Shooting-Star auf Hartz IV

Von Johannes Nichelmann · 30.09.2010
Mit seinem Debütfilm "Shahada" schaffte Burhan Qurbani es in den Wettbewerb der Berlinale. Der 29-jährige deutsch-afghanische Regisseur lebt in einem WG-Zimmer in Berlin Neukölln und hat gerade eine Dokumentation über Rechtsextreme in Brandenburg für die RBB-Reihe "20 x Brandenburg" fertig gestellt.
"Genau, mein Zimmer. Ich leb' aus dem Karton und ich bin nie richtig eingezogen hier. Ich bin da echt wirklich nur zum Schlafen. Ich hab eigentlich nur Bücher, Kleidung und ein Bett. Mehr nicht."

Berlin Neukölln. Ein Altbau, Vorderhaus. 3. Etage. Das Bett ist eine auf einem Lattenrost liegende Matratze. Die Bücher liegen in Stapeln auf dem Sims und auf dem Schreibtisch. Gemusterter Stoff vor den Fenstern. Eine Kommode. Gemütlich ist sein WG Zimmer nicht. Der Raum strahlt eine dunkle Atmosphäre aus. Kein Wunder, dass Burhan Qurbani hier nicht kreativ denken kann, wie er sagt.

"Ich mach# die Vorarbeit immer in Cafés. Dass heißt das stille Grübeln und Nachdenken. Und hier mache ich immer die Fleißarbeit."

Trotzdem passt der Neuköllner Wohnraum dann irgendwie doch zu diesem 29-jährigen Regisseur, der auf die Frage, was für Filme er macht, gerne antwortet: "Traurige Filme".

Burhan Qurbani fährt sich mit der Hand durch die schwarzen, nach hinten gekämmten Haare, schiebt seine Hornbrille nach oben. Entspannt sich. Der Deutsch-Afghane ist ein nachdenklicher, ruhiger Typ. Zurzeit denkt er viel über das Heimatland seiner Eltern nach, die 1979 aus Afghanistan ins Rheinland kamen. Dort wuchs Burhan Qurbani auf. Muslimisch erzogen. Im Herkunftsland seiner Eltern ist der Sohn noch nie gewesen – er hat immer in Deutschland gelebt.

"Auf der einen Seite gibt’s immer die Mutter, die wieder davon erzählt, wie toll Afghanistan war. Das hier in Deutschland eigentlich nichts mehr schmeckt. Dann während des Kriegs, also so in den 80er-Jahren, war es einfach so, dass viele von unseren Verwandten gestorben sind. Wenn man dann nach Hause kam und dann wieder – keine Ahnung – Eltern am Heulen sind, dann wird das ganz nah. Ganz seltsam. Aber es bleibt trotzdem abstrakt. Du kannst es nicht wirklich packen. Aber ich werde in nächster Zeit nach Afghanistan gehen. Ich möchte auf jeden Fall einen Film drehen."

Filme müssen gefährlich sein. Filme müssen mutig sein. Filme müssen relevant sein – die drei Regeln von Burhan Qurbani, der gerade erst die Filmakademie in Ludwigsburg verlassen hat. Mit großem Erfolg.

Sein Diplomfilm "Shahada" kam in den Wettbewerb der Berlinale 2010. Das hat vor ihm kaum einer geschafft. Für ein paar Tage steht der 29-Jährige im Rampenlicht – ist der Shooting-Star der Filmbranche. "Shahada" erzählt drei unabhängige Geschichte von drei jungen Muslimen in Berlin. Sie stecken in großen persönlichen Krisen, wodurch ihr Glauben ins Wanken gerät. Eine Episode handelt von Maryam, der Tochter eines türkischen Imams. Sie ist ungewollt schwanger, will abtreiben.

Filmausschnitt: "(Maryam) Mit mir stimmt was nicht! (Freundin) Das geht vorbei. (Maryam) Ich hab so seltsame Träume! (Freundin) Du hast eine Entscheidung getroffen – weißt du noch? Dass du dein Leben nicht kaputt machen lässt. Und das du das Kind weg machen lässt. Und du hast mich gefragt, ob ich dir dabei helfe. Also machen mir keinen Vorwurf."

Der Film provoziert. Fragt, was es heißt ein guter Moslem zu sein. Heute in einer deutschen Großstadt. Burhan Qurbanis Antworten gefallen nicht allen. Auch nicht den Kritikern, die uneins sind. Einer lobt den Film als den eines vielversprechenden Talents - andere finden ihn schrecklich. Überschreiben ihre Artikel mit: "Wenn Gott ein Auge zudrückt" oder "Kein Meister vom Himmel". Manch einer von ihnen sieht die Berlinale sogar am Ende! Das gefällt dem jungen Regisseur:

"Oh mein Gott, ich hab' ja die Berlinale umgebracht. Und dann der Gedanke: Cool, ich hab ja die Berlinale umgebracht: Das musst du gesehen haben – nein muss ich nicht! Das musst du gelesen haben – nein muss ich nicht!"

Es nervt ihn, dass die Presse sein Werk nur als einen Beitrag zur Islam-Diskussion bespricht und nicht als ästhetischen und vor allem fiktionalen Film.

"Klar hat der Film seine Fehler und das muss ich mir gefallen lassen, sonst würde ich nicht daran wachsen. Ich glaube, ich muss aufpassen, dass ich nicht anfange Filme für Filmkritiker zu machen."

Das Titel-Lied seines Films "Ich muss gar nix" passt dazu. So wie die dunkle Stimmung in seinem Zimmer zu seinem Film passt. Und: Burhan Qurbani liebt es mit dem Stilmittel der Ironie zu spielen.

"Ich muss gar nichts außer schlafen, trinken, atmen und ficken und so pünktlich wie es geht, meine Steuer abschicken. Ich muss gar nichts!"

Burhan Qurbani arbeitet längst an neuen Projekten. Hat einen Dokumentarfilm über Rechtsradikalismus in Brandenburg gedreht. Das wird ein großartiges Projekt, weiß er jetzt schon. Der Regisseur ist selbstbewusst. Manchmal aber auch nicht. Seine größte Angst ist es, in seinem Beruf, der eigentlich mehr einer Berufung gleich kommt, zu versagen.

"Dann sitzt man in der Bibliothek und ist so ein bisschen eingeschüchtert. Da sitzen diese ganzen 22-jährigen Jungs und Mädchen. Und man denkt trotzdem: Irgendwie hab' ich was verpasst und irgendwie hab' ich was nicht mitbekommen und irgendwie hab' ich diese Ausbildung nicht. Dass heißt, ich hab' irgendwie so was wie ne Bauernschläue, ja."

Der Regisseur läuft durch einen Park, schaut den Menschen zu. 2010 markiert den großen Anfang seiner Karriere als Filmemacher. Reich ist er damit aber noch nicht geworden.

"Ich bin Hartz-IV-Empfänger. Ja, noch diesen Monat. Dann ist vorbei. Weil dann, will ich wieder Geld verdienen. Aber ich war natürlich direkt nach dem Studium … da hat man ja noch nicht Millionenaufträge. Dass heißt, ich war wirklich tatsächlich abhängig von Hartz IV."

Regisseur zu sein ist für ihn ein Privileg, dass er niemals missen möchte. Nach dem Abitur wollte Burhan Qurbani eigentlich Germanistik in Tübingen studieren. Nur durch Zufall wurde er auf die Filmakademie Ludwigsburg aufmerksam. Auf gut Glück bewarb er sich - erfolgreich. Mit seiner spontanen Handlung von damals, scheint Burhan Qurbani bis heute mehr als zufrieden zu sein. Kann er auch - er macht verdammt gute Filme! "Shahada" ist nur der Anfang!