Sofja Kowalewskaja

Die Fürstin der Wissenschaft

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Die Mathematikerin Sofja Kowalewskaja starb am 10.2.1891 in Stockholm. © dpa - Bildarchiv- Nowosti
Von Almut Finck · 10.02.2016
Sie war die erste Frau weltweit, die einen Doktorgrad in Mathematik erwarb - zu einer Zeit, als Frauen im russischen Zarenreich nicht studieren durften. Doch Sofja Kowalewskaja war nicht nur hochintelligent, sondern auch zielstrebig und ehrgeizig.
Stundenlang steht das Kind in seinem Zimmer und starrt auf die Wände, die voller merkwürdiger Zeichen sind. Bei der Renovierung des elterlichen Landguts in der russischen Provinz haben nämlich die Tapeten nicht gereicht. Also wurden alte, auf dem Dachboden entdeckte Papierbögen verklebt, über und über bekritzelt mit mathematischen Formeln – eine Vorlesungsmitschrift des Vaters aus seiner Zeit der Offiziersausbildung in der Armee des Zaren.
"Ich unterhielt mich damit, die vergilbten Blätter mit ihren geheimnisvollen Hieroglyphen zu betrachten, deren Sinn mir vollständig dunkel blieb, die aber, wie ich fühlte, etwas sehr Interessantes und Kluges bedeuten mussten."
Sofja Kowalewskaja wird 1850 in Moskau geboren. Mit vier Jahren bringt sie sich das Lesen bei, mit fünf schreibt sie Gedichte. 1858 zieht die Familie aufs Land. Dort begegnet Sofja einem verschrobenen Onkel, der Bücher verschlingt und voller Ernst mit dem Kind diskutiert. Über die Quadratur des Kreises, die Asymptote, das Unendliche.
"Alles Dinge, die ich selbstverständlich nicht zu begreifen vermochte, die jedoch auf meine Phantasie einwirkten und in mir eine Begeisterung für Mathematik erweckten."
Nur als Gasthörerin in der Universität Heidelberg
Mit 14 liest Sofja Lehrbücher der Trigonometrie, abends, im Bett. Den Vater beunruhigt die außergewöhnliche Begabung der Tochter. Dann aber gibt er ihrem Drängen nach. Der bedeutende Mathematiker Alexander Strannoljubski darf ihr Unterricht geben. Zeitgleich beginnt Sofjas Politisierung. Ihr Lehrer ist ein glühender Verfechter politischer Reformen im feudalistischen Russland, wo erst 1861 die Bauern aus der Leibeigenschaft befreit worden sind. Die 1860er, das sind die Jahre des Nihilismus' – eines geschlechter- und sozialrevolutionären Aufbegehrens der Jugend. Sofja Kowalewskaja in ihren in acht Weltsprachen übersetzten Kindheitserinnerungen:
"Wie eine Epidemie erfasste damals namentlich die Mädchen der Drang, aus dem Elternhaus zu laufen. Den größten Schrecken bereiteten allen Eltern und Vorgesetzten jene mysteriösen Kreise, die sich in Petersburg gebildet hatten. Die jungen Leute beiderlei Geschlechts lebten da in völligem Kommunismus."
Weil die Familie alljährlich Winterresidenz in Sankt Petersburg nimmt, bekommen auch Sofja und ihre ältere Schwester Anjuta Kontakt zu den Nihilisten, die sich einsetzen für Volksbildung, Frauenemanzipation und soziale Gerechtigkeit. Als Frau darf Sofja in Russland nicht studieren. An eine ausländische Universität reisen kann sie nicht, weil Frauen keinen eigenen Pass besitzen, sondern beim Vater oder Ehemann eingetragen sind. Wie zahlreiche junge Russinnen ihrer Generation entschließt sich Sofja deshalb zu einer Scheinehe.
1869, Heidelberg. Sofja wohnt in einer Art Frauenkommune. Ehemann Wladimir wird geduldet, aber rausgeworfen, als die Beziehung enger zu werden droht. An der Universität darf sich Sofja nur als Gasthörerin immatrikulieren, aber immerhin. Tag und Nacht versenkt sie sich in ihre Studien. Sie will keine Zeit verlieren.
"Ich bin überzeugt davon, dass eine Lebenszeit nur knapp für all das ausreichen wird, was ich auf dem von mir gewählten Lebensweg leisten kann."
Trotzdem unternimmt Sofja große Reisen, nach London, Zürich, Berlin. 1871 erlebt sie den Aufstand der Pariser Kommune. 1874 ist Sofja Kowalewskaja die erste Frau der Welt, die einen Doktortitel in Mathematik erwirbt, an der Universität Göttingen und unter Verzicht auf eine mündliche Prüfung, weil von ihren gleich drei eingereichten Dissertationen jede allein überzeugend ist. Mit Wladimir hat sie sich versöhnt, 1877 bekommen die beiden eine Tochter und gründen ein Immobiliengeschäft, das scheitert, woraufhin er Selbstmord begeht. 1888 verleiht die französische Akademie der Wissenschaften Sofja Kowalewskaja den bedeutenden Bordin-Preis für ihre Arbeit über die Bewegung eines starren Körpers um einen festen Punkt. 1889 erhält sie an der Universität Stockholm eine Professur auf Lebenszeit.
Die allerdings ist knapp bemessen. Am 10. Februar 1891 stirbt Sofja Kowalewskaja im Alter von nur 41 Jahren an einer Lungenentzündung.