Serbien

Der Westen ignoriert die Opposition

Demonstration der serbischen Opposition in Belgrad
Ein Mann mit einem Schild auf dem steht "Vučić, Du Dieb, Du hast die Wahl gestohlen" auf einer Demonstration der serbischen Opposition am 30. April in Belgrad. © picture alliance/dpa/Foto: Koca Sulejmanovic
Von Dunja Melcic · 16.06.2016
Einst Slobodan Milosevic, jetzt Aeksandar Vucic. Die westlichen Eliten hofierten wiederholt vermeintlich starke Männer des Balkans, beklagt die Philosophin Dunja Melcic. Serbiens Opposition und Menschenrechtler ignorierten sie dagegen.
Seit Längerem wundere ich mich, wieso die serbische Opposition von der europäischen Öffentlichkeit beharrlich ignoriert wird. Dabei handelt es sich um eine klar profilierte und standhafte zivilgesellschaftliche Szene, die durch Aktivitäten unabhängiger Persönlichkeiten und Gruppen gebildet wird. Es sind bekannte Intellektuelle, Schriftsteller und Wissenschaftler, sowie Menschenrechtsorganisationen und alternative Medien, die sich für Rechtstaatlichkeit und insbesondere für die kritische Auseinandersetzung mit der jüngsten kriegerischen Vergangenheit einsetzen.
Alle diese Akteure sind in Europa so gut wie unbekannt. Dabei könnte man sich einige von ihnen in jenem Personenkreis vorstellen, aus dem das Europäische Parlament Kandidaten für den Sacharow-Preis auswählt.

Analysen serbischer Oppositioneller werden nicht gelesen

Mich wundert es auch, dass die politischen Analysen von serbischen oppositionellen Gruppen kaum zur Kenntnis genommen werden. Anderenorts ist dies nämlich üblich - besonders wenn es sich um einen EU-Beitrittskandidaten handelt, der Serbien seit einiger Zeit ist. Aber, wie Florian Bieber, ein luxemburgischer Südosteuropa-Experte an der Universität Graz, neulich sagte, Serbien werde oft durch die Finger gesehen.
Das will ich so nicht akzeptieren. Weshalb ich frage: Wieso fehlt es an Aufmerksamkeit für die großartigen Leistungen der Menschenrechtsaktivisten? Dabei haben sie, insbesondere das "Zentrum für humanitäres Recht", Dokumentationen und Materialien über Kriegsverbrechen serbischer Täter vorgelegt, die ihresgleichen suchen. Natasa Kandic, die Gründerin und ehemalige Direktorin des Zentrums, hat Zeugnisse gefunden, die sonst unentdeckt geblieben wären.

Menschenrechtler arbeiten serbische Kriegsverbrechen auf

Sie hatte auch das berüchtigte Video der grausamen Erschießung von sechs Gefangenen aus Srebrenica ausfindig gemacht, das für die Beweisführung vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal von großer Bedeutung war und die Weltöffentlichkeit erschütterte. Wenn solche Persönlichkeiten wie Natasa Kandic konsequent über Jahre tot geschwiegen werden, dann kann dies einfach kein Zufall sein.
Und in der Tat ist ein Muster zu erkennen. Die EU sowie Außenpolitiker im Allgemeinen führen ihren Dialog ausschließlich mit Machtmenschen in Belgrad. Sie sind darin gefangen, widerspenstigen Alleinherrschenden irgendwelche Arrangements abzuringen. Wobei diese eifersüchtig darauf achten, dass nur sie, die Amtsträger, beachtet werden. So war es lange Zeit unter Slobodan Milosevic und so etabliert es sich nunmehr unter Aleksandar Vucic erneut. Für jene, die sich für Recht und Wahrheit einsetzen, aber keine Macht haben, hat die EU keine Zeit. Europäische Werte, deren Einhaltung die Grundbedingung für die Mitgliedschaft in der EU ist, sind in Vucics Serbien nicht zu Hause.

Belgrad führt nachgiebige EU hinters Licht

Davor die Augen zu verschließen, wird nicht helfen. Obschon Belgrad bislang nur ankündigte, rechtsstaatliche Strukturen schaffen zu wollen, bescheinigte Brüssel, das Land habe bereits genug Fortschritte erzielt, um die entsprechenden Kapitel eines künftigen Vertrags mit der EU zu verhandeln. Soviel Entgegenkommen wie Serbien hat noch kein Land erfahren. Nur in den Berichten unabhängiger Medien und Menschenrechtsgruppen ist zu lesen, dass nicht einmal der Wille zu einer Justizreform vorhanden ist.
Die westlichen Eliten wiederholen ihren alten Fehler. Sie ignorieren und enttäuschen die Opposition. Nichts haben sie aus der Einsicht gelernt, zu nachgiebig gegenüber Milosevic gewesen zu sein. Stattdessen hofieren sie erneut den vermeintlich starken Mann des Balkans. An die Tragweite ihres falschen Handelns verschwenden sie, wie es scheint, keinen Gedanken.

Dunja Melčić, geboren 1950 in Kroatien, Philosophin und freie Autorin. Sie lebt seit 1974 in Frankfurt, wo sie 1981 über Martin Heidegger promovierte,und setzt sich besonders mit Themen aus Philosophie und internationaler Politik auseinander - mit dem Akzent auf Südosteuropa.




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