, üben sich im Spaghettikochen für die Belegschaft der Vogelstation. Und sie lernen die erste Liebe kennen.
Atmosphärisch dicht
Die 1974 geborene Autorin, die auch als Regisseurin arbeitet, versteht es, atmosphärisch dicht zu beschreiben: den Himmel, auf Sumpfwiesen weidende Moorschnucken, Strandhafer, den Vogelflug. Ohne kitschig zu sein, erzählt sie vom Drang der Mädchen nach Freiheit ebenso wie von den Peinlichkeiten der Pubertät, wenn Panda sich ihrer gerundeten Hüften schämt, die nicht mehr recht in den drei Jahre alten Badeanzug passen. Humorvoll schildert sie die beiden als durch und durch Fünfzehnjährige, lebendig, eigensinnig, sehr ernsthaft, albern und lebensklug.
Erzählt wird aus der Perspektive Pandas, deren ausgeprägter Gerechtigkeitssinn durch den zwielichtigen Leiter der Vogelstation auf eine harte Probe gestellt. Auch die tiefe Trauer Lottes nach der Abreise des umschwärmten Julian macht ihr zu schaffen. Christiane Neudecker biedert sich dabei nicht an und versucht erst gar nicht, den Slang der Jugendlichen zu imitieren. Der Ton ist leicht, ohne Teenie-Getue, ein bisschen naiv, ohne dass es peinlich oder aufdringlich wirkt.
Die "Sommernovelle" kündet auch von Wehmut
Was wirklich besticht, ist die behutsam-zarte Schilderung einer Mädchenfreundschaft. Verschworen gegen den Rest der Welt lernen Lotte und Panda, dass jeder ein Recht auf Geheimnisse hat, dass sie für sich und einander einstehen müssen und dass es eine Verbundenheit gibt, die über Enttäuschungen hinweghilft. Man kann das Erwachsenwerden nennen.
Indem es auch von der Wehmut kündet, feiert "Sommernovelle" geradezu hymnisch das Jungsein, die Freundschaft, die Liebe und das Leben. Es ist ein Buch für die Altersgenossen seiner Heldinnen und eines, das Erwachsenen das Herz erwärmt. Denn es versetzt einen, egal ob man fünfzig oder gefühlte hundert ist, buchstäblich zurück in die Zeit, die zugleich neu und seltsam vertraut erscheint: in jenen Sommer, als wir fünfzehn waren.

Christiane Neudecker: "Sommernovelle"
Luchterhand Literaturverlag, München 2015
192 Seiten, 16,99 EUR