Shimon Stein: Zur Zeit keine Chance für Zwei-Staaten-Lösung

Shimon Stein im Gespräch mit Marietta Schwarz · 22.01.2013
Fortschritte beim Friedensprozess in Israel und Palästina hängen nach Auffassung des früheren israelischen Botschafters Shimon Stein auch vom Ausgang der Knesset-Wahl ab. Wenn Benjamin Netanjahu sich einen ultra-rechten Koalitionspartner suche, würden die Aussichten auf eine endgültige Lösung noch schlechter als bisher.
Marietta Schwarz: Alles sieht danach aus, als ob Benjamin Netanjahu mit seinem Regierungsbündnis die heutigen Wahlen in Israel wieder gewinnt - die liberalen Parteien der Mitte sind heillos zerstritten und rechts von Netanjahus Bündnis startet ein 40-jähriger Millionär durch, der gegen einen unabhängigen Palästinenserstaat und für eine Annexion großer Teile des Westjordanlandes ist. Dieser Naftali Bennett könnte mit seiner Partei "Das Jüdische Haus" zweitstärkste Kraft werden, während manch eine säkulare Partei mehr auf innenpolitische Themen setzt und den Nahostkonflikt - na gut - einen Nahostkonflikt sein lässt. Wo driftet Israel hin? Fragen dazu an Shimon Stein, ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland. Zurzeit ist er am Institut für nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv tätig. Guten Morgen, Herr Stein!

Shimon Stein: Guten Morgen!

Schwarz: Herr Stein, erklären Sie uns die Gemütslage in Israel. wie wichtig ist Ihren Landsleuten noch eine Friedenslösung mit den Palästinensern?

Stein: Ich meine, es hat sich ja nichts geändert, und die Israelis stimmen weiter Meinungsumfragen zufolge in ihrer Mehrheit für eine Zwei-Staaten-Lösung im einen, allerdings - hier kommt die Einschränkung -, die Mehrheit der Israelis ist eher skeptisch, dass es uns in absehbarer Zeit gelingen wird, diese Idee in die Tat umzusetzen und vorher noch überhaupt Gespräche mit den Palästinensern aufzunehmen. Und das, glaube ich, schließt wie gesagt die Mehrheit der Israelis, sowohl auf der Mitte rechts wie auch auf der Mitte links mit ein.

Schwarz: Und dieser Skeptizismus, von dem Sie sprechen, der rührt natürlich aus der Erfahrung der vergangenen Jahre her.

Stein: Ja, also ich meine, die Wahrnehmung in Israel ist, dass diese Regierung wie auch - das soll man auch nicht vergessen - die vorherige Regierung von Ehud Olmert den Versuch unternommen eben hat - Olmert ging sehr weit, und am Ende blieb er ergebnislos, bei Netanjahu, der auch einen Beitrag zu diesem Stillstand geleistet hat, aber immerhin hat auch auf der anderen Seite eine heilloses zerstrittenes palästinensisches Lager getroffen mit einem geschwächten Abbas, mit der Hamas -, und so, glaube ich, sind wir so weit gekommen, dass die Skepsis überwiegt überall.

Schwarz: Sie haben jetzt gerade davon gesprochen, dass doch immerhin noch eine Mehrheit für eine Zwei-Staaten-Lösung ist. Wie erklären Sie sich dann, dass ein Ultrarechter wie Naftali Bennett offenbar auch unter jungen Menschen deutlichen Zulauf verzeichnen kann?

Stein: Wir müssen zunächst, glaube ich, abwarten, wie es heute Abend dann abläuft, inwiefern wird er wirklich erfolgreich sein. Aber schon zurzeit kann man sagen, dass ein junger Talentierter unternehmerisch eloquent eine Agenda, die verschleiert ist - ja, er hat sich für die Annexion entschieden, er erklärt die Zwei-Staaten-Lösung als tot, und er trifft eigentlich auch die Herzen von jungen Israelis, die in ihm ein Modell auch sehen, insofern, das ist ja nicht nur seine politische Vision, sondern insgesamt das Phänomen Bennett spricht für eine Klientel, die schon seit langem jemanden sucht, und das ist eine nationale, religiöse Partei, Bürgertum, die ja im Laufe der Jahre jemanden gefunden haben. Und in dieser Figur spielen sich sehr viele Dinge zusammen.

Schwarz: Aber Herr Stein, wenn die Ultrarechten lauter werden, dann heißt das politisch natürlich weitere Radikalisierung. Ist das ein Weg, den Sie Benjamin Netanjahu zutrauen in einer entsprechenden Koalition?

Stein: Es ist eine interessante und gute Frage, auf die ich momentan nicht eingehen kann. Es bleibt abzusehen, wie das Wahlergebnis eben ausgehen wird, inwieweit wird Netanjahu dann die Entscheidung treffen, eine Koalition rechts der Mitte beziehungsweise mit einer Naftali-Bennett-Partei und dazu auch mit den Religiösen, oder wird er versuchen, zumindest hier von einem Naftali Bennett sich zu trennen oder jeweilig von den Religiösen, und sich mit in der Mitte oder links der Mitte eine Partei oder einen Partner aussuchen. Aber er wird selbstverständlich, wenn er ja nicht so sehr stark hervorgeht, erpressbar sein, und dann wird man sehen, für welche Richtung er sich entschieden hat. Sollte er sich für Parteien rechts der Mitte entscheiden, dann, glaube ich, wird es ganz schwierig sein, etwas überhaupt zu unternehmen, und da wird Israel weiter, glaube ich, in die Isolation, nicht zu sprechen von etwas, das sich schon bereits im Vorfeld abgespielt hat, und das ist die Spannung zur Obama-Administration.

Schwarz: Benjamin Netanjahu, der steht ja eigentlich für den Erhalt des Status Quo. Aber Israel muss doch allein aus Selbsterhaltungsgründen mehr tun als den Status Quo erhalten, weiter an einer Lösung arbeiten. Was könnte das denn sein, ist es noch die Zwei-Staaten-Lösung?

Stein: Wissen Sie, momentan bei allem Respekt, wenn man die Lage beurteilt, und zwar auf beiden Seiten, auf der israelischen Seite wie auch auf der palästinensischen Seite, dann, glaube ich, von Endstatus-Gespräche momentan sind wir weit entfernt. Die großen Fragen wie mit Jerusalem, Siedlungen, Sicherheit, Rückkehrrecht, sind die Meinungen weit voneinander entfernt. Deshalb glaube ich, eine Zwischenlösung zu fahren oder eventuell einseitige koordinierte oder nicht koordinierte Schritte zu unternehmen. Wenn es heute nicht zum Endstatus reicht, wovon ich ja und andere Experten ausgehen, dann muss Israel eigentlich so handeln, dass sein jüdischer und demokratischer Charakter weiter aufrechterhalten bleibt. Das ist zunächst die höchste Aufgabe, die uns Israelis eben einigt.

Schwarz: Der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein. Herr Stein, vielen Dank für das Gespräch!

Stein: Nichts zu danken!

Schwarz: Und das Interview haben wir aufgezeichnet.

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